Herr Prof. Brettschneider, werden die Landtagswahlen im März eine Abstimmung über das Corona-Management der Landesregierung?
Nein, das glaube ich nicht. Corona wird zwar Auswirkungen haben, aber weniger auf das Abstimmungsverhalten als auf die Frage, welche Themen dominieren. Wenn Corona weiterhin dominant ist, wonach es aussieht, verdrängt es andere Themen wie etwa den Klimawandel. Das schlägt sich dann indirekt im Wählerverhalten nieder. Und es kann in einem speziellen Bereich der Coronapolitik einen gewissen Ausstrahleffekt geben. Etwa, wie Schulen und Kindergärten vorbereitet oder besser gesagt nicht vorbereitet sind. Das würde dann mit Frau Eisenmann nach Hause gehen und ist durchaus zu erwarten.
Verhindern oder bestärken Krisen Wechselstimmungen?
Das kommt darauf an. Wenn man die Schuld an der Krise bei der Regierung sieht, wie es bei Wirtschaftskrisen oft der Fall ist, befördert das die Wechselstimmung. Wenn es sich aber um eine Krise handelt, für die der Regierung keine Schuld gegeben wird, ist sie eher ein stabilisierender Faktor. Das hat zwei Gründe: Zum einen das Bedürfnis der Menschen nach Stabilität und Verlässlichkeit. Und zum anderen sind Krisenzeiten, zumindest zu Beginn, Regierungszeiten, weil Regierungen handeln.
Die Menschen in Baden-Württemberg bewerten ihre Lebensqualität und ihre wirtschaftliche Lage als überdurchschnittlich gut. Das sehen sie durch die Pandemie gefährdet. Dadurch wird der Faktor der wirtschaftlichen und politischen Stabilität wichtiger. Das dürfte beiden Regierungspartnern nützen. Einerseits Kretschmann als Regierungschef, andererseits der CDU mit den Kompetenzthemen Wirtschaft und Sicherheit.
Wer profitiert davon mehr?
Das ist ganz schwierig vorherzusagen. Kretschmanns Arbeit in der Krise wird von den Menschen überwiegend gut bewertet, auch von CDU- oder SPD-Anhängern. Bei der CDU ist das schwieriger, und das liegt am Verhalten einzelner Protagonisten. Eine wirklich klare Corona-Politik ist da nicht zu erkennen, da gibt es Diskrepanzen beispielsweise zwischen Innenminister und Kultusministerin.
Innenminister Strobl zeigt mit Blick auf die Wahl genau das richtige Verhalten – Stärkung der Merkel-Linie, Geschlossenheit mit dem Ministerpräsidenten…
…hieße das, dass die CDU mit Strobl mehr von der Krise profitieren würde?
Das ist wohl so. In der ersten Welle konnte man über Frau Eisenmann noch sagen, dass es Kultusminister immer schwer haben. In der zweiten Welle sieht es anders aus. Da erwarten Menschen eine bessere Vorbereitung. Und dann hat Frau Eisenmann zunächst auch den Vorstoß von Kretschmann und Strobl für einen früheren und härteren Lockdown torpediert und sich damit auch gegen Merkels Haltung gestellt.
Mich erinnert das an die Landtagswahl 2016, als sich der CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf in der Frage der Flüchtlingspolitik ebenfalls gegen Merkel positioniert hat. Das ist damals schon schiefgegangen. Insofern hat Frau Eisenmann in der zweiten Welle eine unglückliche Figur abgegeben. Und wenn sie dann auch noch sagt, dass eine Planung für Schulen derzeit langfristig leider nicht möglich ist, fragt man sich schon, wozu man dann eigentlich eine Kultusministerin braucht.
Inwieweit ist denn die Person des Spitzenkandidaten oder der Kandidatin entscheidend dafür, eine Partei zu wählen?
Das variiert stark. Es gibt immer eine Kandidaten- und eine Parteienkomponente. Manchmal wird eine Partei wegen eines Kandidaten gewählt, und manchmal trotz des Kandidaten. Es gibt in der CDU-Anhängerschaft viele, die gerne Kretschmann als Ministerpräsidenten hätten, aber trotzdem auch die CDU in der Führung sehen wollen.
Wen wählen die dann am Ende?
Das entscheidet sich oft sehr spät. Eine Entscheidung zu treffen, setzt diese Wähler kognitiv unter Stress. Deshalb entscheiden sie sich erst in der Woche vor der Wahl – und dann oft vor dem Hintergrund der dominierenden Themen in dieser Woche. Es ist schon heftig, wenn 70 Prozent der CDU-Anhänger bei einer Direktwahl den Ministerpräsidenten Kretschmann wählen würden. Diese 70 Prozent werden jetzt nicht alle wegen Kretschmann die Grünen wählen. Aber ein paar eben schon.
Können Sie die Ausgangslage der CDU-Spitzenkandidaten 2016 und 2021 vergleichen? Wie steht Susanne Eisenmann im Vergleich zu Guido Wolf damals beim Wähler da?
Relativ ähnlich. Beide mit Bekanntheitsdefiziten in der Bevölkerung. Frau Eisenmann konnte zwar aufholen, ist aber Teilen der Bevölkerung immer noch unbekannt. Beim Typ gibt es Unterschiede. Wolf war eher ein Typ ohne große Kanten. Frau Eisenmann wird hingegen zugeschrieben, dass sie auch ganz schön hart nicht nur formulieren, sondern auch mit Kontrahenten umgehen kann und insgesamt bissiger ist. Es ist nur nicht so gut, wenn sich diese Bissigkeit gegen eigene Parteifreunde richtet.
Insgesamt sind die Umfragewerte für die CDU als Partei besser als für die Spitzenkandidatin. Was kann die CDU unternehmen, um das zu ändern?
Zum einen müsste Frau Eisenmann aus der Schusslinie, in die sie sich selbst immer bringt. Wenn sie kontrolliert handeln würde, wäre es für die CDU schon einmal ein Pluspunkt. Es gibt aber noch einen anderen Faktor, über dessen Auswirkung auf die Landtagswahl man nur spekulieren kann. Das ist die Entscheidung auf Bundesebene, wer CDU-Vorsitzender wird. Das wird in Baden-Württemberg, wo die Unterstützung an der Basis für Friedrich Merz sehr stark ist, vermutlich Spuren hinterlassen.
Wenn es Merz wird, ist die Frage, wie das auf die CDU im Land abstrahlt, ob sie dadurch konservativer wird und ob Merz es einem schwankenden CDU-Wähler leichter machen würde, Kretschmann zu wählen, weil ihm die CDU sonst zu konservativ wird.
Und wird es Merz nicht, wie groß ist die Enttäuschung dann an der Basis und wie gelingt es der CDU, diese Wähler noch zu mobilisieren? Mit dieser Kandidatenwahl gehen für die CDU richtig viele Fragezeichen einher. Da hat die CDU ein Problem, das Thema hätten sie früher abräumen müssen.
Wie steht Kretschmann im Vergleich zu 2016 da?
Inhaltlich steht er genauso unangegriffen da wie vor fünf Jahren. Es ist ihm gelungen, keine Kratzer abzubekommen. Er ist unangefochten. Das einzige Thema, das für ihn schwierig werden könnte, ist das Alter.
Wie wichtig ist das für den Wähler?
Zunächst einmal nicht so wichtig, aber es wird zum Thema, wenn der Eindruck entsteht, dass ein Ministerpräsident nicht mehr so leistungsfähig ist, wie er es vorher war. So lange es den Menschen gut geht und sie den Eindruck haben, dass er verantwortungsvoll mit den Themen im Land umgeht, stört sie sein Alter nicht.
Was könnte Kretschmann schaden?
Bis zur Wahl eigentlich nichts mehr. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass er irgendetwas Unberechenbares machen würde. Da ist er nicht der Typ dafür.
Kann man die Grünen in Baden-Württemberg prozentual einordnen ohne Kretschmann?
Das ist schwer zu sagen. Die Grünen ohne Kretschmann, aber dafür mit…? Es hängt davon ab, wer die Person ist, die dann die Rolle von Kretschmann ausfüllen muss, und ob die Person das auch kann und wie sie sich entwickelt. Kretschmann war vor zehn Jahren auch nicht der, der er jetzt ist.
Wird die AfD, die sich als Protestpartei gegen die Corona-Maßnahmen geriert, vom Wähler abgestraft oder belohnt?
Die AfD wird nicht nur ein Opfer ihrer Corona-Politik, sondern ihrer gesamten Politik und ihres Auftretens der letzten fünf Jahre werden. Das liegt daran, dass das Thema Zuwanderung, mit dem sie vor fünf Jahren reüssiert hat, praktisch von der Agenda verschwunden ist. Relativ viele, die aufgrund der Migrationsdebatte AfD gewählt haben, werden wieder in die Wahlenthaltung gehen, die haben vorher auch nicht gewählt. Und was Corona betrifft – ich glaube, dass es eine gewisse Überschätzung der Zahl an Corona-Kritikern gibt.
Welche Rolle spielt für den Wähler die tatsächliche Regierungsbilanz von Grün-Schwarz jenseits von Corona, also die Frage, was erreicht wurde und ob der Koalitionsvertrag abgearbeitet wurde?
Es gibt durchaus Wähler, denen so eine Bilanz wichtig ist. Aber die wenigsten Wähler schauen bei ihrer Wahlentscheidung spezifisch nach hinten. Sie schauen eher nach vorne. Wahlen sind eher eine Abstimmung über Hoffnungen und Erwartungen als über Leistungen in der Vergangenheit. Wenn nach hinten geschaut wird, dann um die Glaubwürdigkeit von Parteien einzuschätzen.
Wie wichtig wird das Thema Klimaschutz bei der Landtagswahl?
Das Thema Klimaschutz kommt zurück, aber wohl nicht mehr so wie 2019, als es sehr dominant war. Bei der Abfrage der wichtigsten Themen für die Landtagswahl werden neben Corona und Wirtschaft immer Klima und Verkehr genannt. Dazu kommt, dass der Klimaschutz die Wahl entscheiden könnte. W
enn es zwischen den Grünen und der CDU ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen gibt, könnten ein paar Tausend Stimmen für die nun antretende Klimaliste den Ausschlag geben. Dann haben wir das Gleiche wie bei der OB-Wahl in Stuttgart. Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, und das wäre die CDU. Die Frage ist, ob die Klimaschützer in ihre Wahlentscheidung mit einfließen lassen, dass sie zwar ein gutes Gewissen haben, weil sie die Klimaliste wählen, aber dann statt der Grünen eine CDU-geführte Regierung bekommen.