In die Aufarbeitung des Schicksals um die in Auschwitz ermordete Monika Rinderle kommt Bewegung. Wie Owingens Bürgermeister Henrik Wengert mitteilte, macht sich der Gemeinderat die Sache zum Thema. Zunächst war für den 14. Mai eine nichtöffentliche Sitzung anberaumt, weil die Privatsphäre einzelner Familien betroffen sein könnte. Es könnte also weiterhin ein Teppich des Schweigens über die Vorgänge des Jahres 1942, die sich auf einem Bauernhof in Owingen zutrugen, gelegt werden. Auf Nachfrage unserer Redaktion, welche schützenswerten Interessen bei der historischen Aufarbeitung eines NS-Verbrechens einen Ausschluss der Öffentlichkeit begründen, vertagte Wengert das Thema. Er sei nun auch unsicher geworden und wolle diese Frage erst noch mit der Rechtsaufsicht klären, bevor er neu terminiert.

Was ist Monika Rinderle widerfahren?

Monika Rinderle aus Heiligenberg-Hattenweiler wurde 1942 im KZ Auschwitz von den Nazis ermordet. Ihr wurde die Liebschaft zu einem polnischen Zwangsarbeiter vorgeworfen. Er hieß Theodor Borowski und wurde in Hohenbodman, das heute zu Owingen gehört, erhängt. Während an sein Schicksal öffentlich mit einem Kreuz bei Hohenbodman erinnert wird, in der Nähe des Hofs, auf dem die beiden arbeiteten, findet Monika Rinderles Schicksal im kollektiven Gedächtnis bislang nicht statt. Erst mit Recherchen ihrer Großnichte Monja Rinderle und einem Bericht im SÜDKURIER im März wird ihr Schicksal nach und nach dem Vergessen entrissen.

Monja Rinderle ist die Großnichte von Monika Rinderle. Das von den Nazis an ihrer Großtante verübte Verbrechen wurde bislang tabuisiert.
Monja Rinderle ist die Großnichte von Monika Rinderle. Das von den Nazis an ihrer Großtante verübte Verbrechen wurde bislang tabuisiert. | Bild: Hilser, Stefan

Wir sprachen zwischenzeitlich mit Paula Endres, geborene Rauch, einer Zeitzeugin, die Monika Rinderle in Kindheitstagen auf dem Hof bei Hohenbodman kennengelernt hat. Und wir sprachen mit Heimathistoriker Karl Stehle. Beide sind hin- und hergerissen zwischen dem Aufreißen von Wunden und dem Wunsch, dass sich dieses grauenvolle Kapitel deutscher Geschichte nie wieder ereignen darf.

Hüllen sich alle in Schweigen?

Auch Überlingen ist Schauplatz des Unrechts, das der damals 20-jährigen Monika Rinderle angetan wurde. Im Mai 1941 wurde sie mit kahl rasiertem Kopf über die Hofstatt getrieben wie ein Stück Vieh. „Hüllen sich alle in Schweigen, auch die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Überlingen?“, fragte Andreas Kruse die SÜDKURIER-Redaktion nach Erscheinen des Berichts. „Wundern würde es mich nicht, wenn ein kollektives Schweigen zu beklagen wäre.“ Der in Überlingen lebende Professor für Psychologie und Gerontologe forscht über die Aufarbeitung der NS-Diktatur in Zusammenhang mit dem persönlichen Lebensrückblick. Und hier insbesondere zu der Frage, welche Folgen das Verdrängen für die Psyche haben kann, und wie die Gesellschaft durch kollektives Erinnern bei der Aufarbeitung helfen könnte.

Altersforscher Kruse berichtet

Auch Karl Stehle, Jahrgang 1942, ist ein Forschender, ein Heimatforscher. Ein Schwerpunkt sind Kleindenkmale in der Region. So stieß der gelernte Seiler auf das Polenkreuz in Hohenbodman. Über das Schicksal von Monika Rinderle war ihm bis zum SÜDKURIER-Bericht von März dieses Jahres nichts bekannt. Nachdem nun aber bekannt wurde, wie das Schicksal Monika Rinderles mit dem von Theodor Borowski verbunden ist, halte er eine Ergänzung des Denkmals um ihren Namen für durchaus angebracht. Die Toten solle man ruhen lassen, meinte er, aber das Schicksal Monika Rinderles dürfe nicht in Vergessenheit geraten.

Zeitzeugin Paula Endres erinnert sich

Paula Endres, geborene Rauch, kam 1931 auf dem Hof bei Owingen-Hohenbodman zur Welt. „Ich war elf, als es passierte“, sagt sie im Gespräch mit dem SÜDKURIER. „Monika war ein junges Mädchen, sie war bei uns im Haushalt beschäftigt und hat auf dem Feld mitgeholfen.“ An ihr Gesicht könne sie sich nicht mehr erinnern, aber daran, dass sie „braunes, nach hinten gekämmtes Haar“ gehabt habe.

Paula Endres lebt mit ihrem Mann, einem Bezirksschornsteinfeger, in Bruchsal. „Ich erinnere mich daran, dass der Pole Borowski aufständisch gegen meinen Vater war. Mein Vater hat mich dann zum Bürgermeister geschickt, er solle den Polen zu einem anderen Bauern tun, weil er ihn nicht mehr beschäftigen wollte. Der Bürgermeister war ein Obernazi, und der hat das der Gestapo gemeldet. Daher kam das.“ Borowski habe sich, was die von den Nazis verbotene Liebschaft zu einer Deutschen betraf, wohl selbst verplappert. „Meine Eltern haben dafür nichts können, dass das so gelaufen ist.“ Im Gegenteil: „Das war meinen Eltern nicht recht. Das hat sie schon auch belastet.“

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Doch warum das jetzt zum Thema werden soll, wundert sich Endres. „Das liegt alles schon so lange zurück.“ Sie könne sich nicht vorstellen, dass die nachfolgende Generation ein Interesse daran habe. In zwei ausführlichen Telefonaten kommen wir auf die Möglichkeit zu sprechen, an das Schicksal der ermordeten Magd zu erinnern. Vielleicht durch die Ergänzung des Gedenkkreuzes mit einer zweiten Tafel? Paula Endres: „Ein Fehler wäre das sicher nicht. Es tut mir schon leid, dass das alles so gelaufen ist. Ganz klar. Monika war eine junge Frau und hätte gerne gelebt.“

„Sie waren Teil unserer Familie“

Professor Kruse führte für seine Studien Interviews mit Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern aus dem heutigen Russland und Belarus sowie der heutigen Ukraine. „Nicht selten haben sie uns von emotional positiv bewegenden Begegnungen mit Personen im früheren Deutschland berichtet. Darunter fielen auch Themen wie Freundschaft, Liebe und Solidarität. Dann konnte auf die damals erlebte Zeit ein günstiges Licht fallen.“

Auch vom Hof Rauch, auf dem Paula Endres aufgewachsen ist, gibt es Positives zu berichten, was es erleichtern könnte, die belastenden Momente ins kollektive Gedächtnis zu rufen. So habe es, berichtet Paula Endres, neben Borowski zwei weitere polnische Zwangsarbeiter gegeben. „Sie waren bei uns bis zum Kriegsende. Sie haben zusammen mit uns am Tisch gegessen. Sie waren Teil unserer Familie.“