Es ist mehr eine Wassertaufe als eine Einweihung, doch auch das schlechte Wetter kann nicht verhindern, dass die Besucher zur Großskulptur „Energia Vitale“ von Riccardo Cordero ähnlich reichhaltig wie der Regen strömen. Allerdings wird der Festakt vom neuen Platz vor der neuen Brunnisachhalle in die Halle selbst verlegt. Die Redner haben es dadurch nicht leicht, denn ihre Ansprachen konkurrieren mit der satten Geräuschkulisse des Kinderbetreuungsprogramms, das in der Halle stattfindet.
„Energia Vitale“ ist nicht nur der Titel der 3,50 Meter hohen Skulptur; diese Lebensenergie kennzeichnet auch den 74-jährigen Künstler aus Turin, der sie geschaffen hat: „Er hat eine bewundernswerte Schaffenskraft in einem Alter, in dem der normale Bürger hinterm Ofen sitzt und seinen Lebensabend genießt“, sagt der „Kunst in Kluftern“-Beirat Andreas Zehle, von dem die Anregung zu einem 13. „Tor“ am Ortsrundweg Kluftern stammte. 2011 war das, und ursprünglich war der Künstler Boris Petrovsky beauftragt worden, es zu schaffen. Wegen statischer Probleme und damit verbundener Mehrkosten wurde sein Entwurf aber nicht umgesetzt. Als Zehle und der „Ortsrundweg Kluftern“-Koordinator Gunar Seitz dann im September 2015 in der Galerie Wohlhüter in Leibertingen auf die Skulpturen Riccardo Corderos stießen, ging alles ganz schnell. Von der „Entdeckung“ des Künstlers bis zur Einweihung von „Energia Vitale“ verging kein Jahr.
Skulpturen zu schaffen, die sich empathisch auf den Raum einlassen, in dem sie aufgestellt werden – das bezeichnet Cordero in seiner von Lucia Kühnle übersetzten Rede als roten Faden seiner Arbeit. „Ich wünsche mir, dass das Werk angenommen, geschätzt und – warum auch nicht – geliebt wird“, so Cordero weiter, der dazu einlädt, ins Innere der dynamischen Formen zu treten und sie auf sich wirken zu lassen. An anderer Stelle sagte Cordero, die expressiven Linien von „Energia Vitale“ erinnerten an das Leben in einer Stadt. Dieses Leben durchfahre sie „wie ein Blitz“. Andreas Zehle spricht denn auch von einem imaginären Zentrum, an dem sich diese Kräfte bündeln.
Zum besagten Leben am neu geschaffenen Platz soll die Skulptur freilich beitragen. Durch sie bekomme der Platz ein Wahrzeichen, sagt Ortsvorsteher Michael Nachbaur und zitiert August Everding: „Kunst ist aufregend, anregend, anstoßend“, wie zum Beleg, dass man sich hier nicht für eine bequeme, harmlose Arbeit entschieden hat.
In „Energia Vitale“ steckt nicht nur ein Leben, das sich über die Betrachtung erschließt, sondern sie hat auch ein „Klangleben“. Das wollte der Musiker und Komponist Uli Johannes Kieckbusch (Balingen) bei der Einweihung erkunden – die Skulptur sollte zum Instrument, zur Trommel, werden. Wegen des Regens findet die Uraufführung aber in der Halle statt, ohne die Skulptur selbst – mit den metallischen Klängen von Daumenklavieren, einer Trommel, Kieckbuschs Stimme und einer Loopstation, mit der er die erzeugten Klänge als Endlosschleife übereinander schichtet. Der Vielfalt flirrender Klangtupfen, die dabei entsteht, fehlt es an Lebendigkeit in der Tat keineswegs.
Bürgermeister Andreas Köster würdigt in seiner Ansprache die Gruppe „Kunst in Kluftern“ als treibende Kraft hinter dem Ortsrundweg Kluftern und er rollt die Geschichte des Ortsrundwegs auf. 2005 schuf Erika Zehle, das erste „Tor“ des Wegs, „Schlag auf Schlag folgten die nächsten“, und mit Riccardo Corderos Großskulptur wird der Ortsrundweg nun zum Abschluss gebracht. In Andreas Zehles Laudatio wiederum klingt Stolz an, hierfür einen zweifachen Teilnehmer der Biennale in Venedig gewonnen zu haben, der international tätig ist und demnächst in Peking eine Arbeit aufstellen wird, die derjenigen in Kluftern ähnelt. In Kluftern nun seine erste Skulptur in ganz Deutschland öffenlich platzieren zu können, das freut wohl am meisten den Künstler selbst. Auch Gunar Seitz hat besonderen Grund zur Freude, der über den aktuellen Anlass noch hinausgeht: dass der Ortsrundweg Kluftern über Klufterns Grenzen hinaus wirkt und zum Netz der Bodensee-Kunstwege (www.bodenseekunstwege.eu) geführt hat.
Es wird vielen gedankt in der neuen Brunnisachhalle, ohne die die Skulptur „Energia Vitale“ nicht realisiert worden wäre: der Stadt Friedrichshafen, dem Landkreis, der Zeppelin GmbH, der Sparkasse Bodensee, den OEW und der Volksbank Überlingen; in tatkräftiger Hilfe, die Spenden nicht ausschließt, überdies der Karl Schobloch GmbH, der Karbus Ingenieurgesellschaft und der Zimmerei Franz Wurst.