Überlingen – Der Abgesang auf die nahezu einzige kleine Ökostromquelle Überlingens ist seit Wochen Thema. Die Wasserkraftwerk am Mantelhafen ist stillgelegt, die Fallleitung beim Andele wird mit Beton verfüllt. Die Stilllegung wurde weder öffentlich diskutiert noch offiziell kommuniziert. Dabei fiel die Entscheidung des Aufsichtsrats schon im ersten Halbjahr 2017.

Auf Anfrage des SÜDKURIER konkretisierte Geschäftsführer Alexander-Florian Bürkle die Dimensionen dieses Aufwands. "Eine genauere Prüfung auch unter Zuhilfenahme von Spezialisten ergab, dass für Sanierung und Weiterbetrieb eine Investition von rund 3 Millionen Euro notwendig gewesen wäre", erklärt Bürkle: "Die Finanzierung dieser hohen Investition ist aus dem operativen Betrieb der Anlage auch über einen sehr langen Zeitraum nicht möglich." Dabei seien "unwägbare Risiken" durch etwaige rechtliche Auflagen oder weitere Schäden noch nicht eingerechnet.

Nach Abwägung aller Gesichtspunkte habe sich das Stadtwerk entschlossen, "die marode Anlage dauerhaft stillzulegen". Dazu müsse die Druckrohrleitung auf ganzer Länge verfüllt werden. Derzeit würden die dazu notwendigen Probebohrungen vorgenommen, um den Zustand der Leitung zu analysieren. Der Andelshofer Weiher selbst und das Gebäude am Mantelhafen seien davon nicht betroffen. Wie teuer die Verfüllung der Leitung wird, dazu wolle das Stadtwerk keine Angaben machen, betont Pressesprecher Sebastian Dix. Mit Blick auf eine umweltfreundliche Stromproduktion verweist Geschäftsführer Bürkle auf anderes Engagement. "Allein mit unseren neuen Anteilen am Solarkraftwerk Eigeltingen und am neuen Windpark Amtenhauser Berg produzieren wir mehr Ökostrom als im ehemaligen Wasserkraftwerk." Zusätzlich kaufe das Stadtwerk zertifizierten Strom aus Wasserkraft ein.

Nicht abfinden mit Überraschung

Noch einmal zur Sprache kam das ungute Gefühl, als jetzt im Gemeinderat die Themen Klimaschutz und Kohlendioxidausstoß, Wärme- und Stromverbrauch von Energieberater Walter Göppel dargestellt worden waren. In der Diskussion nahm Stadtrat Oswald Burger (SPD) mühelos die Kurve zur Wasserkraft. "Vielleicht eine Kleinigkeit", erklärte Burger. "Doch ich vermag mich noch nicht abzufinden mit der Überraschung, dass der Aufsichtsrat unseres Stadtwerks am See die Stromproduktion in unserem Kraftwerk am Mantelhafen gänzlich eingestellt hat." Die Vorfahren hätten 1924 einen Staudamm für den Neuweiher und eine Leitung gebaut. "Das hat tadellos fast 100 Jahre funktioniert, ohne Emissionen und ohne Schädigungen", sagte Burger: "Das hat zwar nur 1,5 Prozent unseres Bedarfs gedeckt. Doch das war immerhin der Spitzenstrom, der frühmorgens und kurz vor dem Mittagessen abgefahren wurde." Der einzige Schaden sei ein "leichtes Brummen" im Kiosk gewesen. Aber sonst gebe es keinen Schaden, der anderen zugefügt worden sei. Noch vor zehn Jahren hätten die Stadtwerke mit dem historischen Wasserkraftwerk und umweltfreundlichem "Turbi-Strom" um neue Kunden geworben, erinnerte der Stadtrat.

"Wieso gibt es dafür keine Zuschüsse?"

Wenn dies aus finanziellen Gründen eingestellt worden sei, wandte sich Burger an Walter Göppel von der Energieberatung Bodensee-Oberschwaben: "Wieso gibt es dafür keine Zuschüsse?" Schließlich hatte Göppel zuvor auf eine großzügige Förderung des Energiemanagements hingewiesen. Burger: "Das Wasserkraftwerk zu erhalten wäre doch Klimaschutz." Doch bevor der Energieexperte überhaupt reagieren konnte, grätschte Oberbürgermeister Jan Zeitler dazwischen.

"Diese Entscheidung ist im Aufsichtsrat des Stadtwerks am See schon in der ersten Jahreshälfte 2017 gefallen", sagte Zeitler, der zugleich Aufsichtsratsvorsitzender ist: "Das war eine rein unternehmerische Entscheidung. Das Stadtwerk am See ist ein auf Gewinn ausgerichteter Wirtschaftsbetrieb." Man habe dem Aufsichtsrat "umfassende Wirtschaftlichkeitsberechnungen" vorgelegt, die "wir wirklich hart diskutiert haben." Zeitler: "Wir können nicht einen Haufen Geld in eine Maßnahme investieren, die am Ende einen Negativertrag bringt. Das kann kein Wirtschaftsunternehmen ernsthaft machen."

Plausible Argumente

"Emotional" habe er die Aufgabe der Anlage nicht befürwortet, sagt Stadtrat und Aufsichtsratsmitglied Lothar Thum (ÜfA/FWV) auf Nachfrage. Doch die Argumente des Stadtwerks und der Gutachter seien einfach plausibel gewesen, sagt Thum. Aus wirtschaftlicher Sicht habe es keine andere Entscheidung geben können. Zudem sei eine Turbine schon seit längerer Zeit kaputt. Wichtig sei ihm allerdings, dass das Gebäude am Mantelhafen mit dem historischen E-Werk auf jeden Fall erhalten bleibe.

Noch etwas schwerer gemacht hat es sich Walter Sorms (LBU/Grüne), der ebenfalls im Aufsichtsrat sitzt. "Die Turbine ist einfach unwirtschaftlich", sagt er. Dazu trage auch bei, dass schon der Wasserzulauf zum Weiher zu gering sei, erklärt Sorms. "Es reicht lediglich aus, um die Turbinen zu 25 Prozent der Zeit am Laufen zu halten."

Schon SWÜ wollten Anlage stilllegen

  • “Mich wundert das überhaupt nicht, dass das Stadtwerk diese Leitung stilllegt“, sagt Jörg Mattausch, von 1973 bis 2001 kaufmännischer Geschäftsführer und von 2001 bis 2004 Gesamtgeschäftsführer der Stadtwerke Überlingen. „Ich selbst wollte diese Stromproduktion schon vor mehr als zwei Jahrzehnten einstellen, weil sie nicht mehr rentabel war. Doch der Gemeinderat war damals dagegen.“ Doch dann kam 1998 die Liberalisierung des Strommarktes und die SWÜ kauften nicht nur Wasserkraft in Österreich ein, um ökologischer zu werden, sondern versuchten mit dem „Turbi-Strom“ gegen 2 Cent Aufpreis noch ein regionales Ökogewissen anzubieten.
  • Unmittelbar nach der Inbetriebnahme im Jahr 1924 habe man sogar noch Strom an das Badenwerk verkaufen können, weiß Mattausch. Allerdings nicht lange. Durch den wechselnden Wasserstand und das begrenzte Volumen liefen die später wieder auf Vordermann gebrachten Turbinen nur begrenzte Zeit. Gerechnet habe es sich längst nicht mehr und die Leitung habe immer wieder für Probleme gesorgt. „Das ist eine 800er Leitung, die unten am Mantelsteig unter 10 bar Druck steht“, sagte Mattausch.
  • Zu spüren bekam dies einmal auch Edgar Schmidt, der frühere Edeka-Markt-Betreiber, dessen Lagerraum nach Rissen am Mantelsteig in der Leitung unter Wasser gesetzt wurde. Jörg Mattausch erinnert sich auch noch an Überschwemmungen im Hebelweg. „Es ist sehr schwierig, diese Leitung in Betrieb zu halten“, sagt der frühere SWÜ-Chef. An manchen Stellen liege sie in acht Meter Tiefe, die Stahlrohre seien mit Klemm-Muffen verbunden und mit einem Bleimantel abgedichtet. „Da kommt man kaum ran.“ Dass die Rohre nicht immer so tief liegen, bekam im letzten Sommer Landwirt und Stadtrat Martin Längle zu spüren, als sein schwergewichtiger Maishäcksler plötzlich in die Leitung einbrach.
  • „Die Turbine am Überlinger Mantelhafen, das Fundament der energiewirtschaftlichen Aktivität der Stadtwerke Überlingen, steht still – zu unserem großen Bedauern“, stellte im Juli 2014 der damalige Geschäftsführer Klaus Eder auf Nachfrage im Gemeinderat ironisch fest und sah sich zu einer skeptischen Prognose genötigt. „In Summe sehen wir derzeit keine Möglichkeiten, die Anlage wirtschaftlich zu sanieren“, betonte Eder. (hpw)