Das Baby scheint zu schlafen. Reglos liegt es in dem Intensivbett, umgeben von Kabeln, Schläuchen und Sonden, von denen zwei in der winzigen Nase stecken. Das Neugeborene kam tags zuvor krank zur Welt, sehr krank sogar. „In der Nacht war der Zustand kritisch. Aber jetzt sieht es besser aus. Die Kleine kommt bestimmt durch“, ist Christian Maier optimistisch. Er ist nicht nur Kinderarzt, sondern Notarzt für Neugeborene im Mutter-Kind-Zentrum am Klinikum Friedrichshafen.
Lebensbedrohliche Blutvergiftung
Das kleine Mädchen hat eine Blutvergiftung, die lebensbedrohlich ist. Zum Glück, sagt Christian Maier, entschied sich die Mutter für die Geburt im Krankenhaus mit Kinderklinik und Intensivstation. Davon gibt es im Umkreis von 60 Kilometer nur zwei. Brauchen Neugeborene an Krankenhäusern ohne Pädiater schnell Hilfe, wird in Friedrichshafen der Baby-Notarztwagen losgeschickt. Der hat einen Inkubator an Bord, in dem der Winzling bereits intensivmedizinisch versorgt werden kann. Oder die Leitstelle schickt den Rettungshubschrauber mit dem Kinderarzt an Bord los.

Elf Babys versorgt das Team um Chefarzt Steffen Kallsen an diesem Tag auf der neonatologischen Intensivstation. Vier davon brauchen ein Beatmungsgerät. Längst nicht alle kamen im Haus zur Welt, sondern auch in Lindau oder Bad Saulgau. Ein Winzling wurde von der Uniklinik Ulm nach Friedrichshafen überstellt. Das Frühchen wurde dort geboren und ist „über dem Berg“, muss aber weiter überwacht werden.
Kliniken unterstützen sich gegenseitig
„Wir müssen uns als Kinderkliniken gegenseitig unterstützen“, erklärt Steffen Kallsen die Situation. Auch an der Uniklinik Ulm sind die Kapazitäten immer öfter ausgereizt. Das Perinatalzentrum dort kümmert sich um Extrem-Frühchen, die oft weniger als 1000 Gramm auf die Waage bringen. In Friedrichshafen, dem Perinatalzentrum der zweithöchsten Versorgungsstufe, können unreife Frühgeborene ab 1250 Gramm Geburtsgewicht oder ab der 29. Schwangerschaftswoche versorgt werden.
Weniger Betten im Betrieb
Geburten sind nicht planbar, Komplikationen dabei noch viel weniger. So kommt es, dass bei unserem Besuch auf Station PG 20 elf Früh- und Neugeborene versorgt werden. Rein rechnerisch dürfen derzeit nur sieben von eigentlich 14 Betten betrieben werden. Das liegt an der gesetzlichen Untergrenze für Pflegepersonal. Um die einzuhalten, müssen an diesem Tag Mitarbeiter einspringen, die eigentlich frei hätten. „Wir können uns im Kreißsaal schlecht abmelden“, erklärt Steffen Kallsen. Also mobilisiert er sein Team und bittet um Überstunden.
So geht es nicht nur den Kinderkliniken in Friedrichshafen, Ulm oder Ravensburg. Eine Umfrage der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin im Februar ergab, dass am Stichtag der Befragung nur 65 Prozent der Intensivbetten für Kinder in Betrieb waren. Von 145 Kinderintensivstationen bundesweit hatten 91 an der Befragung teilgenommen. Hauptgrund für die Engpässe bei der Versorgung von kritisch kranken Kindern seien der eklatante Pflegemangel und akute Krankheitsausfälle des Personals.
Eines der drängendsten Probleme ist die neue Pflegeausbildung. Seit 2020 gibt es das Berufsbild Kinderkrankenschwester nicht mehr. Jetzt werden Pfleger ausgebildet, die in jedem Bereich arbeiten können. „Aber wir haben in der Kinderkrankenpflege ganz besondere Anforderungen“, erklärt Steffen Kallsen. Die Spezialisierung im dritten Lehrjahr reiche da nicht. Der Nachwuchs fehlt. Und so stehe die Kinderklinik vor allem im Winter, wenn mehr Kinder, aber auch mehr Personal krank wird, vor der Frage, wie das alles zu schaffen ist, so Kallsen.
„Bei solchen Engpässen sind wir auf Unterstützung angewiesen. Die bieten wir anderen Kliniken genauso an“, sagt der Chefarzt. Fachlich sind die Kinderkliniken ohnehin seit vielen Jahren im Austausch. Friedrichshafen wie auch Ravensburg gehören neben sechs weiteren Kliniken in Baden-Württemberg seit vielen Jahren zur Arbeitsgemeinschaft Neonatologie (ARGE) Ulm. Hier stimmt man sich darüber ab, wie Schwangere und Neugeborene je nach Risiko im dafür besten heimatnahen Krankenhaus versorgt werden können.
Chefarzt: „System ist maximal überlastet“
Doch die Herausforderungen wachsen. „Das System ist maximal überlastet“, sagt Steffen Kallsen. Selbst für privilegierte Familien sei es oft ein großes Problem, sich bei Bedarf Hilfe zu organisieren. Familien mit Migrationshintergrund beispielsweise seien da oft heillos überfordert. Das geht bei der Suche nach einer Hebamme los, die knapp geworden sind, und hört bei der Nachsorge nicht auf, wenn etwa ein Frühchen eine spezielle Förderung braucht.
Gut vernetzt mit Kinderarzt-Praxen
Der Chefarzt ist froh, dass es engagierte Kinderärzte draußen in den Praxen gibt, mit denen die Kinderklinik gut vernetzt sei. Allerdings brauche es im ambulanten Bereich in der Region mehr spezielle Angebote wie zum Beispiel Neuropädiater oder Augenärzte, die Frühgeborene betreuen können. Was das Krankenhaus Friedrichshafen machen kann, versuche man anzubieten. So hat das Hebammenteam der Klinik eine Sprechstunde für Frauen eingerichtet, die keine Geburtshelferin bekommen haben. Am Ende des Tages wäre Steffen Kallsen froh, wenn das Gesundheitssystem „nicht so auf Kante genäht“ wäre.