So schnell kann es gehen, wenn ein Konzern die Kommunikation nicht persönlich führt. Wenn Maschinen so trainiert werden, dass sie ganz automatisch Zahlungserinnerungen, Mahnungen und Kündigungen verschicken. Der 83-jährige Hermann Metzger aus Salem ist ein Beispiel dafür.

Trotz Zahlung wird der Vertrag gekündigt

Hermann Metzger bezahlte seine Rechnungen. Er zeigt seinen Überweisungsträger. Zwar war er ein bisschen hinten dran mit der Begleichung stark gestiegener Beträge, er zahlte aber. Trotzdem erreichte ihn Ende August ein automatisiertes Schreiben mit der Betreffzeile: „Die EnBW kündigt Ihren Stromvertrag.“ Wie kann das sein?

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Zunächst zur Person Metzger und seinem Freund Detlef Boehnert. Der gehörlose Hermann Metzger und sein Hund Dana gehören fest zum Stadtbild von Überlingen. Trotz seiner Hörbehinderung hält der 83-Jährige auf der Straße viele Schwätzchen. Denn er kann von den Lippen ablesen. Auf diese Weise knüpft der Holzbildhauer viele Kontakte und findet Freunde, die ihn in einer insgesamt eher prekären Lebenssituation, in der er auf Grundsicherung angewiesen ist, unterstützen.

Einer seiner Freunde heißt Detlef Boehnert. Er ist Gewerkschafter, Ex-Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates bei Nortel-Dasa, er war Berater der früheren Linken-Bundestagsabgeordneten Annette Groth. Er lernte Boehnert in der Tafel kennen und übernimmt, ausgestattet mit entsprechenden Vollmachten, Betreuungsdienste für Metzger.

Detlef Boehnert, hier bei einem Besuch in der Wohnung von Hermann Metzger.
Detlef Boehnert, hier bei einem Besuch in der Wohnung von Hermann Metzger. | Bild: Hilser, Stefan

Als Metzgers Stromdrama Ende Mai begann, zündete es bei Boehnert sofort. Metzger sollte, so das Schreiben vom 27. Mai, eine Nachzahlung für das zurückliegende Jahr über 947 Euro leisten. Boehnert nahm Kontakt mit der EnBW auf, forschte nach der Ursache, und er fand heraus, dass der Stromzähler zwar richtig tickt. Dass Metzger aber arglos einen Stromfresser in die Steckdose gesteckt hatte, einen Elektro-Ofen.

Stromfresser Elektro-Ofen

Metzger berichtet, dass er den Ofen braucht, weil er Rheuma hat und feuchte Räume Gift für ihn seien. Den Ofen stellte er im Schlafzimmer auf und ließ ihn im vergangenen Winter unbedacht über viele Stunden bullern. Die gestiegene Stromrechnung hatte also per se ihre Berechtigung und Metzger fing an, die Schulden abzustottern.

Nach einer Mahnung am 6. Juli über mittlerweile 1011 Euro habe Metzger sofort 500 Euro überwiesen, berichtet Boehnert. Der Restbetrag sollte folgen. Doch Schlussrate und Kündigung haben sich dann offenbar überschnitten.

„Unglückliche Umstände“ aufseiten des Stromkonzerns

Dass die Kündigung ausgesprochen wurde, ist für die EnBW ein unangenehmes Versehen. Konzernsprecher Rashid Elshahed begründet, dass „unglückliche Umstände“ zusammengekommen seien: „Dass hätten wir sehen müssen, dass Herr Metzger gewillt ist, eine Lösung zu finden, und er die Zahlung nicht verweigert. Das tut uns leid, wir werden uns bei Herrn Metzger entschuldigen.“

Detlef Boehnert stellt sich nun diese Frage: „Liegt es an Algorithmen, die den Sachbearbeitern Entscheidungen vorgeben? Und trägt die sogenannte künstliche Intelligenz zu unsozialen Handlungen bei?“

Automatisierter Zahlungsverkehr bei Millionen von Kunden

Konzernsprecher Elshahed sagt, dass die EnBW etwa 5,5 Millionen Kunden zähle, es sei branchenüblich, dass der Zahlungsverkehr automatisiert verläuft. Allerdings sehe ein standardisiertes Verfahren vor, dass sich ein Mitarbeiter aus dem Kundenservice meldet, wenn sich der Kunde zuvor bei ihnen meldete. In aller Regel gelinge es, eine Lösung zu finden. Die Mitarbeiter hätten einen Handlungsspielraum, zum Beispiel zur Vereinbarung von Ratenzahlungen.

Hermann Metzger wäre der Strom nicht abgestellt worden

Salem, Metzgers Wohnort, fällt ins Betreibernetz der EnBW, weshalb der Konzern dazu verpflichtet ist, Kunden im Grundtarif aufzunehmen. Den Strom hätten sie ihm deshalb nicht abstellen können. Sie boten ihm deshalb – automatisiert – den Grundtarif zu erheblich schlechteren Konditionen an. Die Kommunikationsmaschine der EnBW fertigte daraus einen Brief, der am 30. August abgestempelt wurde, und der nun diese Betreffzeile trägt: „Rundum gut versorgt. Mit Strom von Ihrer EnBW“.

Strompreis wäre auf etwa das Doppelte gestiegen

Dieses „Angebot“ klang in den Augen Metzgers nach Spott und Hohn, denn der hier angebotene Preis lag um 100 Prozent über dem bisherigen Preis, den er für ein Kilowatt bisher bezahlte. Der Konzernsprecher ging auch auf diesen Lapsus ein. Er sagte, dass mit der Entschuldigung an Metzger freilich auch das Angebot einhergehe, ihn wieder zu den alten Konditionen aufzunehmen.

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Für Metzger kommt das zu spät, er hat als neuer Stromkunde beim Stadtwerk am See in Friedrichshafen unterschrieben. Das sei ihm sowieso lieber, weil er da immer einen Ansprechpartner vor Ort finde.

Metzger erhält künftig einen Zuschuss für seine Stromheizung

Das ganze Stromdrama hat für Hermann Metzger noch eine weitere Wendung. Denn im Hintergrund wirkte Detlef Boehnert und setzte sich für ihn beim Sozialamt ein. Die Behörde anerkennt nun die Notwendigkeit des Elektro-Ffens, zahlt Metzger wegen steigender Stromkosten einen höheren Stromkostenzuschuss. Und darüber hinaus erhält er vom Amt eine Nachzahlung in Höhe von 540 Euro für die berechtigten Forderungen der EnBW.