Der erste Eintrag beim Arbeitergeber-Bewertungsportal Kununu von April 2022 fällt positiv aus dem Rahmen. „Ein abwechslungsreicher Arbeitsplatz. Mir gefällt‘s!“ steht da, versehen mit vier von fünf Sternen. Doch wer weiter scrollt, liest weitere fünf Bewertungen, die schlechter kaum sein können. „Bloß nicht bewerben“, „Wer kann, sollte sich einen anderen Job suchen“, „Firma im Abstieg“ oder „Perspektivloses Messeunternehmen ohne Umwelt- und Sozialbewusstsein“, urteilen Ex-Mitarbeiter. Auffällig ist, dass die Geschäftsleitung alle miesen Bewertungen – selbst die von 2020 – erst jetzt, im Mai 2022, kommentiert. Der Arbeitgeber ist die Messe Friedrichshafen.

Nach Recherchen unserer Zeitung sind seit Mitte 2019 mindestens 18 Mitarbeiter in der Verwaltung gegangen, die meisten davon haben gekündigt. Frauen, die in Mutterschutz oder Elternzeit gingen, nicht mitgerechnet. Das entspricht einem Viertel der rund 70 Angestellten, die das Unternehmen in der Administration im Schnitt hat.
Personeller Aderlass seit Mitte 2019
Der größte Aderlass jedoch geschah in den vergangenen Monaten. Gleich drei Führungskräfte, von denen zwei Mitglied der Geschäftsleitung waren, verabschieden sich. Im September verließ Pressesprecher Wolfgang Köhle ganz leise das Unternehmen. Der Kommunikationschef ging nach 29 Jahren bei der Messe vorzeitig mit 63 in Rente. Im März, also vor wenigen Wochen, wechselte Rolf Hofer zur Friedrichshafener Firma Pfaff Fertiggaragen, wo er als Betriebsleiter und Prokurist angeheuert hat. Hofer war seit 2013 für die IBO und zuletzt auch für die Tortenmesse My Cake zuständig, die am kommenden Wochenende ohne ihren ehemaligen Projektleiter stattfindet.

Ende Juni wird auch Dirk Kreidenweiß die Messe Friedrichshafen verlassen – ohne schon einen neuen Job in der Tasche zu haben. „Ich hatte hier wirklich eine geile Zeit. Aber eine Perspektive sehe ich für mich jetzt außerhalb der Messe“, erklärt er seine Entscheidung und bestätigt die Kündigung.
Belegschaft sorgt sich um Know-How-Verlust
Und was sagt der Betriebsrat? „Die Mitarbeiter verfolgen die Situation rund um die Kündigung von Dirk Kreidenweiß mit großer Sorge. Mit Dirk Kreidenweiß verlässt uns unheimlich viel Messe-Know-How“, sagt Marc Maisch, Vorsitzender des Betriebsrats, auf Anfrage unserer Zeitung. Denn mit dem Projektleiter der Interboot, eine der einst vier Leitmessen in Friedrichshafen, und der Tuning World Bodensee geht einer der erfahrensten Messe-Macher in Friedrichshafen, der binnen 22 Jahren ein riesiges Netzwerk zu Kunden, Partnern und Ausstellern aufgebaut und emsig gepflegt hat.

Beide Messen finden in den nächsten Wochen statt. Während die Tuning World Ende Mai von Dirk Kreidenweiß noch verantwortet wird, hängt die Interboot Ende September in der Luft, befürchten die Kollegen. „Wie die Interboot durchgeführt werden kann, können wir nicht sagen. Das ist auch nicht unsere Aufgabe. Es ist aber offensichtlich, dass es eine große Herausforderung wird“, so Marc Maisch, der als Projektreferent bei der Interboot und Tuning World fürs Rahmenprogramm zuständig ist. Vom eingespielten, derzeit noch vierköpfigen Projektteam für beide Messen fehlen ab Juli zwei. Ein Neuzugang wurde im Mai eingestellt.

Interboot-Partner in der Schweiz irritiert
Die Nachricht löst auch beim Schweizer Bootbauer-Verband (SBV), einem engen Partner der Interboot seit Gründung der Messe, Sorgen aus. „Wir mussten leider vermuten, dass Dirk geht. Das macht uns traurig, es ist ein herber Verlust“, sagt SBV-Geschäftsführer Vinzenz Batt. Aus seiner Sicht werde es nicht einfach, den Projektleiter, der „für das Thema brennt“ und die Leute seit Jahrzehnten kennt, adäquat zu ersetzen. Denn Hallenmessen hätten in der Boots-Branche zunehmend einen schweren Stand, etwa wegen der enorm gestiegenen Kosten für die Logistik. Wer nachfolgt, müsse „150 Prozent geben, damit die Messe bestehen bleibt“, so Vinzenz Batt.
Betriebsrat beklagt „schlechte Stimmung“
„Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten mehrfach auf die schlechte Stimmung und die verstärkten Abwanderungstendenzen hingewiesen. Die Fluktuation ist hoch wie noch nie“, nimmt der Betriebsrat Stellung. Das Arbeitsaufkommen für die gesamte Belegschaft sei momentan sehr groß und „wir sind sehr knapp aufgestellt“, so Maisch. Die aktuelle Kündigungswelle verschärfe die Situation nochmals.

Der SÜDKURIER hat die Messe, explizit Geschäftsführer Klaus Wellmann, zu den Aussagen des Betriebsrats um Stellungnahme gebeten. Wie beurteilt die Geschäftsleitung die hohe Fluktuation? Wie stellt sich die Messe zur Kritik der Belegschaft, das Personal sei knapp und die Arbeitsbelastung zu hoch? Und kann die Messe den Ausfall insbesondere von Dirk Kreidenweiß mitten in den Vorbereitungen für die Interboot auffangen?
„Zu spezifischen Personalthemen innerhalb des Unternehmens äußern wir uns nicht.“Statement der Messe-Geschäftsleitung
Das Statement fällt kurz und knapp aus: „Als Messe Friedrichshafen sind wir Teil der Veranstaltungsbranche und somit erfährt auch unsere Belegschaft in den aktuellen Krisenzeiten eine hohe Belastung, die zwischenzeitlich von unsicheren Planungen geprägt ist. Das aktuell starke Aufleben des Geschäftes erfordert viel persönlichen Einsatz aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, verbreitet aber positive Stimmung. Zu spezifischen Personalthemen innerhalb des Unternehmens äußern wir uns nicht.“
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