Salem Um die Zukunft sinnvoll gestalten zu können, braucht es Visionen und gute Argumente. Beides hat Anita Idel, ausgebildete Agrarwissenschaftlerin und Tierärztin, bei ihrem Plädoyer für die Kuh und die ökologisch wertvolle Weidewirtschaft geliefert. Doch wie so oft klaffen Wunsch und Wirklichkeit, Theorie und Praxis auseinander, wie sich bei der Diskussion in Salem mit praktizierenden Landwirten zeigte.
Eine nachhaltige Beweidung von Grasland könnte mehr als kompensieren, was eine Kuh bei ihrer Verdauung an klimaschädlichem Methan abgebe, erklärte die Expertin. Eine Wiese sei bei genauer Betrachtung wirkungsvoller als der Wald, was die Verarbeitung und Speicherung von Kohlenstoff und Kohlendioxid angeht. Die nachwachsenden Gräser nutzten diese Substanzen, anders als Bäume, nicht nur für sich selbst, sondern führten sie teilweise über die Humusbildung dem Boden zu und sorgten in Kooperation mit einer Vielfalt von Mikroorganismen für dessen Fruchtbarkeit, erklärte Idel in ihrem Vortrag in der voll besetzten Bauernschänke Fidelius in Salem-Beuren.
Seit 15 Jahren weltweit bekannt
Weltweit bekannt geworden war Anita Idel vor 15 Jahren durch ihr Buch „Die Kuh ist kein Klimakiller“. In Südamerika und selbst in Indien, wo den Hindus die Kühe heilig sind, habe sie ihre Erkenntnisse in Vorträgen weitergeben können. In Salem erläuterte die promovierte Fachfrau nun auf Einladung der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (ABL) und des Bunds deutscher Milchviehbauern (BDM) die gemeinsame Evolution der Wiederkäuer und des Graslands, die zu dieser im wahrsten Wortsinn fruchtbaren Verbindung geführt hatten. Entscheidend sei bei der Entwicklung der Gräser gewesen, dass sie sich nicht gegen Fraß wehrten, sondern dies als Wachstumsimpuls nahmen und sich quasi von unten her erneuerten. Wichtig gewesen sei dabei die Gewohnheit der Wiederkäuer, die in Europa und Asien alle vom Auerochsen abstammten, dass sie die Gräser mit ihrer Zunge im oberen Bereich abreißen und das Nachwachsen geradezu beförderten. Durch eine ausgedehnte Durchwurzelung des Untergrunds werde gleichzeitig der Aufbau der Humusschicht gefördert.
Eigentlich bräuchte das Land mehr Rinder und weniger Hühner und Schweine, es bräuchte mehr Weiden als Ackerland, so Anita Idel. Sie erklärte, sie sei in ihrer Ausbildung noch auf Ertragsmaximierung getrimmt worden. Dies führe jedoch zu einem Verlust an Biodiversität und Klimaresilienz, besonders in Deutschland. Bei den landwirtschaftlich genutzten Flächen handle es sich weltweit um 80 Prozent Grünland und nur 20 Prozent Ackerflächen, erläuterte Idel. In Deutschland sei das Verhältnis allerdings nahezu umgekehrt. Hier mache das Grünland gerade noch rund 28 Prozent aus, bedauerte sie. Die europäischen Förderrichtlinien zielten in eine völlig falsche Richtung, befand sie: „Wir subventionieren ein krankes System.“ Die Produktion billiger Lebensmittel sei nur scheinbar billig, sagte die Autorin und Wissenschaftlerin, wenn man die Gesamtrechnung aufmache und die Schäden in Natur und Umwelt mit einrechne.
Milchviehhalter sind skeptisch
„Alles ist verständlich und plausibel“, sagte Milchbauer Wilhelm Hagen aus Wilhelmsdorf-Zußdorf in der anschließenden Diskussion: „Aber es bleibt die Frage: Was macht der Landwirt mit dieser Erkenntnis?“ Auf seine Situation übertragen würde die Rechnung am Ende nicht aufgehen. „Das sind die Betriebe, die gestorben sind. Doch wer fängt denn damit an, das Rad in die andere Richtung laufen zu lassen?“ Auch Landwirt Roland Lohr aus Lellwangen stellte die theoretischen Ausführungen Idels seiner täglichen Arbeit gegenüber: „Wir sind ja schon froh, wenn wir das Jungvieh noch auf die Weide bringen können.“ Mit Erkenntnissen aus Erfahrungen und mit dem Wissen aus dem 21. Jahrhundert könne man die Weichen neu stellen, betonte Referentin Idel. Sie wolle das Potenzial der Weidewirtschaft aufzeigen und damit die Mär von der Kuh als Klimakiller widerlegen. „Billig ist nur scheinbar billig“, betonte sie, weil für die Folgeschäden aus der Massenproduktion die ganze Gesellschaft aufkommen müsse. Wer tatsächlich nachhaltig produziere, werde dafür nicht belohnt. Ungeachtet dessen warb Anita Idel für positive Ansätze und nannte unter anderem die solidarische Landwirtschaft. Allerdings brauche es für das Umsteuern „einen langen Atem“, sagte sie und appellierte an die Bauern: „Man muss dran bleiben.“