Emma Tischer ist 15 Jahre alt – ein Alter, in dem viele ihre ersten Erfahrungen mit Alkohol machen, auf Partys gehen, vielleicht ein wenig schwierig und richtungslos sind. Emma Tischer ist anders, diszipliniert, sie hat ein Ziel: Sie möchte in der ersten oder zweiten Volleyball-Bundesliga spielen.

Unrealistisch ist das nicht. Die Friedrichshafenerin wurde am Bundesstützpunkt Münster aufgenommen, wo sie nun ab August ausgebildet wird: „Überregional herausragende Volleyball/Beach-Volleyball-Talente“, heißt es vom Westdeutschen Volleyball-Verband, werden hier gefördert. Sie machen am Bundesstützpunkt zwar auch ihr Abitur, haben aber vor allem viel Zeit, um zu trainieren und den Sport zu forcieren.

Das ist einerseits natürlich eine große Chance. Andererseits muss die 15-Jährige dafür etwa 660 Kilometer in die Ferne ziehen, was auch für ihre Eltern Claudia und Simon Tischer nicht einfach ist. Wenige Tage vor Emmas geplanter Abreise sitzt die Familie auf ihrer Terrasse und erzählt, wie sie dem Auszug entgegenblickt. Emmas kleiner Bruder Freddy kann leider nicht dabei sein.

Emma Tischer mit ihren Eltern Simon und Claudia. Im August beginnt die 15-Jährige ihre Zeit beim Bundesstützpunkt Münster.
Emma Tischer mit ihren Eltern Simon und Claudia. Im August beginnt die 15-Jährige ihre Zeit beim Bundesstützpunkt Münster. | Bild: Simon Conrads

Die Fußstapfen des Vaters

Da die Schule in Nordrhein-Westfalen schon Anfang August wieder beginnt, hat Emma dieses Jahr fast keine Sommerferien. Aber dass der Leistungssport einige Entbehrungen mit sich bringt, wissen die Tischers. „Das ist einer der Hauptaspekte am Leistungssport: dieses Opferbringen, der Verzicht“, sagt Simon Tischer. Er spricht aus Erfahrung: Viermal wurde er mit dem VfB Friedrichshafen deutscher Volleyball-Meister, gewann die Champions League, spielte im Laufe seiner Karriere außerdem in Griechenland, der Türkei, in Russland, Polen und Frankreich und über 200 Partien für die deutsche Nationalmannschaft.

Simon Tischer 2018 nach seinem letzten Spiel im Trikot des VfB Friedrichshafen. Der Kapitän nimmt Abschied. An seiner Seite: Tochter Emma.
Simon Tischer 2018 nach seinem letzten Spiel im Trikot des VfB Friedrichshafen. Der Kapitän nimmt Abschied. An seiner Seite: Tochter Emma. | Bild: Günter Kram I SK-Archiv

2018 beendete Simon Tischer seine Karriere, heute arbeitet er im Finanz-Controlling bei Zeppelin Systems. „Ich habe so viel trainiert und bin so viel rumgefahren, dass ich die ganzen normalen Entwicklungen als Teenager nicht mitmachen konnte“, sagt er rückblickend. Trotzdem freut er sich, dass seine Tochter in seine Fußstapfen tritt, denn: „Es überwiegen bei Weitem die positiven Erfahrungen. Im Nachgang würde ich nichts anders machen.“

Im Familienleben der Tischers spielt Volleyball seit jeher eine große Rolle.
Im Familienleben der Tischers spielt Volleyball seit jeher eine große Rolle. | Bild: Simon Conrads

Der Ex-Profi selbst habe nie die Chance gehabt auf eines der Volleyball-Internate zu gehen. Als Spätentwickler sei er etwas älter gewesen als seine Tochter, als er sich für den Leistungssport empfahl. „Ich bin sehr stolz, dass Emma jetzt die Möglichkeit bekommt, die ich nie hatte“, sagt er. In Deutschland gebe es keine bessere Ausbildung für junge Volleyballer und Volleyballerinnen. Emma selbst spricht von einer „Ehre“, am Bundesstützpunkt aufgenommen worden zu sein. Darüber, dass sie nun keine Sommerferien hat, sagt sie nüchtern: „Das ist halt so und das ist es mir auch wert.“

Macht sie sich Sorgen?

Bekommt sie es denn langsam mit der Angst zu tun, je näher der Auszug rückt? „Angst würde ich das nicht nennen“, sagt sie. „Ich bin auf jeden Fall ein bisschen aufgeregt.“ Das sei aber eher eine Vorfreude. Sorgen mache ihr vor allem die Frage, ob der Kontakt mit ihren Häfler Freundinnen und Freunden hält – und dass sie im Internat selbst den Haushalt schmeißen muss. Ihre Eltern sind aber zuversichtlich, dass sie das schafft. Am Bundesstützpunkt gebe es mit Bezugspersonen außerdem so etwas wie einen Eltern-Ersatz, an den sich die jungen Sportler und Sportlerinnen mit Problemen wenden können.

Das könnte Sie auch interessieren

In Münster wird Emma zunächst im Verein eines Nebenorts eingesetzt, der in der Oberliga spielt. Zum Bundesstützpunkt gehört die Mannschaft VCO Münster, die in der zweiten Bundesliga mitmischt. Innerhalb der vier Jahre im Internat wäre es also das Ziel, in diese Mannschaft aufgenommen zu werden. „Natürlich ist da Konkurrenz, weil alle groß rauskommen wollen“, sagt Emma über die Stimmung unter den Volleyballerinnen. „Aber wir treten ja als Team auf.“ Das bremse den Wettbewerb etwas aus. Am Bundesstützpunkt sind auch Talente aus anderen Sportarten untergebracht, sodass die jungen Menschen sich ohnehin nicht alle miteinander vergleichen müssen. In einer Schnupperwoche in Münster habe Emma bereits erlebt, dass die Gemeinschaft unter den Sportlern sehr groß sei. „Da haben sich alle Jungs und Mädels, egal welchen Alters, gut verstanden und viel zusammen gelacht“, sagt sie.

Der Abschied kommt plötzlich

Obwohl das alles gut klingt, fällt den Eltern der Abschied natürlich schwer. „Ich weiß nicht, ob man sich vorbereiten kann, wenn ein Kind Abitur macht und dann studieren geht. Aber das ist jetzt schon sehr plötzlich“, sagt Claudia Tischer. Dass Emma geht, steht erst seit wenigen Monaten fest. „Ich kann sie guten Gewissens gehen lassen. Nur… sieht man ja.“ Sie zeigt auf ihre glasigen Augen, woraufhin Emma versichert: „Ich rufe dich ganz oft an!“ Alle zwei Tage soll sie sich melden, auch wenn es nur eine kurze Textnachricht ist. Und wenn sie im Internat mal Durchhänger habe, seien ihre Eltern selbstverständlich für sie da. „Die Unterstützung hört ja nie auf und die Tür ist immer offen“, sagt Simon Tischer. „Ich bin als Vater so stolz, dass Emma ein Ziel hat. Egal, ob das klappt oder nicht, unterstützen wir sie voll.“

Wie es nach dem Internat weitergehen könnte

Nach ihrer Zeit am Bundesstützpunkt wird sich zeigen, wo es für Emma Tischer hingeht. Friedrichshafen käme wohl nicht infrage. Im Normalfall würden Vereine der 1. und 2. Bundesliga an die Absolventen der Bundesstützpunkte herantreten und Angebote machen. „Aber das ist noch weit weg“, sagt Emma Tischer. Und ihre Mutter macht sich ohnehin keine Illusionen: „Wir gehen nicht davon aus, dass Emma nach den vier Jahren wieder hier einzieht.“ Da Emma vereinbart hat, weiterhin in der Baden-Württemberg-Auswahl spielen zu können, wird sie in den kommenden Jahren trotzdem immer mal wieder in die Heimat kommen – und kann sich hier Spiele ihres Bruders anschauen, der ebenfalls eine Leidenschaft für den Sport hat.