Friedrichshafen – Manchmal muss Nicole Meichle noch arbeiten, wenn ihre Tochter schon zu Hause ist. "Dann ist es für mich beruhigend, dass ich weiß, die Nachbarn sind da, sie kann jederzeit dahin, wenn etwas wäre", sagt die alleinerziehende Mutter. Sie wohnt seit einem Jahr in den "Lebensräumen" in Kluftern. "Ich habe mich gleich in das große Wohnzimmer verliebt", sagt sie.
Gezeigt hat ihr die Wohnung Peter Jonischkeit, der seit zwei Jahren mit Edelpapagei Rocky hier wohnt und dem Bewohnerbeirat angehört. "Wir organisieren Aktivitäten, die die Gemeinschaft fördern und sind Ansprechpartner für Bewohner und Träger", sagt er. Manche Probleme ließen sich leicht vor Ort lösen, wenn alle miteinander redeten, die Entrümpelung des Fahrradkellers etwa. Er sieht auch immer noch etwas, das besser sein könnte: "Wir bräuchten ein Bänkchen vor der Haustür, mit etwas Grün, für spontane Gespräche und Begegnungen", sagt er. Der Platz vor der Tür ist gepflastert und zu klein. Aber Jonischkeit lässt nicht locker. "Irgendwann bekommen wir da auch noch einen Knopf dran."

Seine Nachbarin wohnt von Anfang an hier. Ihr Sohn lebt mit seiner Familie in Fischbach, außerdem hat sie die Infrastruktur mit Bäcker, Laden, Bushaltestelle und Ärzten schon damals überzeugt. Seitdem haben sich feste Freundschaften gebildet. Sie besuchen einander und haben sich ihre Wohnungsschlüssel anvertraut. "Wenn ich mich aussperre, muss ich nur hochgehen", sagt sie. Sie schätzt das Miteinander im Haus, geht zum Singkreis und zu den Kaffeenachmittagen. "Anfangs war hier noch mehr Gemeinschaft", sagt sie. "Da haben wir oft abends noch in den Laubengängen zusammengesessen."
In den "Lebensäumen" in Kluftern wohnen junge und alte Menschen, mit Handicap oder Kindern, mit deutschem oder anderem Pass unter einem Dach. Jede Partei hat eine eigene Wohnung, manche im Eigentum. Aber alle kennen einander. Nachbarschaftshilfe ist das Grundprinzip der Klufterner Lebensräume. "Wir treten ein für einen respektvollen Umgang miteinander, für nachhaltige Beziehungen", sagt Gemeinwesenarbeiterin Yvonne Denzler. Sie kommt zweimal in der Woche her, moderiert Spannungen und sorgt für Gelegenheiten, einander kennenzulernen und Gemeinschaft zu erleben.
Der frisch renovierte Sozialraum ist das Herz der Anlage – hier treffen sich die Bewohner zum Feiern, Turnen oder Singen. Denzler organisiert Vorträge, zu Geschwisterverhältnissen etwa. Für das nächste Jahr plant sie einen runden Tisch für alle sozialen Einrichtungen am Ort. Das Landratsamt lädt einmal wöchentlich zum Familienfrühstück ein. "Das ist von Anfang an gut angekommen", sagt Denzler. "Jetzt bringen die Familien selbst etwas mit, wenn vom Landratsamt keiner Zeit hat." Die jungen Mütter, die sich dort kennengelernt haben, verabreden sich wöchentlich zum Basteln in den Lebensräumen.
"Wer hier einzieht, sollte bereit sein für Begegnungen", sagt Denzler. Die können ganz verschieden sein. Der 12-jährigen Maria etwa hat Jonischkeit schon dabei geholfen, eine Präsentation für die Schule zu machen – dass er im Rollstuhl sitzt, ist für sie inzwischen normal. "Ich hab ja nichts, ich hab nur ein Handycap", sagt Jonischkeit. Zum Adventsnachmittag ist die afghanische Flüchtlingsfamilie erschienen, die hier auf ihre Anerkennung wartet. Nach dem gemeinsamen Singen und Plätzchenessen fragt eine Bewohnerin: "Und wie feiert ihr in Afghanistan Weihnachten?" Es entsteht eine Diskussion zwischen deutschen, afghanischen und türkischen Bewohnern über religiöse Bräuche. Manche, wie das Fasten, sind überraschend ähnlich, stellen sie fest.

Die Heilpraktikerin Daniela Meixner bietet mehrmals in der Woche Yoga-Kurse an. Als eine ältere Dame mit Knieproblemen bei ihr anfragte, entwickelte sie kurzerhand das Programm "Yoga auf dem Stuhl": schonende Bewegungen, die trotzdem Gelenke geschmeidiger machen und Muskeln kräftigen. "Es geht nicht darum, sich zu verrenken oder zu überanstrengen. Diese Art Yoga tut einfach gut", sagt sie. "Und es können alle kommen, die in Kluftern wohnen." Eine Frau, die seit der Schnupperstunde regelmäßig dabei ist, bringt mittlerweile Mutter und Schwiegermutter mit. Denzler war neulich bei einer der Isek-Diskussionsrunden. "Alle redeten von generationenübergreifendem Wohnen – wir haben das hier schon seit 13 Jahren."
Gutes Miteinander in den Lebensräumen
Die Lebensräume Kluftern sind eine generationenübergreifende Wohnanlage. In dem Haus hinter der Apotheke befinden sich 14 barrierefreie Wohnungen mit zwei bis viereinhalb Zimmern, einem Sozialraum und einem Pflegebad. 32 Menschen wohnen hier, davon zehn Kinder. Zwei Drittel der Wohnungen werden an Senioren vermittelt. Gutes Miteinander ist ein Anliegen der Lebensräume: Selbst- und Nachbarschaftshilfe stehen im Vordergrund. Um die zu fördern, ist Gemeinwesenarbeiterin Yvonne Denzler zweimal in der Woche im Büro – und sonst bei Bedarf ansprechbar. Zweimal im Jahr tagt die Einwohnerversammlung, Veranstaltungen wie Vorträge, Gymnastik oder Kaffeenachmittage dienen dem Zusammenhalt. Ein Beirat der Bewohner hat bei Neuvermietungen ein Mitspracherecht. Der Begegnungsraum steht allen Mitbürgern offen. Sie können zu Veranstaltungen kommen, sich austauschen oder etwas anbieten. Auch für private Feiern ist der Raum zu mieten, sowohl für Bewohner als auch für Außenstehende. Träger der Wohnanlage ist die St.-Anna-Hilfe, eine Tochtergesellschaft der Stiftung Liebenau. (cor)