Sympathisch wirkt er nicht gerade. Dafür spielt sein Lächeln zu sehr zwischen bösem Grinsen und schlecht gemimter Unschuld. Auch die Zunge, die sich aus dem aufgerissenem Mund zwischen großen Zahnlücken hervordrängt, macht ihn kaum vertrauenswürdiger – ebenso wenig wie die mächtigen Augenbrauen über dem zerfürchten Gesicht. Nein, der Kaujohle ist niemand, dem man allzu gern begegnen würde. Man kann auch gar nicht. Denn der Kaujohle ist nur ein Fantasieprodukt, eine erfundene Figur aus der Markdorfer Fastnacht. Kaujohlen tauchen nur als Masken auf – während der närrischen Zeit.
Kaum jemand kennt den Kaujohlen besser als Ernst Benzing. Der 83-Jährige schnitzt die Maske der Fasnachtsfigur. Rund 30 Mal hat er die aufgeworfene Nase aus dem Holz gearbeitete, die tiefen Wangenfalten, die krause Stirn ausgefurcht. "Beim Umzug kann ich erkennen", erklärt Ernst Benzing, "welche der Masken von mir ist." Kaujohle-Masken mit seiner Handschrift laufen seit bald 20 Jahren unter den Markdorfer Zunftfiguren mit.

Auslöser war die Enkelin. Die stand bewundernd vor der von Ernst Benzing gefertigten Kaujohle-Figur. Ob er ihr auch eine so schöne Maske machen könnte, fragte sie den Großvater. Und wie für viele andere Großväter gilt auch für Opa Benzing, "dass ich ganz schlecht nein sagen kann" – schon gar nicht bei seinen drei Enkeltöchtern. Die damals Dreijährige bekam also ihre Maske. Sie ging damit zum Umzug, erregte Aufsehen, weckte die Wünsche weiterer Kaujohle-Kinder, die bis dahin noch keine Masken getragen hatten. "Viele haben gesagt, die Maske ist zu teuer", erklärt Ernst Benzing, "zu teuer dafür, dass der Bub, das Mädel nach ein, zwei Jahren rausgewachsen ist.
" Eine Ansicht, die der Maskenschnitzer allerdings nicht teilt. Erstens, weil seine hölzernen Kunstwerke weitervererbt werden können. Und zweitens, weil die von ihm veranschlagten 195 Euro weit unter dem Preis liegen, den professionelle Schnitzer verlangen.
"Ich mach's ja, weil es mir Spaß macht", sagt Benzing. Müsste er von der Schnitzerei leben, dürfte er sich längst nicht so viel Mühe geben, damit seine Kaujohle-Masken möglichst wenig wiegen. So aber kann er sich die Zeit nehmen, seine Masken leicht zu machen, sie so weit auszuhöhlen, wie es die heiklen Partien erlauben. Zum Beispiel bei den Augenwinkeln, wo das Material dann schon recht dünn wird. Ärgerlich, wenn das Eisen beim Schnitzen durchbricht. Ernst Benzing verhindert das, indem er seine Masken immer wieder mit einer Glühbirne hinterleuchtet. Je nachdem, wie sehr das Licht durchscheint, weiß er, wann er aufhören muss.

Das Schnitzen hat sich der gelernte Bauschlosser und Heizungsanlagenmechaniker selbst beigebracht. Allerdings war er erblich vorbelastet. "Mein Vater war Holzbildhauer", erläutert der 83-Jährige. Vom Vater habe er auch das Werkzeug. Das heißt den Grundstock, die rund 80 gut gepflegten Eisen, die Benzig in Ehren hält. Sie lagern der Größe und dem Zweck nach aufgereiht im Schubladenschrank.
Im Keller, genauer in den Werkstatträumen des Maskenschnitzers, sind die Schnitzeisen jedoch nur eine Werkzeuggruppe unter vielen. Es gibt Sägen, Fräsen, vielerlei Selbstkonstruiertes, überaus nützliche Hilfsmittel. Die verwendet Ernst Benzing nicht nur zum Kaujohle-Schnitzen. Abgesehen davon, dass er gelegentlich auch Masken für andere Narrenzünfte fertigt, schnitzt er auch Anderes: Kruzifixe, Mensch- oder Tierfiguren, Weihnachtskrippen. Etliches, worum ihn Verwandte oder Freunde bitten. "Dätscht du mol!?" sei der oft gehörte Wunsch.
Und Ernst Benzing geht in seine Kellerwerkstatt, um winzige Zunftfiguren aus Holz herzustellen, oder aber mit Aberdutzenden allerkleinsten Stofffetzchen beklebte Hänseler. Über deren Köpfen schwingen sorgfältigst geflochtene Karbatschen. Die freilich stammen aus der Werkstatt eines anderen Zunftzulieferers aus Markdorf – des Seiler Hubert Guffart.
Zu Person und Figur
- Ernst Benzing ist im Dezember 1933 in Markdorf zur Welt gekommen. Er wuchs hier auf und ging hier zur Schule. Benzing lernte Heizungsbau- und Bauschlosser. Schon früh trat er in die Historische Narrenzunft Markdorf ein. Er gehört zu den Gründern des Vermessungstrupps und war 25 Jahre Hänseler-Major. Überdies gehörte Ernst Benzing viele Jahre zum Narrenrat.
- Der Kaujohle tritt als Einzelfigur bereits in den 1930er Jahren auf, angelehnt an eine Markdorfer Sage. Sie erzählt von Vorkommnissen im Gehau-Wald vor der Stadt. Dort soll ein Forstaufseher armen Bewohnern der Stadt das Sammeln von Beeren und Reisig verwehrt haben. Nicht nur das: Er soll die Armen auch schwer misshandelt haben, sodass einige sogar starben. Zur Strafe sei der Forstmann verdammt worden. Seither irrt er ruhelos im Gehau-Wald umher. In den 1950er Jahren wurde der Kaujohle zu einer Fastnachtsfigur der Historischen Narrenzunft. Die Besonderheit: Als Kaujohlen können sich, im Gegensatz zum Hänseler, auch Frauen verkleiden. Zum Kostüm oder Häs gehören neben der Holzmaske hölzerne Glocken an einem breiten Ledergürtel, außerdem ein mit Blättern bedrucktes Leinengewand. (büj)