Als 280 Polizeibeamte, darunter schwer bewaffnete Spezialeinsatzkommandos (SEK) aus benachbarten Bundesländern, am 13. September 18 Wohnungen in Villingen-Schwenningen, Konstanz, Meersburg und Titisee-Neustadt stürmten, fielen ihnen auffallend viele Drogen in die Hände: mehr als 1000 Ecstasy-Tabletten, etwa 50 Kilogramm Cannabis, über zehn Kilogramm Amphetamine, Dopingmittel sowie ein voll ausgestattetes Drogenlabor.
Und doch dürfte dies nur ein verschwindend kleiner Teil jener Mengen sein, die auf das Konto des erweiterten Netzwerks dieser überregionalen Drogenbande geht.

Einige der elf Männer im Alter von 20 bis 32 Jahren bewegten sich laut Konstanzer Polizei im Umfeld der nur einen Tag später bei einer weiteren Großrazzia bundesweit verbotenen ‚United Tribuns‘ (UT).
Ganz oben in der strengen Hierarchie dieser schwerkriminellen Vereinigung steht ein Brüderpaar: Der frühere Villingen-Schwenninger Rotlicht-König Armin „Boki“ C., der die rockerähnliche Gruppierung im Jahr 2004 in der Doppelstadt gegründet hatte und später in seine ursprüngliche Heimat Bosnien-Herzegowina floh. Und sein Bruder Nermin C., zuletzt Welt-Präsident der „United Tribuns“ und seit 24. August in Schweizer Auslieferungshaft in Kroatiens Hauptstadt Zagreb.
„Sie werden in Gräben nach ihm suchen“
Recherchen des bosnischen Investigativ-Journalisten Avdo Avdić zeigen, dass die beiden Rocker-Brüder mit einem der weltweit größten Drogenkartelle zusammengearbeitet haben – und dafür eine neue, offizielle Identität nutzten.
Das belegen Unterlagen der niederländischen Strafverfolgungsbehörden, die Avdić veröffentlichte. Er erhielt dafür Morddrohungen. „Sie werden in Gräben nach ihm suchen“, sagte Mirza G. in einer Videobotschaft. Dann machte er eine obszöne Andeutung gegenüber den Kindern von Avdić.
Die in Wien ansässige OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) verurteilte die Drohungen auf Schärfste und rief die Justiz von Bosnien-Herzegowina auf, zu handeln – auch weil die Morddrohungen gegenüber Avdić kein Einzelfall seien.
14 Tonnen Kokain beschlagnahmt
Laut offiziellen Dokumenten soll das sogenannte „Tito und Dino“-Drogenkartell mit der italienischen und kolumbianischen Mafia bei der Beschaffung von Rauschgift kooperieren.
Die US-Drogenbehörde Drug Enforcement Administration (DEA) ist überzeugt, dass das Kartell große Mengen Kokain in Ecuador, Kolumbien, Peru, Bolivien, Panama sowie weiteren lateinamerikanischen Ländern einkauft. Von dort geht es per Containerschiff über den Atlantik nach Europa, unter anderem zum Rotterdamer Hafen.
Ein Ansuchen über Rechtshilfe der niederländischen Justiz an die bosnischen Behörden identifizierte den in Sarajevo geborenen Edin G., Neffe von Mirza G., als Kopf des „Tito und Dino“-Drogenkartells.
Laut Polizeiberichten soll das Kartell hinter etwa einem Drittel der südamerikanischen Kokainlieferungen nach Europa stecken. Innerhalb von nur drei Jahren konnten die Behörden 14 Tonnen Kokain beschlagnahmen, das „Tito und Dino“ zugerechnet wird.
Rockerbrüder mit neuer Identität in Südamerika
Wie niederländische Polizeidokumente zeigen, kooperiert das Kartell, das laut den US-Behörden zu den 50 größten der Welt zählt, dabei mit dem Gründer und Chef der „United Tribuns“, Armin „Boki“ C., und Nermin C.
Auf Einladung von Kartellboss Edin G. besuchte der ebenfalls aus Sarajevo stammende Elvis H. im Dezember 2018 die Drogenzentren in Südamerika. Begleitet wurde er dabei von den beiden Rockerbrüdern.
Da schon damals die Staatsanwaltschaft Konstanz per internationalem Haftbefehl nach Boki fahndete, wäre er bei seiner Übersee-Reise mit seiner echten Identität wohl festgenommen worden. Ihm und seinem Bruder dürfte dabei zugute gekommen sein, dass sie bereits im Jahr 2014 neue Identitäten ganz offiziell von den bosnischen Behörden erhalten haben.
Auftragsmord mit drei Toten
Kurz zuvor war nahe Bokis Geburtsstadt Banja Luka der Geschäftsführer eines Sicherheitsdiensts und dessen Leibwächter bei einem heftigen überfallähnlichen Schusswechsel getötet worden. Auch einer der Angreifer starb Sowohl Boki als auch sein Bruder Nermin sollen zuvor mit den mutmaßlichen Tätern Kontakt gehabt haben.

Aus diesem Grund fahndete die bosnische Polizei nach ihnen. 50 Kilometer vom Tatort entfernt gingen die beiden Muskelmänner den Behörden in die Falle, sie werden festgenommen. 24 Stunden später waren sie wieder auf freiem Fuß – „aus rechtlichen Gründen“, wie ein Polizeidirektor sagte.
Einfluss bis in höchste Regierungskreise
Schon in einem wenige Jahre zuvor entstandenen TV-Interview brüstete sich Boki damit, dass seine „United Tribuns“-Leute alle gute Jobs hätten und einige auch als Leibwächter für bosnische Regierungsmitglieder arbeiten würden. Die Vetternwirtschaft ging soweit, dass sich lokale Polizeikräfte aus Bokis Kleinstadt bei der Fahndung nach ihm geweigert haben sollen, ihn festzunehmen.
Auch die bosnische Generalstaatsanwältin soll sich trotz intensiver Bemühungen der Konstanzer Strafverfolgungsbehörden weigern, ihn nach Deutschland auszuliefern, da er bosnischer Staatsbürger sei.

Kurze Zeit nach dem mutmaßlichen Auftragsmord mit drei Toten stellten Boki und sein Bruder Nermin C. bei der serbisch-bosnischen Teilrepublik „Republika Srpska“ einen Antrag auf eine neue Identität. Deren Präsident war damals der von Putins Russland bis heute unterstützte ultranationale Separatist Milorad Dodik.
Der Antrag ging durch und die Chefs der „United Tribuns“ erhielten neue bosnische Pässe unter den Namen Denis und Damir G.
Die Rockerbrüder und die Nachtwölfe aus Russland
Förderlich beim Identitätswechsel waren wohl auch die guten Kontakte der Rockerbrüder aus Villingen-Schwenningen zur russischen Motorradgang „Nachtwölfe“ mit etwa 5000 Mitgliedern. Ihr Gründer Alexander Saldostanow pflegt eine enge Freundschaft zum russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Beide träumen von einem Groß-Russland und vertreten nationalistische, anti-westliche sowie christlich-orthodoxe Einstellungen.

Großes Aufsehen in Deutschland erregten die Nachtwölfe 2015 mit ihrer „Siegesfahrt“ von Moskau nach Berlin anlässlich des 70. Jahrestags des Endes des Zweiten Weltkriegs. Sie erhielten zunächst ein Einreiseverbot, das jedoch das Verwaltungsgericht Berlin wenig später aufhob. Seit dem Ukraine-Krieg verbreiten Nachtwölfe russische Kriegspropaganda auch im Ausland.

Ferrari, Porsche und Hummer
Zurück zum Drogenkartell „Tito und Dino“: Im Mai 2020 gelang den niederländischen Behörden die Verhaftung eines führenden Kopfes: Der Bosnier Mirza G., der den Investigativ-Journalisten Avdo Avdić bedroht hatte, wurde bei einer Razzia mit seiner niederländischen Frau festgenommen.
Zuvor hatten die Behörden von US-Ermittlungsdiensten Informationen erhalten, dass Mirza G. in den internationalen Drogenhandel und Geldwäsche verwickelt sei. Er soll ein führendes Mitglied bei „Tito und Dino“ sein.
Auffällig war, dass das Ehepaar kein Einkommen besessen, aber mehrere Immobilien in den Niederlanden für um die 2,5 Millionen Euro gekauft haben soll. Auf Ersuchen der niederländischen Justiz durchkämmten die bosnischen Behörden vier Anwesen und private Firmen von Mirza G. in Bosnien.

Außerdem beschlagnahmten sie in Sarajevo fünf Autos des mutmaßlichen Drogenhändlers, darunter einen Ferrari F430 Spider, einen Porsche Macan S sowie einen Hummer. Auch die Rockerbrüder Boki und Nermin C. dürften solche und weitere teure Luxus-Autos besitzen, wie aus zahlreichen selbst veröffentlichten Fotos in den sozialen Netzwerken hervorgeht – der SÜDKURIER berichtete.