Er hat den Beschuss aus einer russischen Panzerkanone überlebt. Als Drohnen ihre Granaten über seinem Wagen abwarfen, hat er diesen Angriff ebenfalls überstanden. Sein Nebenmann hatte kein Glück, er wurde von Splittern getötet. Auch auf der Rückbank starb ein Soldat. Das war Ende März an einem Frontabschnitt im ukrainischen Donbass.
Oleg Kovalchuk (42) – sein echter Name bleibt Sicherheitsgründen geheim – berichtet nicht stockend und nachdenklich, wie man es von einem Mann erwarten könnte, der dem Tod als Fahrer in einer Nachschubeinheit mindestens zweimal ins Auge sah.
Er spricht auf Ukrainisch, wird auf Nachfragen präziser. Die Gefahr ist für ihn vorbei, aber in seinen Sätzen noch immer greifbar. Schrapnellsplitter, die berstende Frontscheibe, ein zertrümmertes Autowrack, Tote, Schwerverletzte, darunter er selbst.
Die Narben am Körper verdeckt das Hemd
Nun sitzt er im tiefsten Frieden in einem Café in Friedrichshafen und kippt sich eine Limonade ins Glas. Dazu muss er zum Linkshänder werden. Sein rechter Unterarm steckt in einer Mullschlinge, die Hand lässt sich nur langsam öffnen und schließen. Hin und wieder wischt sich Oleg Tränenflüssigkeit aus dem linken Auge, eine Folge der jüngsten Verletzung. Seine Narben an Bauch und Rücken verdeckt das Hemd.
Der Krieg hat ihn schwer erwischt. Aber er gehört zu den Menschen, denen man nachsagt, sie seien hart im Nehmen. Dabei hilft ihm sein kompakter Körperbau, aber auch eine innere Ruhe. Mehrmals lacht er kurz auf, wenn er von seinen Erlebnissen an der Front berichtet, wo der plötzliche Tod zum Alltag gehört und Witze die Männer bei Laune halten.
Aus der „Stadt des Humors“
Oleg hat einen Vorteil. Er stammt aus Odessa, in der Ukraine die „Stadt des Humors“, wie er kurz auflachend sagt. Dort schmiss er in einer Kneipe die Bar – bis ihn die Militärpolizei vor zwei Jahren auf dem Weg zur Arbeit aus einem Bus zog und er die Uniform anziehen musste.
Dass Oleg noch lachen kann, ist auch ein Verdienst von Christoph Mezger (62) aus Friedrichshafen. Seine Frau Alina (41) stammt aus Kiew, er selbst hat mit ihr dort jahrelang gelebt und spricht Ukrainisch wie ein Ukrainer. Jetzt übersetzt er Olegs Bericht.
Ohne einen Helfer wie Mezger wäre er arm dran. Der Grund liegt darin, dass man in Deutschland zwar ambitionierte Hilfsprojekte auf die Beine stellt, sie dann aber oft Ehrenamtlichen überlässt, wenn der erste und der zweite Schritt getan sind und der dritte Schritt beginnt.
Verletzte werden aufgeflogen
Beispielhaft dafür ist das Programm, das sich auf Behördendeutsch „Versorgung militärischer Patientinnen und Patienten aus der Ukraine“, kurz MedEvac, nennt. Mit der Kostenabrechnung hat die Regierung das Bundesverwaltungsamt (BVA) in Hannover beauftragt. Oleg Kovalchuk ist der Erste, den MedEvac an den Bodensee gebracht hat.
Seine Reise begann in einem Transportflugzeug der niederländischen Armee, führte zum militärischen Teil des Flughafens Köln-Bonn, dann mit dem Wagen nach Süden. Er war hinter der Front nur provisorisch behandelt worden. Eine Metallschiene war außen an den rechten Arm montiert und hielt die Brüche an seiner Elle notdürftig zusammen, ein Auge war zugeschwollen.
Das Team um Chefarzt Ludwig Oberkircher vom Medizin Campus nennt es eine „komplexe Versorgung“, die am Arm des Patienten zu leisten war. „Weil die Verletzung schon ein paar Wochen zurücklag, waren nicht mehr alle Knochenteile im Arm zu retten“, sagt der Unfallchirurg dem SÜDKURIER.

Knochenersatz musste die Lücken schließen, die Reparatur fixiert jetzt eine Titanschiene. Ein Nerv der rechten Hand war durch die Explosion gelähmt. Eine zweite Operation war nötig, worauf jetzt Krankengymnastik folgt. Die Augenverletzung behandelte die Augenklinik der Universitätsklinik Ulm. Ihre Kosten können die Kliniken direkt beim BVA einreichen.

Eine Krankenschwester aus der Ukraine half Kovalchuk in Friedrichshafen zunächst durch die Sprachlosigkeit, auch ein digitales Übersetzungsprogramm war nützlich. Doch dann kam jener Schritt, den das BVA offensichtlich als nachrangig betrachtet: Der Tag, als der Patient die Klinik verlassen konnte. „Was dann kam, wurde vorher praktisch nicht durchdacht, es hakt bei der Umsetzung“, sagt Christoph Mezger, der Helfer vom „Netzwerk Ukraine“, das er mit seiner Frau 2022 gegründet hat.
Einfach gedacht, in der Praxis untauglich
Das BVA behandelt den entlassenen Patienten wie jemanden, der flüssig Deutsch spricht und sich selbst durch das Dickicht des Gesundheitssystems kämpfen kann. Zwar erkennt die Behörde an, dass für die Nachbehandlung Kosten für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel entstehen. Jene soll der „Leistungserbringer“, wie es in einem Infoblatt heißt, direkt mit der BVA abrechnen.
Christoph Mezger, der Kovalchuk bei seinem eigenen Hausarzt als Patient hineinbugsiert hat, der nach langem Suchen einen Physiotherapeuten und eine Apotheke (in Tettnang) gefunden hat, ist verärgert über den bürokratischen Hürdenlauf. „Wir müssten zunächst ein offizielles Schreiben des BVA anfordern, dass bestätigt, dass Oleg überhaupt zu den MedEvac-Patienten gehört.“
Ein „Patientenlotse“ in München nutzt nichts
Nur mit einer Patientennummer war eine Weiterbehandlung möglich. Zwar sieht das Programm einen „Patientenlotsen“ vor. Doch der für Baden-Württemberg vorgesehene Lotse sitzt in München. Das BVA selbst lässt alle Anfragen ins Leere laufen, wer Geduld mitbringt, hat vielleicht bei der Pressestelle Glück.
Also muss Mezger den Ärzten und Dienstleistern selbst erklären, wie man mit der BVA abrechnet. „Das aber kennt kaum jemand, und man ist noch weniger bereit, sich damit zu befassen.“ Der Mehraufwand ist beträchtlich. Ärzte und Apotheker kennen nur gesetzliche und private Kassen, die BVA ist im System nicht vorgesehen. Auf eine Anfrage des SÜDKURIER zu diesen Problemen reagierte die Behörde nicht.
In der Vorschriftenwüste
Da wird es zur großen Ironie, dass zivile Flüchtlinge aus der Ukraine sofort bei einer Krankenkasse gemeldet werden, über die alles erledigt wird. Männer wie Oleg Kovalchuk, die ihr Leben für ihr Land riskieren, werden in die Vorschriftenwüste geschickt.
Aber es gibt auch Dinge, die rund laufen. Dass Oleg im alten Hotel „Hirsch“ in der Innenstadt von Friedrichshafen nach seiner Entlassung ein Zimmer bekommen hat, ist dem Sozialdienst des Landratsamts Bodenseekreis und dem Ordnungsamt der Stadt zu verdanken. Hier bewohnt der Ukrainer ein kleines, aber komfortables Zimmer mit Bad. Auf dem Nachttisch stehen Medikamente bereit – auch Psychopharmaka, die seine Trauma-Attacken dämpfen.

Seine Frau und zweijährige Tochter in Odessa vermissen Vater Oleg. Der Soldat Oleg fehlt auch seiner Einheit. Deren Kommandeur stellt Mail-Anfragen nach der Verfassung des Patienten. Aber für den kommt ein baldiger Fronteinsatz nicht infrage. Das sagt auch der Chirurg Oberkircher. „Möglicherweise müssen wir an der Hand nochmal operieren.“ Auch am linken Auge bleibt ein Problem. Doch Oleg Kovalchuk nimmt es locker und lacht. Dann steckt er sich draußen eine Zigarette an.