Spätestens seit ein weiblicher Wolf im Südschwarzwald gesichtet wurde, steht das Thema weit oben auf der politischen Agenda. Mit der sogenannten Fähe wird sich höchstwahrscheinlich schon in diesem Frühjahr einer der drei ansässigen Rüden fortpflanzen, so dass sich wohl ein Rudel in Baden-Württemberg bilden wird. Nachdem im Februar bereits ein Rind gerissen wurde, sind Landwirte alarmiert.

Wie also soll umgegangen werden mit dem Wolf? Der Biologe und Wolfsexperte Rainer Luick diskutiert mit Lukas Schaudel, der die Landwirte der Region im Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband vertritt.

Was würden sie tun, wenn Sie einem Wolf begegnen würden?

Lukas Schaudel: Ich würde die Flucht ergreifen. So schnell wie möglich raus aus der Situation.

Wäre das auch Ihre Empfehlung, Herr Luick?

Rainer Luick: Das ist eine extrem unwahrscheinliche Situation, wie ein Sechser im Lotto. In Wölfen ist bei Begegnungen mit Menschen ein Fluchtverhalten angelegt, die sind eigentlich sofort weg. Am besten wäre es, sich total ruhig zu verhalten. Vielleicht macht man sich groß und schreit. Aber man sollte auf keinen Fall wegrennen.

Lukas Schaudel: Das wäre aber wohl das normale Verhalten der meisten.

Rainer Luick: Es wäre aber falsch. Bei jedem Tier, das jagt, löst das eine instinktive Reaktion aus.

In der Schweiz gab es kürzlich eine Situation, da haben mehrere Wölfe den Schulweg von Kindern gekreuzt.

Rainer Luick: Das sind diese Zufallsbegegnungen, die entstehen können, wenn zum Beispiel starker Wind die Sensorik der Tiere beeinträchtigt und die uns nicht riechen können. Dann kann es zu solchen Kontakten kommen.

Rainer Luick
Rainer Luick | Bild: Stadtmuseum Stockach

Im Schwarzwald gibt es inzwischen ein Wolfspaar. Es wird davon ausgegangen, dass sich im Frühjahr ein Rudel bilden wird. Wie viele Wölfe kann die Region aushalten?

Lukas Schaudel: Aus Sicht der Landwirtschaft ist die Obergrenze eigentlich schon erreicht. Die Landschaft hier ist mittlerweile so stark zersiedelt, dass der Wolf einem Dauerstress ausgesetzt ist. Ein gestresster Wolf bedroht die Landwirtschaft. Und auch den Naturschutz: Das Wohlergehen vieler geschützter Flächen hängt von der gleichzeitigen Weidetierhaltung ab. Zieht die sich zurück, gefährdet das den Arten- und Naturschutz.

Lukas Schaudel
Lukas Schaudel | Bild: Angelika Wohlfrom

Das klingt so, als stünde der Rückzug der Weidetierhalter unmittelbar bevor.

Lukas Schaudel: Wir gehen davon aus, dass sich die Rinderhalter zurückziehen, wenn es Wolfsangriffe geben sollte. Vor allem im südlichen Schwarzwald gibt es viele Betriebe, die das im Nebenerwerb, nur aus familiärer Tradition, noch machen. Für die rentiert sich das dann nicht mehr.

Wie viele Wölfe kann der Südschwarzwald aushalten, Herr Luick?

Rainer Luick: Die Frage ist nicht zu beantworten. Weil wir das nicht entscheiden, sondern der Wolf. Ob das für ihn eine attraktive Landschaft ist. Ich sehe das nicht so, dass der Wolf unter Dauerstress steht. Der hat kein Problem damit, auch mal über eine Autobahnbrücke zu laufen. Seine Ansiedlung in der Region läuft langsamer als viele dachten. Aber der Schwarzwald wird besiedelt werden. Es ist vorstellbar, dass hier zehn bis 20 Rudel im Großraum vorkommen könnten.

Aber wie viele Wölfe vertragen die Menschen im Schwarzwald?

Rainer Luick: Wenn man die normale Bevölkerung fragt, also Touristen und Wanderer etwa, bekommt man eine völlig andere Antwort, als wenn man Tierhalter oder Jäger fragt. In der breiten Gesellschaft gibt es da keine Angst, da hat der Wolf eher ein positives Image.

Nehmen Sie das auch so wahr, Herr Schaudel?

Lukas Schaudel: Bevor ich für den BLHV gearbeitet habe, konnte ich das auch so wahrnehmen. Aber wir müssen natürlich die Betroffenen anhören. Am Schluchsee wurde kürzlich ein Hochlandrind gerissen, der Halter hatte Tränen in den Augen. Früher hieß es, der Wolf ginge nicht auf Rinder – letztes Jahr ging er dann auf Jungrinder, jetzt sind wir sogar bei wehrhaften Alttieren. Dadurch entsteht eine gewisse Unruhe in einer Herde. In der Schweiz gibt es mittlerweile Herden, die man eigentlich komplett zum Schlachthof fahren müsste, weil man sie nicht mehr gehändelt bekommt. Vor allem bei Milchvieh ist das ein großes Problem.

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Das Land erstattet die Kosten für Schutzmaßnahmen und auch für gerissene Nutztiere. Der emotionale Faktor ist davon natürlich nicht abgedeckt. Reichen diese Maßnahmen also nicht aus?

Lukas Schaudel: Man muss sich eher fragen, wie sinnvoll die Schutzmaßnahmen sind. Schaf- und Ziegenhalter haben wir nicht so viele, deren Flächen sind auch eher klein. Rinderhalter bewirtschaften aber teilweise riesige Flächen. Bei 65 Hektar Land sprechen wir von einer zwei- bis dreistelligen Millionensumme, die das Land für den Zaunbau zu fördern hätte. Damit der Stromzaun dann durch wachsendes Gras nicht geerdet wird, müsste der regelmäßig gemäht werden. Das ist bei so großen Flächen eigentlich nicht leistbar. Bei solchen Fördersummen muss man dann auch mal fragen, welche finanziellen Prioritäten das Land setzt. Das Umweltministerium dreht das immer um: Das Geld werde nicht für den Wolf ausgegeben, sondern für den Herdenschutz. Aber man muss ja Herdenschutz machen, weil es den Wolf gibt.

Rainer Luick: Da gehe ich mit. Die Weidetierhaltung hat Priorität. Auch im Interesse des Wolfes und seiner Akzeptanz gehört ein entsprechendes Management dazu. Wenn ein Wolf gelernt hat, Rinder zu töten, muss er weichen.

Europäische Wölfe heulen im Wildparadies Tripsdrill. Bald schon könnte es das erste Rudel in freier Natur in Baden-Württemberg geben.
Europäische Wölfe heulen im Wildparadies Tripsdrill. Bald schon könnte es das erste Rudel in freier Natur in Baden-Württemberg geben. | Bild: Sebastian Gollnow, dpa

Im Landtag wurde kürzlich die Forderung formuliert, neu zu bewerten, was denn eigentlich genau ein Problemwolf ist. Im Landtag ist das noch nicht erfolgt, vielleicht können wir das aber hier schon klären: Wann ist ein Wolf ein Problemwolf?

Lukas Schaudel: Sobald er zweimal eine Rinderherde angegriffen hat. Das zeigt eine Gewöhnung. Allerdings muss diese Bezeichnung unabhängig von den Herdenschutzvorgaben erfolgen, weil es utopisch ist, alles einzuzäunen. Dabei muss man auch auf die Wildtiere achten: Es bringt nichts, die Landschaft wolfssicher einzuzäunen, wenn man damit die Wildtiere auf offener Fläche einsperrt. Aus unserer Sicht ist das ein ganz wichtiges Thema, das bisher in der Öffentlichkeit überhaupt nicht diskutiert wird.

Rainer Luick: Das stimmt. Durch Zäune, die als wolfssicher gelten, kommt kein Tier, die haben eine echte Barrierewirkung. Über normale Zäune kommt zum Beispiel ein Reh drüber. Für mich ist die Grenze zum Problemwolf überschritten, wenn er lernt, dreilitzige Zäune von Rinderherden zu überwinden – .also Zäune mit drei stromführenden Drahtreihen.

Wie könnte man dem Wolf beibringen, die Finger – bzw. die Klauen – von Rinderherden zu lassen?

Rainer Luick: Das geht nur bedingt. Wir können den leider nicht ins Seminar schicken, wo er das lernt.

Lukas Schaudel: Unsere Mitglieder plädieren für Vergrämungsmaßnahmen. Aber nicht mit irgendwelchen Blitzlampen, wie immer wieder gefordert wird, sondern über Beschuss mit Gummischrot, falls er sich regelmäßig Gehöften oder Weideflächen nähert – einfach, um ihn da zu konditionieren. Wenn das nicht hilft, stellt sich allerdings die Frage: Wie schnell kriege ich einen Wolf tatsächlich entnommen?

Also geschossen.

Lukas Schaudel: Genau. Es ist fast nicht zu erkennen, ob das dann der richtige Wolf ist.

Rainer Luick: In Niedersachsen gab es den Fall: Da wurde der Abschuss nach großem Aufwand erlaubt – und dann wurde der falsche geschossen. Wie soll man aber auf 100 Meter Entfernung auch Individuen auseinanderhalten?

Schafe stehen auf einer Weide, die von einem elektrischen Herdenschutzzaun eingezäunt ist.
Schafe stehen auf einer Weide, die von einem elektrischen Herdenschutzzaun eingezäunt ist. | Bild: Bernd Weißbrod, dpa

Dabei gibt es ein eigens spezialisiertes sogenanntes Entnahmeteam, das sich mehrere Bundesländer teilen. Funktioniert das nicht?

Lukas Schaudel: Dieses Entnahmeteam ist ein großes Mysterium.

Rainer Luick: Auch für mich als bedingten Wolfsfreund ist das keine Strategie. Das ist viel zu kompliziert und teuer. Und auch nicht automatisch erfolgversprechend.

Wenn man Sie beide so hört, könnte man den Eindruck gewinnen, die Landespolitik diskutiert an den Problemen vorbei.

Lukas Schaudel: Das hängt oft einfach daran, dass der Bezug zur Praxis fehlt. Unsere Herangehensweise ist, der Politik die Wege mal vor Ort aufzuzeigen. Deshalb haben wir die Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) auch bereits eingeladen.

Aber die Ministerin hat sich bislang noch nicht blicken lassen?

Lukas Schaudel: Bislang noch nicht. Wir merken aber, dass da ein Umdenken stattfindet.

Also sind wir insgesamt auf einem guten Weg?

Rainer Luick: Es ist aktuell vielleicht noch zu kompliziert einen Wolf zu schießen. Das muss etwas freier und lockerer werden. Dafür ist aber keine Überführung ins Jagdrecht nötig, weil die überhaupt nichts bringt.

Wie müsste das aussehen, freier und lockerer?

Lukas Schaudel: Zum Beispiel, dass man nicht zwingend an Herdenschutzmaßnahmen gebunden ist, wenn der Wolf an Rinder geht.

Nur zum Verständnis: Aktuell darf der Wolf nicht geschossen werden, wenn der Zaun nicht korrekt ist?

Lukas Schaudel: Richtig. Es gibt auch noch weitere bürokratische Probleme, zum Beispiel bei der Förderung der Zäune. Die ist jährlich auf 30.000 Euro begrenzt, was dazu führt, dass mancher Betrieb jedes Jahr aufs Neue Anträge stellen und Aufträge vergeben muss, statt das in einem Rutsch zu machen.

Rainer Luick: Oftmals ist es so, dass nicht der Wolf, sondern die Bürokratie den Tierhaltern den Spaß verdirbt. Baden-Württemberg neigt dazu, solche Dinge extrem kompliziert umzusetzen. Das muss verschlankt werden. Erleichterte Verfahren helfen auch der Akzeptanz des Wolfes bei Tierhaltern.

Ein Wolf läuft auf Futter wartend durch ein Gehege im Tierpark Wildparadies Tripsdrill.
Ein Wolf läuft auf Futter wartend durch ein Gehege im Tierpark Wildparadies Tripsdrill. | Bild: Bernd Weißbrod, dpa

Heiße Frage: Ist der Wolf hier eigentlich noch vom Aussterben bedroht?

Rainer Luick: Wenn man sich sein gesamtes Verbreitungsgebiet ansieht, dann ist das keine gefährdete Art. In Europa gibt es aber durchaus extrem kritische Populationen, weil die keine Verbindung mehr zu anderen haben. Und so läuft Aussterben für gewöhnlich ab: Wenn sie nicht mehr vernetzt sind, können sie relativ schnell aussterben.

Warum ist dieses Thema eigentlich so strittig? In vielen Positionen liegen Sie beide nicht weit auseinander.

Lukas Schaudel: Auf die Landwirtschaft wirken zur Zeit enorm viele Einflüsse von außen, es gibt viele Vorgaben von der EU und vom Bund. Irgendwann ist das einfach zu viel. Ginge es nur um den Wolf, würden wir das vielleicht nicht entspannt, aber doch deutlich abgeschwächt diskutieren. Man darf nicht vergessen: Landwirte sind Menschen, die ihren Lebensunterhalt davon bestreiten müssen. Die machen das nicht zum Spaß wie andere zum Feierabend Fußballspielen.

Hinweis: Am Donnerstag, 30. März, hat das Landesumweltministerium ein Konzept vorgestellt, das einige Forderungen aus diesem Gespräch behandelt. Unter anderem sollen Wölfe künftig von dem erwähnten Entnahmeteam geschossen werden dürfen, wenn sie bei Rinderherden die „zumutbaren Schutzmaßnahmen mindestens zweimal in engem zeitlichen und räumlichen Abstand überwinden“. Als enger zeitlicher Abstand soll künftig gelten, wenn ein Einzeltier „innerhalb eines halben Jahres mindestens zweimal den zumutbaren Herdenschutz überwindet und es zu Rissereignissen kommt“, so das Umweltministerium auf Nachfrage des SÜDKURIER. Diese Regelung befindet sich derzeit aber noch in Planung.