Faule Schüler und Lehrer? Von wegen! Laut einer Umfrage des Deutschen Kinderhilfswerks und Unicef überschreiten Schülerinnen und Schüler im Alter von 15 bis 19 Jahren die 45-Stunden-Woche. Bereits ab 13 Jahren arbeitet ein Schüler schon etwa 44 Stunden für die Schule pro Woche, heißt es in dem Bericht zur Umfrage. Die Arbeitsbelastung ist also hoch – und führt nach Angaben einer DAK-Studie bei 43 Prozent der Schüler zu Stress.

Psychische Erkrankungen bei Schülern nehmen zu

Zugleich zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes , dass die psychischen Erkrankungen der Zehn- bis 17-Jährigen seit zehn Jahren deutlich ansteigen. Etwa 20 Prozent aller Jugendlichen müssen aufgrund von psychischen Erkrankungen stationär behandelt werden. Durch die Corona-Pandemie haben sich die seelischen Belastungen der Jugendlichen nochmal verstärkt. Laut einer Studie der Uniklinik Hamburg haben viele Schüler mehr emotionale Probleme, Angststörungen und psychosomatische Beschwerden entwickelt.

Der SÜDKURIER hat mit Schülerin Simone Krieger und Gymnasiallehrer Oliver Kästle über Schulstress, Belastungsfaktoren und die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit gesprochen.

Simone Krieger sucht sich bewusst einen Ausgleich zum stressigen Schulalltag. Sie singt im Chor, trainiert im Gym und trifft sich so oft ...
Simone Krieger sucht sich bewusst einen Ausgleich zum stressigen Schulalltag. Sie singt im Chor, trainiert im Gym und trifft sich so oft es geht mit Freunden. | Bild: Verena Lang

Wie äußert sich Schulstress?

Simone Krieger: Besonders in den Klausurenphasen habe ich Stress. Das äußert sich mittlerweile auch psychosomatisch. Immer wieder kämpfe ich mit Bauchschmerzen oder Blasenbeschwerden. Erst nachdem ich mehrere Male beim Arzt war und nie Infekte festgestellt werden konnten, kam ich auf den Zusammenhang von Schulstress und meinen körperlichen Beschwerden.

Oliver Kästle: Es gibt stressige und nicht-stressige Phasen. In der Zeit vor Weihnachten und Pfingsten, wenn sich Klassenarbeiten häufen, habe ich viel zu tun. Wie zeigt sich das? Ich habe das Gefühl, nicht mehr richtig abschalten zu können, da ich immer daran denken muss, was am nächsten Tag zu erledigen ist. Jedoch differenziere ich zwischen Arbeit und Stress. Arbeit habe ich immer. Gestresst bin ich erst, wenn etwas Unerwartetes passiert. Beispielsweise kann ich in einer Hohlstunde Geplantes nicht bewältigen, wenn ich für einen kranken Kollegen einspringen muss.

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Was könnte man tun, damit sich der Schulstress vermindert?

Simone: Es würde leichter fallen, zusammen an dem Problem zu arbeiten, wenn einige Lehrer mehr Verständnis zeigen würden. Zum Beispiel im Ausnahmezustand Corona ist leider vieles an Übung und Stoff ausgeblieben, was nun einige Nachteile mit sich bringt. Seit meiner ersten GFS (Anm. d. Red.: Präsentation zur gleichwertigen Feststellung einer Schülerleistung) in der siebten Klasse war aufgrund des Lockdowns keine mehr gefordert. In der Kursstufe werden normal drei Präsentationen gehalten. Diesen Ansprüchen muss ich trotz Lockdown-Lücken ohne Übung nachkommen. Mit mehr Nachsicht wäre es möglich, auch das große Ganze, also Schulsystem und Lehrplan, auch mit Rücksicht auf Krisensituationen, auf die Möglichkeiten der Beteiligten anzupassen.

Kästle: Ich arbeite im vollen Deputat, das heißt 25 Stunden in der Woche. Mit etwa einer Zeitstunde Vorbereitung pro Deputatsstunde ist das dann schon eine ganze Menge. Das Klassenlehreramt kommt auch noch dazu. Daher wären kleinere Klassen, zum Beispiel mit 15 statt 30 Schülern, sowohl für Schüler aber auch Lehrer angenehmer. Der Lehrermangel ist auch ein entscheidender Faktor, der den Stress für das Individuum erhöht. Wie ja auch schon erwähnt, sind gerade Vertretungsstunden Zeiträuber. Kleinere Klassen und neue, zusätzliche Kollegen würden mir den Schulalltag erleichtern.

Sie haben drei Tage recherchiert, interviewt und geschrieben: Pekka Stapelfeldt, Redakteurin Sabine Wienrich, Rabea Stiens, Simone ...
Sie haben drei Tage recherchiert, interviewt und geschrieben: Pekka Stapelfeldt, Redakteurin Sabine Wienrich, Rabea Stiens, Simone Krieger, Verena Lang, Tessa Fehres und Eva Schölzel (v.l.) beim Digitalreporter-Projekt im Graf-Zeppelin-Gymnasium. | Bild: Pekka Stapelfeld

Simone, was denkst du: Wie wirkt sich der Schulstress auf deine Lehrer aus?

Bereits erwähntes mangelndes Verständnis ist wahrscheinlich auch bei meinen Lehrern auf Stress zurückzuführen. Viele von ihnen sind durch kleine Zwischenfälle schnell gereizt. Möglicherweise ist es für die Lehrer genauso stressig, uns den ganzen Stoff in so kurzer Zeit beizubringen, wie für uns das dann alles zu lernen.

Oliver Kästle hat sein Abi 2011 gemacht- Er weiß, was das für Schülerinnen und Schüler bedeutet.
Oliver Kästle hat sein Abi 2011 gemacht- Er weiß, was das für Schülerinnen und Schüler bedeutet. | Bild: Verena Lang

Herr Kästle, wie ist das wohl für Ihre Schüler?

Ich denke, dass vor allem die gewollte Umstellung von G9 auf G8 viele Probleme schafft. Zu meiner Zeit mit G9 hatte ich weniger Mittagsschule und somit mehr Zeit für mich und meine Freizeit. Das bleibt dann heute mit G8 auf der Strecke. Währenddessen hat sich an der Stoffmenge trotzdem nichts geändert. Die Schüler müssen also das alles in nur acht anstatt neun Jahren schaffen. Das ist machbar, aber natürlich sehr viel anspruchsvoller. Wie gesagt, merkt man das gerade in den Klausurenphasen.

Ich finde es krass, dass sich der Stress in so jungen Jahren schon derart körperlich äußert. Man muss unbedingt auf einen gemeinsamen Nenner kommen, denn Simone hat recht, auch uns Lehrern sitzt der Stoff im Nacken. Ich selbst fehle eigentlich nie und schaffe es trotzdem oft erst in der letzten Schulwoche, den Stoff komplett durchzubringen.