Dies ist eine Geschichte über eine Freundschaft der Marke Pferde stehlen zwischen zwei Männern. Eine Geschichte über Maurizio Canestrini und Manfred Lang. Die Beiden kennen sich seit Jahrzehnten. Das hat primär etwas mit ihrem Beruf zu tun, den sie als Berufung verstehen. Sie sind Köche aus Leidenschaft.

Gute Freunde kann niemand trennen: Maurizio Canestrini (links) und Manfred Lang vor dem Romantik Hotel Residenz am See, in dem sich auch ...
Gute Freunde kann niemand trennen: Maurizio Canestrini (links) und Manfred Lang vor dem Romantik Hotel Residenz am See, in dem sich auch das Sternerestaurant Casala befindet. | Bild: Schuler, Andreas

Der eine, Manfred Lang, hat 2003 mit seinem Restaurant Casala in Meersburg einen Stern erkocht, den das Haus immer noch inne hat, und war zuvor auf der halben Welt auf kulinarischer Wanderschaft – unter anderem als Küchenchef im Konstanzer Sternehaus Seehotel Siber unter Bertold Siber. Der andere, Maurizio Canestrini, war 37 Jahre lang Maître und Grandseigneur in seinem Konstanzer Restaurant Pinocchio, das weit über die Bodensee-Region hinaus einen herausragenden Ruf genoss – im Frühling schloss der 77-Jährige altersbedingt die Pforten seines Lebenswerkes.

Maurizio Canestrini und Manfred Lang: Wie eine Männerfreundschaft entstand

Kennen und schätzen gelernt haben sich die beiden in den 80er Jahren. „Wir sind damals nach Feierabend um Mitternacht regelmäßig zu Maurizio und seiner Frau Sylvia gegangen auf einen wunderbaren Teller Pasta und ein Glas Wein“, erinnert sich Manfred Lang. „Das war jedes Mal wie nach Hause kommen. Und gleichzeitig eine Art kulinarisches Brainstorming, weil wir alle von Maurizio viel lernen konnten und er für uns immer neue Dinge ausprobiert hat. Seither sind wir eng befreundet.“ So weit die Vorgeschichte.

Sylvia und Maurizio Canestrini.
Sylvia und Maurizio Canestrini. | Bild: Schuler, Andreas

Wer Maurizio Canestrini in den vergangenen Monaten an der Seite seiner Ehefrau Sylvia in Konstanz sah, machte sich ernsthafte Sorgen. „Es ging mir nicht gut“, gibt er offen zu. „Das Ende des Pinocchio hat mir schwer zu schaffen gemacht. Ich war am Ende.“

Von einem Tag zum anderen hatte er seine Aufgabe verloren. Anstatt morgens ins Restaurant zu fahren und mit seinem Küchenteam den Tag vorzubereiten, war da eine tiefe Leere, die sich immer weiter ausbreitete.

Der Eingangsbereich des Restaurant Pinocchio im Frühjahr 2024.
Der Eingangsbereich des Restaurant Pinocchio im Frühjahr 2024. | Bild: Schuler, Andreas

„Es war nicht schön“, berichtet Sylvia Canestrini. „Er musste unbedingt eine Beschäftigung finden.“ Der vierwöchige Urlaub bei Familie und Freunden in Italien war zwar erholsam und brachte das Paar auf andere Gedanken, doch daheim in Konstanz erinnerte ihn zu viel an das Pinocchio: Inventar musste verkauft sowie der eigentliche Verkauf des Hauses abgewickelt werden – somit wurden letzte Bande zum vorherigen Leben gekappt.

Im Inneren des Restaurants hingen mehrere Puppen des namensgebenden Pinocchio.
Im Inneren des Restaurants hingen mehrere Puppen des namensgebenden Pinocchio. | Bild: Schuler, Andreas

In dieser Situation meldete sich Manfred Lang. „Irgendwann kommen wir alle in die Situation, in der wir unser Baby abgeben müssen“, sagt der 61-Jährige. „Der Alltag ist dann plötzlich ein komplett anderer und man fragt sich zwangsläufig: Wer bin ich? Werde ich überhaupt noch gebraucht? Damit muss man erst einmal klar kommen.“

Wie schön ist es, wenn man in einer solchen Phase Menschen an seiner Seite hat, die einem zur Seite stehen. Neben Ehefrau Sylvia war dies im Fall von Maurizio Canestrini eben Manfred Lang. „Gute Freunde erkennt man leichter, wenn das Leben schwerer wird“, lautet das Motto des Unternehmers, der gemeinsam mit seiner Frau Susanne im selben Gebäude auch das Romantik Hotel Residenz am See führt. „Wenn du nicht mehr arbeitest, kristallisiert sich schnell heraus, wer deine wahren Freunde sind. Plötzlich meldet sich nämlich kaum mehr jemand.“

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Doch Manfred Lang, beunruhigt ob des fragilen Zustandes seines Freundes, meldete sich und stellte Maurizio Canestrini einen ganz besonderen Plan vor: Er wolle ihm gerne für rund zehn Tage seine Küche und sein Team um Küchenchef Markus Philippi zur Verfügung stellen, um gemeinsam an seiner Seite die im Pinocchio so beliebten Rezepte zu kochen und den Gästen in Meersburg darzubieten.

Maurizio Canestrini mischt in der Casala-Küche in Meersburg mit

„Was für eine Freude“, erzählt Maurizio Canestrini und schenkt seinem Freund ein Lächeln der Sorte, das mehr sagt als tausend Worte. Fast hat es den Anschein, als seien die guten Lebensgeister zu neuem Leben erweckt worden in dem Mann, der aus der Toskana stammt und in der elterlichen Trattoria im Bergdorf Pieve Santo Stefano schon als Kind lernte, wie man Pasta zubereitet.

Was fehlt noch? Was ist zu viel? Vier Künstler der Küche unter sich (von links): Toni di Paolo, Manfred Lang, Markus Philippi sowie ...
Was fehlt noch? Was ist zu viel? Vier Künstler der Küche unter sich (von links): Toni di Paolo, Manfred Lang, Markus Philippi sowie Maurizio Canestrini sprechen über die Zusammensetzung der Soße für den Wolfsbarsch. | Bild: Schuler, Andreas

Und so stehen die Beiden seit Tagen schon Seite an Seite in der Küche des Casala: Maurizio Canestrini leitet gemeinsam mit seinem langjährigen Küchenchef Toni di Paolo die hoch dekorierten Köche des Casala fachmännisch an, verrät Tipps und Tricks, lüftet kulinarische Geheimnisse – und lebt sichtlich auf.

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Die Menüs, die ab Samstag, 26. Oktober, bis Sonntag, 3. November im Restaurant kredenzt werden (mit Ausnahme der Ruhetage Dienstag und Mittwoch), gleichen einer kulinarischen Reise durch 37 Jahre hohe italienische Kochkunst im Pinocchio – noch sind übrigens nicht alle Tische reserviert: Ossobuco – Kalbshaxenscheiben mit Gemüse und Safran Risotto; Zuppa die Pesce alla Montanara – Fischsuppe mit Pulpo, Fisch, Jakobsmuchel und Gemüse; Fasanenterrine mit Walnuss, Gänseleber und Zwteschgen; Cappeletti in Brodo di Carne – handgemachte gefüllte Teighütchen in Fleischbrühe; Trofie al Pesto – eine Pastaspezialität aus Norditalien mit Ligurischem Pesto und Parmesan oder Ravioli Tartufi – Ravioli mit schwarzem oder weißem Alba Trüffel – und vieles mehr.

„Was für eine Ehre, gemeinsam mit Maurizio seine original italienischen Rezepte zu kochen“, sagt Casala-Küchenchef Markus Philippi. „Ich liebe es, jeden Tag zu lernen. Und von ihm kann ich viel lernen.“

Maurizio Canestrini und sein langjähriger Küchenchef Toni die Paolo machen Ravioli Video: Schuler, Andreas

Maurizio Canestrini rollt Pasta aus, schmeckt Soßen ab, fügt hier noch eine Prise Salz hinzu, reibt dort etwas Trüffel über den Teller – er ist wieder in seinem Element. Zumindest für einige Tage. „Kochen hat viel mit Respekt und Kunst zu tun“, erzählt er und seine Hände schwingen während dieser Worte so herrlich italienisch rhythmisch durch die Luft.

Manfred Lang hört ihm gerne zu. Sie genießen diese besonderen Momente. Und irgendwo in ihren Hinterköpfen schlummern bereits die nächsten Ideen, ihre Freundschaft auch in Zukunft gemeinsam zu auszuleben.