Zehn Jahre grüne Verkehrspolitik in Baden-Württemberg – und doch zu wenig in Sachen Verkehrswende und neue Mobilität auf den Weg gebracht? Der BaWü-Check der baden-württembergischen Tageszeitungen zur Verkehrspolitik im Land, in dem viele Bürger via Allensbach-Umfrage ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck gebracht hatten, hat gestern landesweit Reaktionen ausgelöst.
Opposition: Umfragewerte sind „wenig überraschend“
Die Landtags-Opposition von SPD, FDP und AfD sprach von einer „gescheiterten Verkehrspolitik“ des grünen Verkehrsministers Winfried Hermann. Jochen Haußmann, verkehrspolitischer Sprecher der FDP/DVP-Fraktion, sagte: „Der Verkehrsminister ist mit seiner Politik der Verbote und Erziehungsversuche auf ganzer Linie gescheitert.“ SPD-Fraktionschef Andreas Stoch bemängelte, dass es Hermann in zehn Jahren im Amt nicht gelungen sei, andere Mobilitätsformen zu einer Alternative für das Auto zu machen. „Wir kommen nur weiter, wenn wir sinnvolle Anreize setzen und attraktive Angebote machen. Deshalb brauchen wir jetzt das 365-Euro-Jahresticket“, sagte Stoch. AfD-Verkehrsexperte Hans Peter Stauch nannte die Ergebnisse der Umfrage „wenig überraschend“. „Sie zeigen klar, dass die von der grün-schwarzen Landesregierung angestrebte Abschaffung des motorisierten Individualverkehrs bei den Bürgern auf wenig Gegenliebe stößt“, so Stauch.

Thomas Dörflinger, Verkehrsexperte der CDU, sieht die verkehrspolitischen Ansätze seiner Partei unterdessen bestätigt. „Es gibt nicht die eine Lösung, den einen Verkehrsträger“, sagte Dörf-linger. „Für die große Mehrheit der Menschen ist nach wie vor das Auto das Verkehrsmittel der Wahl. Das heißt für uns: Weiter das Angebot im ÖPNV ausbauen, gleichzeitig brauchen wir aber auch weiter neue Ortsumfahrungen und leistungsfähige Straßen.“
Alle müssen an einem Strang ziehen
Dagegen sehen sich die Grünen und Verkehrsminister Hermann selbst in ihren Anstrengungen für eine Verkehrswende bestätigt. „Oberstes Ziel ist es für uns Grüne, Mobilität und Klimaschutz in Einklang zu bringen. Das ist eine Daueraufgabe – und das Bohren dicker Bretter“, sagte Grünen-Verkehrsexperte Hermino Katzenstein.
Winfried Hermann wies den Vorwurf an seine Partei, die verkehrs- und klimapolitischen Ziele nicht erreicht zu haben, entschieden zurück. „Von einer gescheiterten Verkehrspolitik kann nicht die Rede sein“, sagte Hermann. Er verwies darauf, dass eine umwelt- und klimafreundliche Mobilität nicht von der Politik allein erreicht werden könne. „Das ist nur zu bewältigen, wenn auch viele Menschen bereit sind, ihr Verhalten zu überdenken und zu ändern. Politik allein kann dies nicht leisten.“
„Die Verkehrs-Infrastruktur bundesweit und im Land wurde über sehr lange Zeit vernachlässigt. Dieser Rückstand lässt sich nicht in einigen Jahren aufholen“, sagte Hermann. Die Zahl der Fahrzeuge und das Gewicht der Fracht auf Straßen und Schiene seien gewaltig gewachsen. „Wenn man jahrzehntelang nicht saniert, dann gibt es auch jede Menge zu tun“, so der Minister. Und für viele Bereiche sei zudem das Land nicht oder nicht allein zuständig. „Wenn in einem Wohngebiet die Straße schlecht ist, muss sich die Gemeinde darum kümmern und nicht der Verkehrsminister“, sagte Hermann.
Das Land habe die jährlichen Mittel für die Sanierung und den Erhalt der Straßen und Brücken von 65,6 Millionen Euro im Jahr 2010 auf 183,1 Millionen Euro im Jahr 2019 erheblich gesteigert, der Zustand von Straßen und Brücken im Land habe sich auch spürbar gebessert. Bei der Kritik am schleppenden Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) verwies Hermann auf ein modernes Zugangebot und den neuen bw-Tarif. So sei in der Metropolregion Stuttgart durch die auch vom Land finanzierte Tarifzonenreform das Fahren mit dem ÖPNV um 25 Prozent billiger geworden.
Mehr Geld für den Busverkehr
Der ländliche Raum habe vom Aufbau der Regiobus-Linien profitiert. „Das Land hat auch die Mittel für den übrigen Busverkehr im Land angehoben und wird sie weiter erhöhen“, so Hermann, der aber auch auf die Verantwortung der Kommunen verwies, die mit diesem Geld für einen attraktiven Busverkehr mit einem regelmäßigen Taktfahrplan sorgen müssten.

Der Umwelt- und Naturschutzbund BUND verwies darauf, dass es ohne Mobilitätswende keinen Klimaschutz gebe. „Über 30 Prozent der Treibhausgas-Emissionen stammen aus dem Verkehr, seit 1990 können keine Minderungen erzielt werden – im Gegenteil steigen die Emissionen sogar weiter an“, sagte Landesgeschäftsführerin Sylvia Pilarsky-Grosch. „Auf der anderen Seite ist die Lebenswirklichkeit der Menschen im Land immer noch geprägt von einer jahrzehntelangen Vorrangpolitik für das Auto, die eine Verhaltensänderung schwer macht. Hier umzusteuern ist eine Marathon-Aufgabe des Landes, kein kurzer Sprint. Dazu braucht es einen langen Atem, Mut und viel Geld.“