
Corona war für Heiko und Carola Mantzsch ein Traum – zumindest, was die Stille angeht. „Im ersten Lockdown sind hier viel weniger Autos und Lastwagen gefahren“, erzählen sie. „Wir konnten entspannt auf der Terrasse sitzen und haben die Vögel wieder gehört.“ Doch die Stille hielt nicht für die Ewigkeit – der Lärm ist längst zurück: rasende Motorradfahrer, klappernde Lastwagen oder einfach die tägliche Geräuschkulisse der Autos.
„Manchmal ist es einfach zu viel“
In den zehn Jahren, in denen sie zwischen B31 und B33 leben, hat das Ehepaar Mantzsch mit baulichen Veränderungen gegen den Lärmpegel angekämpft. Sie haben beispielsweise Fenster mit dreifacher Verglasung eingebaut – das sorgt immerhin für Ruhe in den Zimmern.
Doch das helfe nicht bei nasser Fahrbahn oder in heißen Monaten, wenn sie auch mal die Fenster öffnen müssten. „Da ist es kaum auszuhalten“, sagt Carola Mantzsch. Sie habe wegen der ständigen Lärmkulisse Schlaf- und bei der Arbeit Konzentrationsprobleme. „Manchmal ist es mir einfach zu viel“, sagt sie.
Als sie 2010 in das Haus zogen, wussten sie um die Wohnlage und die möglichen Probleme. Doch seitdem habe sich die Belastung für sie erhöht, sagen sie.
Zahlen der automatischen Zählstelle bei Harlachen zeigen, dass sich die Anzahl der Pkw auf der B31 bis zum Corona-Knick nicht maßgeblich verändert hat. Allerdings hat sich der Schwerverkehr auf der Strecke kontinuierlich erhöht. Zahlen nach 2021 liegen derzeit noch nicht vor.
Mehrmals hat das Ehepaar überlegt, wegzuziehen. Doch sie sind im Ort verwurzelt, mögen ihre Nachbarschaft. Außerdem wollen sie sich nicht einlassen auf eine zähe Wohnungssuche in der Bodenseeregion.
Mehr Hoffnung setzen sie stattdessen in versprochene Verkehrsmaßnahmen wie die Verlegung von Flüsterasphalt, Geschwindigkeitskontrollen oder den B31-Ausbau. Sollte die Vorzugsvariante B1 kommen, könnten Stetten und das Ehepaar Mantzsch profitieren. Dann könnte ein Teil des Abschnitts in Form eines Tunnels umgebaut werden. „Das würde für mehr Ruhe sorgen und einen querungsfreien Abschnitt von Stetten an den See schaffen“, sagt Heiko Mantzsch.
Mehr als 30.000 Menschen im Landkreis betroffen
Heiko und Carola Mantzsch sind nur zwei von mehreren tausend Menschen im Bodenseekreis, die mit ständigem Verkehrslärm leben müssen. Insgesamt sind rund 31.500 Menschen im Landkreis betroffen, so das Landesumweltministerium. Viele tausend davon müssen sogar mit Lärm leben, der gesundheitsgefährdend sein kann.
Depressionen und Diabetes
Wer ständiger Geräuschkulisse ausgesetzt ist, kann psychische und körperliche Schäden erleiden. Der Körper ist gestresst, er erhöht den Blutdruck und die Herzfrequenz. Das kann zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder gar Diabetes führen.
Laut einer Studie des Umweltbundesamts aus dem Jahr 2023 erhöht ständiger Verkehrslärm zudem das Risiko für Depressionen und Angststörungen. Die Forscher untersuchten dabei, welche Auswirkungen ein bereits um zehn Dezibel erhöhter Geräuschpegel der Umgebung durch Straßen-, Schienen- oder Fluglärms hat.
Ihr Ergebnis: Das Erkrankungsrisiko für Depressionen stieg um bis zu 4,5 Prozent, für eine Angststörung um bis zu drei Prozent. Zu ähnlichen Ergebnissen kam im Jahr 2019 eine Studie des Schweizer Umweltbundesamts. Demnach steigt das Risiko, an einem Herzinfarkt zu sterben, um vier Prozent pro zehn Dezibel Zunahme der Straßenlärmbelastung am Wohnort.
Das deutsche Umweltbundesamt empfiehlt daher, grundsätzlich Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in Städten und Gemeinden einzuführen sowie den Schutz vor nächtlichem Lärm zu verbessern.
Wirkung der Lärmaktionspläne umstritten
Der Kampf gegen den Lärm – das ist letztlich Aufgabe der Kommunen. Sie müssen anhand der Lärmkarten sogenannte Lärmaktionspläne erstellen und diese Maßnahmen mit den jeweiligen Landkreisen und Regierungspräsidien umsetzen, so ein EU- und Bundesgesetz aus dem Jahr 2002.
Die Daten
Im Bodenseekreis haben inzwischen alle an die B31 oder die B33 angrenzenden Gemeinden Lärmaktionspläne, so auch Stetten. In der Gemeinde wurde ab 2016 eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Auf- und Abfahrtsrampen der B33 und eine Tempo-30-Zone innerorts eingeführt. Seit einigen Jahren steht im Ort auch ein Blitzer.
Wenn man sich im Ort umhört, erfährt man, dass die Wirkung vom Blitzer und den bisherigen Lärmschutzmaßnahmen umstritten sind. Bürgermeister Daniel Heß, der auch an beiden Bundesstraßen wohnt, sagt aber: „Der Lärm hat sich durch die bisherigen Maßnahmen verringert.“
Der Lärmaktionsplan der Gemeinde soll zudem fortgeschrieben werden. Künftig soll eine Schicht Flüsterasphalt entlang der Ortsdurchfahrt und auf den Auf- und Abfahrtsrampen aufgetragen werden. Der Belag soll den Lärm um ein Drittel bis die Hälfte reduzieren können. Wann er kommt, steht aber noch nicht fest, so Heß.
Das Ehepaar Mantzsch wird dem Verkehrslärm vorerst weiterhin ausgesetzt sein. Noch suchen sie nicht nach einem neuen Zuhause fernab der Geräuschkulisse. Beide sehnen sich aber nach mehr Ruhe an ihrem Wohnort. „Ich träume davon, dass die Lärmbelästigung weniger wird“, sagt Carola Mantzsch. „Denn jede Reduzierung ist Gold Wert.“
Dieser Artikel erschien erstmals im Dezember 2023.