Nein, es sitzt (noch) kein Brutpaar in diesem Nest. Dabei wäre es für einen Raubvogel mit seinen scharfen Augen kaum zu übersehen. Dreißig Meter hoch thront die Plattform auf der Spitze einer Waldkiefer, der Durchmesser ist so breit wie ein großes Wagenrad. Kein anderer Baum im Umkreis ist höher, um das Nest zu befestigen, musste ein spezieller Profi-Kletterer ran.

„Fischadler besiedeln nur Nester, die wie ein Punkt auf dem i sind“, sagt Daniel Schmidt-Rothmund (61). Der Leiter des Nabu-Vogelschutzzentrums in Mössingen bei Tübingen könnte den Titel „Mister Fischadler“ tragen. Sein Ziel ist es, den Raubvogel in Baden-Württemberg wieder heimisch zu machen – auch auf dem Bodanrück, der sich teilweise dicht bewaldet zwischen Überlinger See und Untersee schiebt.

Hier soll der Fischadler bald landen: Der Nistplatz auf dem Wipfel einer Waldkiefer rechts.
Hier soll der Fischadler bald landen: Der Nistplatz auf dem Wipfel einer Waldkiefer rechts. | Bild: Michel, Alexander

Deshalb holt er ein Stativ aus seinem VW-Bus, den er in einem Waldweg in der Nähe des Mindelsees geparkt hat, und steckt das Spektiv auf. Mit dieser Art Fernrohr für Ornithologen rückt das kreisrunde Nest optisch deutlich näher. Ein paar Äste ragen in die Höhe – aber der Nistplatz ist unbewohnt. Geduld ist das, was Schmidt-Rothmund am meisten braucht.

Vogelkundler Daniel Schmidt-Rothmund vom Nabu-Vogelschutzzentrum Mössingen und Anja Matuszak vom Nabu aus Radolfzell beobachten den ...
Vogelkundler Daniel Schmidt-Rothmund vom Nabu-Vogelschutzzentrum Mössingen und Anja Matuszak vom Nabu aus Radolfzell beobachten den neuen Nistplatz in der Nähe des Mindelsees. | Bild: Alexander Michel

Denn ein Vogel, den es hier seit 170 Jahren nicht mehr gibt, kehrt nicht einfach über Nacht zurück. Wie der Experte erklärt, war der Fischadler bis in die 1850er-Jahre auch in der Bodensee-Region heimisch, wie im gesamten seenreichen Voralpengebiet, an der Donau und am Rhein. 1907 brachte man die letzten der Vögel zur Strecke. Präparate von abgeschossenen Fischadlern stehen noch heute im Museum Stemmler in Schaffhausen, das der Naturschützer Carl Stemmler (1882-1971) gründete.

Der Nahrungskonkurrent war nicht erwünscht

„Unsere Vorfahren haben dem Fischadler den Garaus gemacht“, sagt Schmidt-Rothmund. Das war in ganz Westeuropa so. Grund: Die schon im ausgehenden Mittelalter kultivierte Teich- und Fischwirtschaft spielte als Nahrungsquelle für die Menschen eine große Rolle. Ein fliegender Fischliebhaber war als Konkurrent unerwünscht – aber andere Fischesser auch, wie der Eisvogel, der Haubentaucher, der Graureiher oder der Fischotter. Diese Störer mussten weichen.

Und heute? Würde mit der Ansiedlung des Fischadlers eine Art zweiter Kormoran heranwachsen, der den Fischfang beeinträchtigt? Schmidt-Rothmund winkt ab und nennt zwei Gründe, warum Ängste unbegründet sind. „Der Fischadler ist kein Koloniebrüter wie der Kormoran.“ Wenn jener wieder hier leben würde, käme maximal ein Brutpaar auf zehn Kilometer Uferstrecke. Zweiter Grund: „Fischadler fressen fast ausschließlich Brachsen.“ Die sind für Menschen zwar genießbar und werden in Polen zu Klopsen verarbeitet, aber sie sind sehr grätenreich und stehen daher hier praktisch auf keinem Speiseplan.

Da Brachsen nah unter der Wasseroberfläche stehen, kann sie der Fischadler bequem erbeuten, denn er taucht nicht tief ins Gewässer ein. Bei einem Meter ist Schluss. „Für die Fischer ist der Fischadler daher überhaupt kein problematisches Thema“, sagt der Vogelkundler.

Gast- und Fischwirt begrüßt den Zuwanderer

Im Gegenteil. Immer mehr Teichwirte würden den Fischadler als Tourismus-Magneten schätzen, vor allem, wenn eine Gastwirtschaft angeschlossen ist. Schmidt-Rothmund nennt ein Beispiel zwischen Schaffhausen und Stein am Rhein. Der faszinierende Raubvogel mit seinem weißen Gefieder auf der Unterseite ziehe Angler und Publikum an. Der Wirt halte den Verlust einiger Forellen daher für verschmerzbar.

Seit 30 Jahren ist für Schmidt-Rothmund die Heimkehr des Zugvogels nach Süddeutschland eine Herzenssache. Mehr als 30 Brut-Plattformen hat er im Südwesten bereits errichtet. Früher hat er sogar das Nistmaterial in schwindelnde Höhen geschafft. Einen Erfolg kann er vorweisen. Das brütende Fischadler-Pärchen Chronos (Weibchen) und Kepler begleitet er in Rastatt seit 2023 mit einer Fotokamera. Im vergangenen Jahr schlüpften dort die Jungen Fuchur, Artax und Luna, 2023 wurden Balbü und Kju ausgebrütet. In diesem Jahr kam trotz Eiern kein Nachwuchs. Eine Erklärung dafür hat der Experte nicht.

Spontane Wohnungssuche am Ammersee

Könnte einer dieser jungen Fischadler den Weg zum Bodanrück finden, obwohl hier keine Artgenossen leben? Schmidt-Rothmund hält das für möglich. Denn seit etwa zehn Jahren stellt er fest, dass sich der Fischadler-Bestand nicht nur am Rande des Verbreitungsgebiets ausdehnt. Vielmehr siedeln sich einzelne Paare spontan fernab von allen anderen an. So ist es 2024 am Ammersee in Bayern passiert. Es war das erste Brutpaar, das die Voralpenregion vom Genfer See bis Kärnten wieder besiedelt hat.

Es kann also gut sein, dass am Mindelsee bald ein Fischadler-Paar brütet. Vielleicht ein Jungvogel, der gerade eine Partnerin gefunden hat. Doch der Vogelkundler ruht nicht, baut das Stativ ab und nimmt wieder im VW-Bus Platz. Er hat noch einen Termin mit einem Förster. Mit dem will er schauen, wo man noch zwei weitere Adler-Nisthilfen aufstellen kann. Hohe Bäume gibt es im Bodanwald ja genug.