Dana bellt nicht. Ihr Herrchen würde es eh nicht hören: Denn Hermann Metzger ist von Kindesbeinen an gehörlos. Der 80-Jährige hat sich einen Hund zugelegt, der, ähnlich wie ein Blindenhund, für ihn zum wichtigsten Begleiter wurde. Wenn Dana sein Herrchen auf eine bestimmte Situation aufmerksam machen will, schaut sie ihn mit großen Augen an.

Zum Beispiel, wenn der Hund Pipi muss. Dann geht Hermann Metzger vor die Haustüre in Salem-Neufrach. Er wohnt neben dem ehemaligen Rathaus, das zu einer Unterkunft für Asylbewerber umgebaut wurde. Seit ein paar Monaten leben Menschen aus Afghanistan oder aus Syrien im alten Rathaus – und kaum einer spricht mit ihnen.

Sprache als Schlüssel zur Integration

Der Helferkreis Salem ist deshalb darum bemüht, Kontakt zwischen Asylbewerbern und Nachbarschaft zu vermitteln, damit die Neuankömmlinge eine Chance zur Integration haben, bei der wiederum die Sprache eine Schlüsselrolle spielt. Aber wie eine Fremdsprache erwerben, wenn niemand mit ihnen spricht?

Jürgen Jung: „Positiv auf die Leute zugehen und mit ihnen reden.“
Jürgen Jung: „Positiv auf die Leute zugehen und mit ihnen reden.“ | Bild: Altmann, Miriam (Extern)

Jürgen Jung vom Helferkreis Salem sagte vor wenigen Wochen, als es um die Aufnahme von 90 weiteren Flüchtlingen in Salem ging, sowie um die Bedenken, die in der Nachbarschaft teils herrschen: „Positiv auf die Leute zugehen und mit ihnen reden, damit sie merken, die Menschen hier sind freundlich und lehnen uns nicht ab.“ So habe ein gehörloser Nachbar bereits Kontakt zu den Geflüchteten im alten Rathaus aufgenommen. Wenn selbst er es schafft, so die Annahme von Jürgen Jung, werde es jedem anderen auch gelingen.

Der Gehörlose mit Hund im Stadtbild von Überlingen

Dieser besagte gehörlose Nachbar heißt Hermann Metzger. Er gehört zum Stadtbild von Überlingen, dort ist er bekannt wie ein bunter Hund. Hier und da hält er ein Schwätzchen, denn er kann perfekt von den Lippen ablesen. Die Corona-Zeit war besonders schwer, weil mit der Maske im Gesicht alle seine Gegenüber für ihn zu stummen Menschen wurden.

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Zurück nach Salem, auf den Weg zwischen seinem Wohnhaus und dem alten Rathaus, wo Dana mal musste. Hermann Metzger ging also mit seinem Jack Russel Gassi und stieß auf Asylbewerber, die rauchend vor der Unterkunft standen. Sie hätten gelächelt, er habe zurückgelächelt, sie hätten Dana gestreichelt – und schon waren sie im Gespräch miteinander.

Was heißt Gespräch? Hermann Metzger kann zwar von den Lippen ablesen. Allerdings nur, wenn sein Gegenüber Deutsch und sehr sehr langsam spricht. Es habe nicht lange gedauert, berichtet Metzger, dass er die Namen und die Herkunft und den Beruf von zahlreichen Bewohnern wusste. Und dass sie ihn zu einem Festessen einluden. Er wiederum berichtet ihnen von seinem Leben.

Besuch bei Hussein al-Tawil

Ob wir ihn begleiten dürften? Hermann Metzger willigte sofort ein, auch ein Bewohner der Asylunterkunft in Salem öffnete gastfreundlich die Türe zu seinem kargen Zimmer. Hussein al-Tawil, Vater von vier Kindern, 35 Jahre alt, stammt aus Syrien, musste seine Heimat vor drei Jahren verlassen, ohne seine Familie. Er hat einen Busführerschein, er würde gerne bei einem örtlichen Unternehmen einen Job annehmen. Aktuell langweilt er sich in seiner Unterkunft. Während sein 24-jähriger Zimmergenosse an einem Deutschkurs in Friedrichshafen teilnehmen dürfe, sei ihm der Zugang verwehrt worden.

Hussein al-Tawil und sein Handy, das ihm dabei hilft, komplizierte Themen aus dem Arabischen ins Deutsche zu übersetzen.
Hussein al-Tawil und sein Handy, das ihm dabei hilft, komplizierte Themen aus dem Arabischen ins Deutsche zu übersetzen. | Bild: Hilser, Stefan

Handy übersetzt ins Deutsche

Die komplizierten Sätze über sein Leben tippt er in sein Handy, ein digitaler Dolmetscher übersetzt von Arabisch auf Deutsch. Bei einfacheren Themen getraut er sich selbst zu sprechen: „Hallo Dana“, sagt Hussein al-Tawil zum Hund. Er herzt das Tier. „Ich tu lieben“, spricht er.

Hermann Metzger antwortet analog, nicht digital. Den Handy-Übersetzer bemüht er nicht, sondern spricht geduldig, langsam, akzentuiert und mit Gesten untermalt, als ob sein Gegenüber selbst gehörlos sei. „Fenster auf“, „Fenster zu“, erklärt er dem Mann aus Syrien und greift mit seinen großen Händen dabei nach einem virtuellen Fenstergriff. „Fenster auf“, „Fenster zu“, wiederholt Hussein al-Tawil.

Metzger kauft regelmäßig in der Tafel in Überlingen ein. Dort kommt er ebenfalls mit vielen Migranten ins Gespräch. Die Betreuer von der Tafel, sagt er stolz, hätten ihm bescheinigt: „Ich bin genau der richtige Lehrer.“

Kommunikation mit Behörde schwieriger

Der Helferkreis Salem bemüht sich weiterhin darum, Kontakte zwischen Asylbewerbern und Bewohnern der Gemeinde herzustellen. Das Landratsamt sagte dem Helferkreis deshalb zu, über neue Bewohner zu informieren. Ein Sprecher des Landratsamts räumte aber ein, dass die versprochene Kommunikation bisher noch nicht funktioniere, was am hohen Arbeitsaufkommen und Vertretungssituationen liege. Robert Schwarz: „Bei der Priorisierung von Aufgaben kam leider der Austausch mit Helferkreisen zu kurz. Bei der Unterbringung und Versorgung Geflüchteter arbeiten wir weiterhin in einer enorm angespannten Situation. Nichtsdestotrotz gab es bereits einen solchen Austausch zwischen unserem Heimleiter und dem Helferkreis, um über neue Bewohner zu sprechen. Wir wollen das auch weiterverfolgen.“

Hohe Nachfrage nach Sprachkursen

Geflüchtete haben Zugang zu Sprachkursen. Ein Grundsatz, der allerdings mit Einschränkungen verbunden ist, wie Behördensprecher Schwarz mitteilt: „Derzeit ist die Nachfrage nach Sprachkursen sehr hoch, was längere Wartezeiten nach sich zieht.“ Hiervon seien alle Migranten im Landkreis betroffen.