Es muss schwer sein, ganz normal seiner Arbeit im Krankenhaus nachzugehen, während Familienmitglieder mitten im Krieg Bomben und Schüssen ausgesetzt sind. Doch Daria Shchybria und ihr Mann Mykhailo Volianiuk lassen sich ihre Sorgen und Ängste nicht anmerken.
Das Ärzte-Ehepaar aus der Ukraine arbeitet seit über einem Jahr am Klinikum Friedrichshafen. Fassungslos mussten sie mit ansehen, wie am Donnerstag russische Truppen von allen Seiten in ihr Heimatland einmarschiert sind. Der erste Gedanke war: Wie können wir helfen? Ihr Mann, der während des Gesprächs im OP steht, wäre dort jetzt auch Soldat. Er habe darüber nachgedacht, ob er wie sein Freund, mit dem er eine Woche zuvor in München noch ein Bier getrunken hat, die Waffe in die Hand nimmt, um sein Land zu verteidigen. „Hier kann er mehr helfen“, erklärt Daria Shchybria, warum er sich dagegen entschieden habe. Ihr Vater und ein Bruder sind dort, aber noch in Reserve.

Helfen: Mit diesem drängenden Wunsch wandte sich die junge Assistenzärztin in der Frauen- und Geburtsklinik an ihren Chef, Hans-Walter Vollert. Im Gespräch erfuhr der Chefarzt, dass ihr Schwiegervater Chirurg am Militärkrankenhaus Chernivtsi in der Westukraine ist. Und dort werden dringend Medikamente und Material vor allem für die operative Versorgung von Schusswunden gebraucht, wusste die junge Frau.

„Wir haben einen Brief an die Geschäftsleitung mit der Bitte um Spenden geschrieben“, erzählt Hans-Walter Vollert. Die Zusage kam prompt. Über das hauseigene Lager und die Apotheke wurde notwendiges Material bis hin zu einem Defibrillator zusammengesucht und verpackt – vier Paletten voll. Parallel dazu spannte der Chefarzt der Frauenklinik über seinen Arztkollege Dr. Leo Schärer den Rotary-Club in Friedrichshafen mit ein, der wiederum seine Kontakte zum Ärztebedarf Hirsch aktivierte. Ergebnis: eine weitere Spende von 3000 Euro und weitere zwei Paletten voll mit medizinischem Material.

So schnell wie möglich sollte die Fracht nun auch in die Westukraine gehen. Selbst der Transport war in Windeseile organisiert. „Nach ein paar Telefonaten hatten wir binnen einer halben Stunde das Angebot gleich für vier Sprinter“, berichtet Hans-Walter Vollert, der mit einer solchen Bereitschaft nicht gerechnet hatte. Noch am Freitag gingen die drei Ärzte davon aus, mit den Hilfsgütern direkt zur ukrainischen Botschaft in Berlin fahren zu müssen. In der Nacht ergab sich allerdings der Kontakt zum ukrainischen Katholischen Zentrum in München, das Hilfe aus dem süddeutschen Raum koordiniert. Am Samstagabend wurde das Material dort bereits abgeladen.
Freude über Hilfe und riesige Anteilnahme
„Sie glauben nicht, was da alles schon da war. Diese Spendenbereitschaft ist so bewundernswert“, freut sich Daria Shchybria über die riesige Anteilnahme der Deutschen. Das Material aus Friedrichshafen habe man mit oberster Priorität für den Weitertransport sofort wieder verladen. „Der Laster steht leider noch im Stau an der polnischen Grenze“, berichtet die Ärztin am Montagnachmittag vom Stand der Dinge.

Für sie und ihren Mann ist der Krieg nun sehr nah. Auf dem Rückweg an den Bodensee saßen vier Familienmitglieder der Ärztin auf dem Rücksitz – Mutter, Bruder, Tante, ein Cousin. Zwei Tage waren sie bis München unterwegs, hatten auf ihrer Flucht fast nichts dabei. Arbeitskollegen aus dem Krankenhaus sammelten übers Wochenende Sachen für die Familie, spendeten von Klamotten bis Decken das Nötigste. Vorerst wohnen die Angehörigen bei dem Ehepaar. „Es ist psychologisch wichtig, dass sie die ersten Tage zusammen bleiben können“, sagt Daria Shchybria.
Andere Mitglieder der Familie haben es nicht mehr geschafft, sich auf den Weg zu machen. „Jetzt ist es zu gefährlich loszufahren. Sie müssen alle zwei Stunden in den Schutzkeller“, berichtet sie, was sie von ihren Kontakten in die Heimat erfährt. Und fügt an, dass sie sich nicht habe vorstellen können, dass dieser Krieg wirklich ausbricht. „Ein Horrorszenario“, sagt die Ärztin leise.
Weitere Hilfslieferungen ins Militärkrankenhaus geplant
Bei dieser spontanen Hilfsaktion soll und wird es nicht bleiben. Der Vater von Mykhailo Volianiuk werde ihnen weiter schreiben, was dringend gebraucht wird. Neben medizinischem Material sei das aktuell auch Kindernahrung. Das Militärkrankenhaus in Chernivtsi übernehme dann die Verteilung in der Region.
„Die Spendenbereitschaft ist sehr hoch“, stellt Hans-Walter Vollert fest. So steuere der Förderverein Lions 3000 Euro bei. Und beim Fasnachtsumzug am Samstag in Markdorf ließen sich Vize-Zunftmeister Dietmar Bitzenhofer und Bürgermeister Georg Riedmann buchstäblich vor einen Karren spannen, um Spenden für die Ukraine zu sammeln. Ergebnis: noch einmal 3600 Euro. Die Ärzte wollen weitere Transporte organisieren. „Das soll keine einmalige Aktion gewesen sein“, so Vollert.
„Wir sind unglaublich dankbar über diese Unterstützung für unser Land“, sagt Daria Shchybria. Wer spenden will, nutzt das Konto des Vereins der Freunde und Förderer des Klinikums Friedrichshafen (Konto: DE07 6905 0001 0024 2432 14 bei der Sparkasse Bodensee). Bitte Namen und Adresse für die Zusendung der Spendenquittung angeben.