Eine mondlose, dunkle Nacht. Der tiefe, in der nächtlichen Stille unheimlich gurgelnde Bodensee. Zwei Männer mit 400 Weinreben in einem Ruderboot. Eine Schmugglerfahrt von der Schweiz nach Deutschland. Das umreißt die wahre Geschichte, wie der Müller-Thurgau vor 100 Jahren nach Deutschland kam. Die „Grundstöcke“, also die ersten Rebstöcke, wurden im April 1925 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion über den See gerudert. Einer der Ruderer kam aus Immenstaad. Dieser Geschichte und den beiden Männern sowie deren Familien aus Immenstaad und Hagnau zollt die Sonderausstellung im Vineum Bodensee in Meersburg ihren Respekt.

Mit viel Kreativität vereint die Schau zeitgenössisches Mobiliar und Schwarz-Weiß-Fotos aus den goldenen 1920er Jahren mit aktuellen multimedialen Darstellungsformen, wie Videos oder Animationen mit künstlicher Intelligenz. Durch Vorhänge abgetrennt, entstehen im großen Veranstaltungsaal unter dem Dach des Weinmuseums kleine abgeteilte Räume, die sich unterschiedlichen Aspekten der Zeit und der Schmugglerfahrt im April 1925 widmen.
Besucher sitzen im gleichen Boot
Zu Beginn des Rundwegs durch die Ausstellung stimmt ein Schwarz-Weiß-Video auf die damaligen Gegebenheiten der Weinregion ein. Besucher können sich per Kopfhörer informieren. Im nächsten Abteil lockt ein Wirtshaustisch – Hinsetzen ist ausdrücklich erlaubt. Ein mithilfe künstlicher Intelligenz animiertes Porträt von Johann Baptist Röhrenbach, Initiator der historischen Schmugglerfahrt, erzählt die Einzelheiten der riskanten Überfahrt.
Boris San aus Konstanz war einer der ersten Besucher, der nach Eröffnung der Ausstellung die Gelegenheit nutzte, die Fahrt im Boot nachzuerleben. „Es war prickelnd und belebend“, sagte er anschließend. Die Ausstellung behandle ein „Thema, was interessiert“, meinte er.
In weiteren Abteilungen sind zeitgenössische Exponate zu sehen, bis zum vermeintlichen Höhepunkt der Rückschau auf das kühne Unterfangen: Die Besucher dürfen selbst in ein Ruderboot steigen, während an den Leinwänden ringsherum die nächtliche Atmosphäre auf dem See virtuell dargestellt wird.
Von der Geheimaktion zum öffentlichen Interesse
Kulturamtsleiterin Christine Johner hat die Ausstellung mit ihrem vielköpfigen Team und Kreativschaffenden wie der Videokünstlerin Katharina Wibmer und Bühnenbildnerin Gesine Mahr sowie deren Ehemann Alexander innerhalb von drei Monaten auf die Beine gestellt. Bei der Vernissage erzählte Johner, dass das endgültige Budget erst Ende 2024 feststand. „Vorher Entscheidungen zu treffen, wäre unseriös gewesen“, meinte sie. Als besondere Herausforderung nannte Johner den Spagat zwischen der Darstellung einer privaten, letztendlich geheimen und auch illegalen Aktion und dem breiten öffentlichen Interesse an einem Stück Zeitgeschichte sowie dem Anspruch auf Genauigkeit und Wissenschaftlichkeit.
Wie die Idee vom Schmuggel ihren Anfang nahm
Die Hintergründe der Geschichte hatte zuvor einer erzählt, der es bestens wissen muss: Winzer Matthias Röhrenbach, der Urenkel des Initiators Johann Baptist Röhrenbach. Humorvoll und genüsslich schilderte er die Einzelheiten, wie sein Urgroßvater als Mitarbeiter des damaligen Markgrafen in der Wirtschaft im Schloss Kirchberg arbeitete und bei Besuchen in Zürich bei seinem Freund und ehemaligen Schulkameraden die Weinsorten Riesling, Silvaner und Müller-Thurgau kennenlernen konnte. So sei er auf die Idee gekommen, die Reben in Deutschland anzubauen.

Das damals geltende Saatgutverkehrsgesetz verbot den Transport über die Grenzen und der Markgraf habe nichts von Neuerungen wissen wollen. „Aber er war ein Dickschädel“, sagte Matthias Röhrenbach über seinen Urgroßvater. So schickte Johann Baptist seinen Sohn, den 22-jährigen Albert Röhrenbach, zusammen mit dem drei Jahre älteren Hagnauer Fischersohn Gottfried Ainser auf die geheime Mission, die Reben vom Schloss Arenenberg aus der Schweiz zu holen.
Die Schau erzählt auch Meersburger Familiengeschichten
Die Meersburger Winzer Wilhelm Schmäh und Franz Neßler hätten dann geholfen, die Reben zu veredeln. Viel Überzeugungsarbeit hätten sie bei ihren Kollegen geleistet, bis diese schließlich den Müller-Thurgau anbauten. „Flächendeckend wurde der Müller-Thurgau aber erst in den 1950er-Jahren angebaut“, erzählte Matthias Röhrenbach.
Röhrenbach erklärte, die Ausstellung mache seine Familie sehr stolz. Er bedauerte, dass sein Vater Wilhelm, der Sohn des Schmugglers Albert, das 100. Jubiläum nicht mehr miterleben konnte: Er starb im vergangenen Jahr.
Für den stellvertretenden Bürgermeister Sebastian Schmäh, der die Ausstellung eröffnete, hielt die Schau eine Überraschung parat: Er erfuhr an diesem Abend, dass einer seiner Vorfahren, Wilhelm Schmäh, an der Verbreitung der Reben beteiligt war. Sebastian Schmäh, der Wein als eines seiner Hobbys beschrieb, führte die Gäste in die Geschichte des denkmalgeschützten Vineum mit dem ältesten, noch funktionierenden Torkel ein.