Manfred J. führt lange ein ganz normales Leben. Nun hat ihn die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe unter anderem wegen versuchtes Mordes, gefährlicher Körperverletzung und fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr angeklagt. Was ist geschehen?

Der in den 1960er-Jahren geborene Südbadener aus dem Landkreis Lörrach erlernte den Beruf des Tischlers, spielte im örtlichen Musikverein Posaune, auch als glänzender Solist, und war am Basler Flughafen im gut bezahlten Flugzeug-Innenausbau beschäftigt.

„… dann siehst du keine Grenzen“

Im Alter von rund 50 Jahren sattelte Manfred J. um und absolvierte eine Ausbildung zum Gesundheits- und Präventionsberater in Bayern, später eine weitere zum Kursleiter für Qi-Gong – eine chinesische Meditationsform zur Kultivierung von Körper und Geist. Sein Leitsatz ist: „Hebe den Blick, dann siehst du keine Grenzen“, wie seine Webseite verrät, die inzwischen nicht mehr online zu sein scheint. Der berufliche Erfolg schien eher ausgeblieben zu sein.

In dieser Zeit dürfte der sein ganzes Leben lang ledig gebliebene Mann in Berührung mit typischen Reichsbürger-Ansichten gekommen sein, wonach die Bundesrepublik Deutschland kein Staat, sondern eine Firma sei und ihre Behörden und Amtsträger keinerlei Befugnisse hätten.

Dieses selbst gebastelte „Warnschild“ prangte im Jahr 2019 vor dem Haus eines weiteren Reichsbürgers aus dem Süden ...
Dieses selbst gebastelte „Warnschild“ prangte im Jahr 2019 vor dem Haus eines weiteren Reichsbürgers aus dem Süden Baden-Württembergs und sollte wohl ungebetene Besucher abschrecken. Die Polizei hielt es aber nicht von einer richterlich genehmigten Hausdurchsuchung ab. | Bild: Siegfried Volk

Seine zunehmende Radikalisierung zeigt sich am 7. Februar 2022 bei einer Verkehrskontrolle durch die Polizei: Aufgrund seiner merkwürdigen Fahrweise halten mehrere Streifenpolizisten Manfred J. an. Als sie den offenkundig Betrunkenen kontrollieren wollen, ergreift er die Flucht.

Schließlich gelingt es mehreren Polizeiautos, seinen Wagen zu stoppen. Als ein Beamter aussteigt und auf den 61-Jährigen zuläuft, soll dieser Gas gegeben und den Streifenpolizisten frontal angefahren haben.

Trotz Schussverletzungen kein Ende

Nachdem der Beamte in Bauchlage auf der Motorhaube zu liegen kommt, soll Manfred J. laut Bundesanwaltschaft Karlsruhe nicht angehalten, sondern nochmals beschleunigt haben. Von einer Weiterfahrt habe er sich selbst durch mehrere Schüsse nicht abhalten lassen, welche die Beamten mit ihren Dienstwaffen auf seinen Pkw abgeben und von denen einer ihn am Oberarm verletzt.

Der Einsatz bei Efringen-Kirchen gegen einen Reichsbürger war für einige Streifenpolizisten lebensgefährlich.
Der Einsatz bei Efringen-Kirchen gegen einen Reichsbürger war für einige Streifenpolizisten lebensgefährlich. | Bild: Silas Stein/dpa

Vielmehr soll der Angeschuldigte seinen Pkw schließlich absichtlich so zur Seite gelenkt haben, dass der Polizist von der Motorhaube auf die Straße stürzt und sich schwere Verletzungen zuzieht, vor allem am Kopf.

Selbst nach diesem Vorfall soll der Angeschuldigte seine Fahrt trotz der Verfolgung durch die Polizei und weiteren Schüssen auf ihn unbeirrt fortgesetzt haben. Nach der neuerlichen wilden Verfolgungsjagd wird er endgültig in Efringen-Kirchen gestoppt und festgenommen.

Reichsbürger „zunehmend gewaltbereit“

Wie sich später herausstellt, war Manfred J. wegen Alkoholkonsums fahruntüchtig. Bei einer richterlich genehmigten Durchsuchung seines Hauses findet die Polizei Hinweise auf seine Zugehörigkeit zu den Reichsbürgern. Die Bundesanwaltschaft Karlsruhe wirft ihm vor, dass er die Existenz der Bundesrepublik leugne und hoheitliche Befugnisse ihrer Vertreter nicht anerkenne – aus dieser ideologischen Gesinnung heraus habe er sich der Verkehrskontrolle entziehen wollen.

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Die hauptsächlich für Terror-Ermittlungen zuständige Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hatte das Verfahren im Juni wegen der „besonderen Bedeutung des Falles“ übernommen. Wenige Wochen später kündigte Generalbundesanwalt Peter Frank an, dass er Fälle aus der Reichsbürger-Szene in Zukunft häufiger an sich ziehen will.

Peter Frank ist Generalbundesanwalt in Karlsruhe.
Peter Frank ist Generalbundesanwalt in Karlsruhe. | Bild: dpa

Die Anhänger seien zunehmend gewaltbereit und setzten auch Schusswaffen ein. „Wir versuchen deshalb, die ganze Bandbreite unserer gesetzlichen Zuständigkeit auszuschöpfen“, sagte der Generalbundesanwalt bei seiner Jahrespressekonferenz im Juli.

Oberlandesgericht in Stuttgart entscheidet

Nun hat seine Behörde Anklage gegen Manfred J. erhoben. Neben versuchtem Mord werden ihm auch ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, gefährliche Körperverletzung, der Widerstand gegen und tätliche Angriff auf Vollstreckungsbeamte sowie fahrlässige Trunkenheit im Verkehr und das unerlaubte Entfernen vom Unfallort vorgeworfen.

Manfred J. war begeistert von Qi-Gong, aber auch von der Reichsbürger-Ideologie. Nun muss er sich wegen zahlreicher schwerer Verbrechen ...
Manfred J. war begeistert von Qi-Gong, aber auch von der Reichsbürger-Ideologie. Nun muss er sich wegen zahlreicher schwerer Verbrechen verantworten. | Bild: privat

Der Angeklagte befindet sich seit dem Vorfall vor rund sieben Monaten in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Lörrach, seit dem 13. Juli 2022 wegen eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

Über die Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens muss nun das Oberlandesgericht Stuttgart entscheiden. Bei einer Verurteilung droht Manfred J. im schlimmsten Fall eine lebenslange Freiheitsstrafe. Es gilt die Unschuldsvermutung.