In der Aula der Camphill-Schulgemeinschaft Bruckfelden herrscht Aufregung an diesem Nachmittag. Vor allem auf den Bänken unmittelbar vor der Manege des Mitmach-Zirkus Faranuka wuselt es. Denn dort sitzen 14 bis 24 Jahre alten Menschen mit Assistenzbedarf, die mitmachen beim Zirkusprogramm “Von wahrer Größe“ – und die aufgeregt sind. Der geistig behinderte Jacob beispielsweise sucht körperlichen Halt bei seinem Lehrer. Lars dreht sich immer wieder zu seiner Bezugsperson zwei Reihen hinter ihm um. „Jetzt geht‘s los“, ruft er, als die Köpfe der Zirkusclowns kurz zwischen den Bühnenvorhängen erscheinen.

Zirkusleute flechten Laien-Artisten in Aufführung ein

Die Aufregung legt sich hörbar, als die ersten Töne des Faranuka-Zirkuslieds über das Glücklichsein und das Weitergeben von Glück erklingen. Immer wieder flechten Zirkusdirektor Jemino und Clownfrau Johanna Marin die jungen Menschen mit Unterstützungsbedarf in ihre Aufführung mit ein. Ganz behutsam holen sie die jungen Laien-Artisten ab. Wer vorher noch Halt gesucht oder nervös gerufen hat, lässt sich nun von Clownshänden leiten.

Desideria (rechts) überwindet während des Zirkusprogramms ihre Schüchternheit und tritt mit ihren gehandicapten Kollegen vor Publikum auf.
Desideria (rechts) überwindet während des Zirkusprogramms ihre Schüchternheit und tritt mit ihren gehandicapten Kollegen vor Publikum auf. | Bild: Martina Wolters

Was die Jugendlichen zeigen, überrascht nicht nur die Eltern und Freunde im Publikum. Auch die betreuenden Lehrer freuen sich und applaudieren kräftig. So sind alle verblüfft, als der zuvor unruhig mit den Händen wedelnde Sascha zuallererst auf eine auf und zu klappende Leiter steigt und oben ruhig stehen bleibt. „Ich war bass erstaunt“, kommentiert Roberto di Nucci, Internatsleiter für den Bereich Wohnen, was die Camphill-Jugendlichen an fünf Vormittagen zusammen mit den Zirkuspädagogen von Faranuka erarbeitet haben.

Zwei Schülerinnen erzählen vom Alltag im Internat

Natalie (rechts) macht das Balancieren auf einem wippenden Brett viel Spaß.
Natalie (rechts) macht das Balancieren auf einem wippenden Brett viel Spaß. | Bild: Martina Wolters

Alltag der Schüler mit Beeinträchtigung oft belastend

Roberto di Nucci verweist auf die geistigen, körperlichen und sozialen Beeinträchtigungen ihrer Schüler, die es ihnen erschwerten, auf Balken und Bällen zu balancieren, zu jonglieren, Purzelbäume zu schlagen oder eben auf Leitern zu klettern. Das Zirkusprojekt sei ausdrücklicher Wunsch der Schule gewesen, weil der Alltag in der Schule oft schwer und manchmal sogar eintönig und traurig werden könne.

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Leistungsbegriff spielt hier keine Rolle

Warum die Jugendlichen beim Zirkus recht gut mitgemacht und ungewohntes Können gezeigt hätten? Das sei vor allem der besonderen Zirkusatmosphäre, dem Material und dem erfahrenen Zirkuspersonal um Regisseurin Simona Fiori geschuldet, meint Di Nucci. „Das beste Mittel, um unangenehmen Gewohnheiten zu begegnen, ist, etwas Neues zu lernen“, fügt der Pädagoge aus seiner 30-jährigen Erfahrung hinaus hinzu. Er sei sicher, dass alle Beteiligten viel Spaß haben, ebenso wie die Zuschauer, und über sich hinauswachsen können. Der sonst in der Gesellschaft übliche Leistungsbegriff komme hier nicht zum Tragen.

In seinem Alltag ist Jacob (rechts) wegen seiner geistigen Behinderung stark eingeschränkt, beim Zirkusprojekt wächst er über sich ...
In seinem Alltag ist Jacob (rechts) wegen seiner geistigen Behinderung stark eingeschränkt, beim Zirkusprojekt wächst er über sich hinaus und balanciert über einen Balken. | Bild: Martina Wolters

Schöne Abwechslung vom Unterricht

Desideria und ihre Camphill-Schulkollegin Natalie haben das Zirkus-Projekt gern mitgemacht. Die 21-jährige Natalie sagt, sie habe es als „Chance genutzt, um auch einmal auf der Bühne zu stehen“. Es sei außerdem eine schöne Abwechslung vom Unterricht. Toll sei, dass auch die schwachen Mitschüler mitmachen können. Desideria findet es für sich wichtig, ihre große Schüchternheit zum Teil zu überwinden. Besonders gefallen hat der 19-Jährigen das Anmalen der Zirkus-T-Shirts für den Auftritt der Camphill-Artisten. Das gemeinsame und nahe im Kreis Stehen am Schluss der Aufführung erfordert nochmals viel Disziplin von den Mitwirkenden, bevor sie endgültig die Manege verlassen und in den Internatsalltag zurückkehren können.