Es kommt nicht oft vor, dass eine Fraktion beantragt, einen Ratsbeschluss zurückzunehmen. Der Verwaltung liegt seit Freitag solch ein Antrag des Netzwerks für Friedrichshafen vor. Es sei ein „fataler Fehler“ gewesen, im Januar 2024 die Pläne für den Neubau der Eisenbahnbrücke über die Rotach an der Aistegstraße durchzuwinken. Deshalb sollte der Rat die Zustimmung am Montag quasi rückwirkend kassieren. Begründung: Die Pläne des Eisenbahnbundesamts seien „kritiklos vorgestellt“ worden, obwohl „gewichtige private Einsprüche bekannt waren, die erhebliche Zweifel an der Bahnplanung geltend machten“.

Ziel: Klage gegen Planfeststellung

Nicht nur das: Die Fraktion will per Ratsbeschluss parallel erreichen, dass die Stadt gegen die Planfeststellung der neuen Brücke Klage beim Verwaltungsgericht in Mannheim einreicht. Das müsste allerdings bis zum 17. April auf den Weg gebracht werden, um die vierwöchige Frist einzuhalten. Bis dahin findet aber keine reguläre Sitzung des Gemeinderats mehr statt, weshalb es am Montag zum Schwur hätte kommen müssen. Im Erfolgsfall, so das Kalkül der Ratsfraktion, werde Zeit gewonnen, um Zweifel auszuräumen, dass das Flussbett der Rotach an dieser Stelle nicht hochwassersicher ist.

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Die lauteste Kritikerin ist Sanne Weber, die seit Jahrzehnten nahe der Brücke an der Rotach lebt. Sie sieht mit der Planung für die neue Brücke die Chance verschenkt, ein potenzielles Nadelöhr für den Fluss im Stadtgebiet zu beseitigen – und das wohl für die nächsten Jahrzehnte. Klimawandel hin oder her: Die Bahn AG plant das neue Bauwerk in der gleichen Größe wie bisher. Nur die Mittelstütze fällt zugunsten einer Hochwasserschutzwand weg.

Engstelle wird anerkannt

Dass die Brücke „eine Engstelle im Verlauf der Rotach“ darstellt, räumt das Eisenbahnbundesamt in den Unterlagen selbst ein. Nur: Warum werde diese Engstelle dann nicht beseitigt, fragt Sanne Weber. Ihrer Meinung nach müsste der Abstand der Brückenfundamente um mindestens sieben Meter auf 24 Meter vergrößert werden, um auch ein 100-jähriges Hochwasser sicher ableiten zu können.

Sanne Weber (rechts) sammelt mit Claudia Schmid Müll an der Rotach.
Sanne Weber (rechts) sammelt mit Claudia Schmid Müll an der Rotach. | Bild: Corinna Raupach

Für die streitbare Anwohnerin ist es unlogisch, warum diese Brücke schmaler bleiben soll als beispielsweise die flussaufwärts liegende Messebrücke. Die habe eine lichte Breite von knapp 27 Meter zwischen den Fundamenten, die an der Aistegstraße künftig nur 18,5 Meter. „Eigentlich sollte es logisch sein, dass sich der Flussquerschnitt zur Mündung hin kontinuierlich verbreitern sollte. 100-jährige Engstellen auch noch zu zementieren, ist eine horrende planerische Fehlleistung, die nach Ereignissen wie denen in Ahrweiler 2021 vollkommen ausgeschlossen sein müsste“, wettert Sanne Weber.

Rotach schon beim zehnjährigen Hochwasser voll?

Für das Netzwerk liegt der Fehler auf der Hand. Schon beim Hochwasserausbau der Rotach vor 40 Jahren sei die damalige Vorgabe, welche Abflusskapazität gewährleistet sein muss, unterlaufen worden. Statt 88 Kubikmeter pro Sekunde waren es unter der Brücke tatsächlich nur 60, argumentiert die Fraktion. Diesen Wert spuckte die Messstation des Regierungspräsidiums 85 Meter flussabwärts beim Hochwasser am 29. Januar 2021 aus. „An diesem Tag war die Rotach bis zur Dammkrone voll“, steht in dem Antrag des Netzwerks. Zum Vergleich: Im Normalfall plätschert die Rotach mit nur knapp einem Kubikmeter pro Sekunde so dahin.

Hochwasser an der Rotach am 29. Januar 2021. Kurz vor der Mündung in den Bodensee ist kaum noch Platz unter der Brücke.
Hochwasser an der Rotach am 29. Januar 2021. Kurz vor der Mündung in den Bodensee ist kaum noch Platz unter der Brücke. | Bild: Bömelburg, Christina

Mit anderen Worten: Schon bei einer Abflusskapazität von 60 Kubikmeter pro Sekunde gerät das Bachbett unter der Brücke an seine Grenzen. Das entspreche einem zehnjährigen Hochwasser. Und heute liege die Zielvorgabe bei der doppelten Kapazität von 118 Kubikmeter pro Sekunde. Das sind 600 Badewannen voll Wasser, die pro Sekunde durchpassen müssen. Laut Planfeststellung sei dieser Wert gewährleistet. Beim Netzwerk bleiben Zweifel. „Wenn die Brücke erst einmal gebaut, ist es für Fehlerzuschreibungen zu spät“, steht in dem Antrag.

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Bei der Ratssitzung im Januar 2024 hatte Wolfgang Kübler, Chef des städtischen Hochbauamts, erklärt, dass der Hochwasserschutz mit der Stadt abgestimmt sei. Und nach den Berechnungen gehe selbst ein Jahrhunderthochwasser unter der Brücke durch. Außerdem habe die Bahn das Recht, so zu bauen.

Nur eine Protokollnotiz?

Der Antrag des Netzwerks dürfte trotz aller Zweifel nur eine Protokollnotiz bleiben. Das war zu kurzfristig für die Sitzung am Montag, antwortet eine Sprecherin der Stadtverwaltung auf Anfrage. Beraten wird ein eingebrachter Antrag laut Gemeindeordnung frühestens in der übernächsten Sitzung. Dann ist das Zeitfenster, gegen die Planung des Eisenbahnbundesamtes vorgehen zu können, bereits geschlossen.