Das Klinikum Friedrichshafen ist ein akademisches Lehrkrankenhaus. Hier gehöre die Versorgung von Patienten im Rahmen einer Studie „zum klinischen Alltag“. So könnten kranke Menschen von neuen, potenziell besseren Möglichkeiten der Behandlung profitieren, die ansonsten noch nicht verfügbar wären. So erklärt das Häfler Krankenhaus, warum es an klinischen Studien teilnimmt. Nicht erklären kann die Geschäftsleitung jedoch, wie Herzpatienten für eine solche Studie ausgewählt wurden.
Massive Vorwürfe
Diese Frage ist auch deshalb von Bedeutung, weil es seit Herbst 2023 massive Vorwürfe gegen das Klinikum gibt. Eine Oberärztin hatte intern über Monate Missstände auf der Intensivstation angeprangert, die öffentlich wurden, als sie sich Anfang Dezember das Leben nahm. Mit im Fokus ihrer Kritik stand derjenige Arzt, der diese klinische Studie in Friedrichshafen geleitet hat. Gegen ihn und zwei weitere Ärzte wird strafrechtlich wegen des Verdachts auf Körperverletzung, fahrlässige Tötung und Abrechnungsbetrug ermittelt. Der Studienleiter streitet die Vorwürfe ab.
Es geht um eine kleine Pumpe, die für große Fragezeichen sorgt. Sie kommt bei Patienten mit schwerem Herzinfarkt zum Einsatz, aber auch bei bestimmten Eingriffen an Hochrisikopatienten im Herzkatheterlabor. Mit einem Draht wird die sogenannte Impella-Pumpe über die Beckenarterie von der Leiste aus bis zur linken Herzkammer des Patienten vorgeschoben und hier platziert. Das Gerät unterstützt den Kreislauf, das Herz kann sich in der Zwischenzeit erholen. Später wird die Pumpe wieder entfernt.
US-Behörde ruft Gebrauchsanweisung zurück
Wie riskant der Eingriff mit dem noch recht neuen Verfahren sein kann, zeigt ein Rückruf der US-Zulassungsbehörde FDA, und zwar der schärfsten Form einer Produktwarnung. Anfang April 2024 rief Hersteller Abiomed wegen schwerwiegender Komplikation quasi die Gebrauchsanweisung für den Einbau der Impella-Pumpen zurück. Das Gerät könne bei Operationen „die Wand der linken Herzkammer durchtrennen“ und zu Blutungen führen. Nach FDA-Angaben wurden weltweit 129 schwere Verletzungen zwischen Oktober 2021 und Oktober 2023 gemeldet, darunter 49 Todesfälle.
Um nachzuweisen, dass die Verwendung dieser Impella-Herzpumpe trotzdem besser für die Patienten ist als bisherige Verfahren, gab und gibt es einige Studien. Seit 2021 läuft „Protect IV“, eine sogenannte randomisierte kontrollierte Studie. Das bedeutet, dass die Teilnehmer per Zufall zwei Gruppen zugeordnet werden. Bei der einen wird die Impella-Pumpe verwendet, bei der anderen eine herkömmliche Ballonpumpe. So lässt sich die Wirksamkeit am besten vergleichen.
Große Studien an über 100 Standorten
An dieser internationalen Studie, die Abiomed sponsert, nimmt auch das Klinikum Friedrichshafen teil. Mehr als 100 Studienorte in den USA und Europa weist das US-Register für klinische Studien aus, davon 16 Kliniken in Deutschland. Darunter sind die Charité in Berlin, das Klinikum rechts der Isar in München oder das Uni-Klinikum Düsseldorf. Alles große Krankenhäuser mit großen Einzugsgebieten. Und doch bekommt der Studienleiter mit seinem Team am vergleichsweise kleinen Klinikum Friedrichshafen im November 2023 den sogenannten „Site Excellence Award“ von Abiomed für die meisten zufällig ausgewählten Patienten, die der „Protect IV“-Studie zugeführt wurden.
Fragwürdige Auszeichnung
Diese Auszeichnung postete der Studienleiter voller Stolz, verbunden mit dem Dank an sein „wunderbares Studienteam“ am MCB. Es ist derselbe Mediziner, gegen den die schweren Vorwürfe erhoben wurden. Die Vorkommnisse waren auch Gegenstand einer internen Untersuchung, deren Zwischenergebnisse seit Mitte Juli vorliegen. In der Folge wurde der Studienleiter mit Beschluss des Aufsichtsrats entlassen. Mit den ersten Ergebnissen der internen Untersuchung geht keine strafrechtliche Bewertung einher.
Laut dem US-Register für klinische Studien wird er immer noch als Studienleiter geführt. Dieser Eintrag sei jedoch nicht mehr aktuell, erklärt das Klinikum Friedrichshafen auf Anfrage. Seit der Studienleiter im März 2024 freigestellt wurde, seien keine Patienten mehr in die Studie eingeschlossen worden. „Zurzeit werden interne Prozesse zur Bestimmung eines neuen Leiters diskutiert“, erklärt die MCB-Sprecherin. Laut US-Register rekrutiert die Klinik aber nach wie vor Patienten.
Wie kann es sein, dass ein Krankenhaus mit 370 Betten und einem durch den Bodensee stark begrenzten Einzugsgebiet mehr Patienten für die „Protect IV“-Studie rekrutiert als große Kliniken in Großstädten? Wie viele herzkranke Menschen in Friedrichshafen mit der Impella-Pumpe behandelt wurden, weiß offenbar nicht einmal die Geschäftsleitung. „Diese Frage können wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten.“ Auch eine entsprechende Anfrage an den bisherigen Studienleiter bleibt unbeantwortet – genau wie die Frage, wie am Klinikum Friedrichshafen die Patienten für die Studie überhaupt rekrutiert wurden.
Fallpauschale plus Entgelt von 17.000 Euro
Laut US-Register sollen rund 1250 Patienten weltweit in diese Studie eingeschrieben werden. Ob in Friedrichshafen stets alle Kriterien bei der Auswahl der Patienten erfüllt wurden, bei denen eine Impella-Pumpe zum Einsatz kam, ist fraglich. Vor zwei Jahren konnten Krankenhäuser für die Verwendung einer Impella-Pumpe mit Smart-Assistent zusätzlich zur Fallpauschale ein Entgelt von 17.000 Euro abrechnen. Mit solchen Behandlungen lassen sich hohe Einnahmen erzielen.

Doch wer am Klinikum Friedrichshafen hat diese Studien am Patienten nach rechtlichen und ethischen Kriterien begleitet und kontrolliert? Auf Anfrage erklärt die Geschäftsleitung, dass der Antrag für sogenannte Multicenter-Studien, die an mehreren Krankenhäusern laufen, „meist“ von den Ethikkommissionen der Unikliniken oder der Landesärztekammer geprüft und bewilligt werden.
Das bestätigt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Bei „Protect IV“ handele es sich um eine „klinische Prüfung nach Marktzugang mit zusätzlichen invasiven oder belastenden Verfahren für die Prüfungsteilnehmer“. Bevor sie beginnen durfte, sei eine Bewertung unter Federführung einer zuständigen Ethikkommission erfolgt. Die Zustimmung zur klinischen Prüfung sei dem BfArM angezeigt worden.
Welche Ethikkommission die Impella-Studie in Friedrichshafen überprüft, bleibt offen. Die Landesärztekammer jedenfalls verweigert aus Datenschutzgründen jedwede Auskunft zu Forschungsvorhaben.