Nun also doch: Während der 55-jährige Physiotherapeut und Osteopath vor dem Konstanzer Amtsgericht noch alles abgestritten hatte, bekennt er sich vor dem Landgericht schuldig, mehrere Frauen in seiner Praxis in den Intimbereich und an die Brust gefasst zu haben, ohne dass dies medizinisch notwendig war. Eine Frau küsste er ungewollt auf den Mund.
Angeklagt war der Therapeut, der eine Praxis in Allensbach betreibt, zunächst wegen 14 mutmaßlicher Fälle des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses nach Paragraf 174c des Strafgesetzbuches. Als Geschädigte meldeten sich zuerst sieben Frauen, später kamen weitere dazu. Die Vorfälle erstreckten sich über mehrere Jahre.

Nach eingehender Prüfung vor dem Amtsgericht hatte Richterin Heike Willenberg ihn im November 2024 wegen neun Taten zu zweieinhalb Jahren Haft und fünf Jahren Berufsverbot sowie der Zahlung diverser Kosten verurteilt. Ihr hohes Strafmaß begründete sie damit, dass er bis zuletzt alles abstritt und „noch versucht hat, sich selbst als Opfer darzustellen“.
Doch der heute 55-Jährige ging in Berufung, genauso wie die Staatsanwaltschaft – die sich damit schwertat, dass weitere Taten nicht bestraft wurden. Ein knappes Jahr später sitzt der Angeklagte im Schwurgerichtssaal des Landgerichts mit genauso unbewegter Miene neben seinem neuen Verteidiger Harald Stehr aus Göppingen wie damals im Amtsgericht.
Richter Tasso Bonath erläutert zunächst, was bereits im SÜDKURIER zu lesen war: Staatsanwaltschaft, Verteidiger und Kammer hatten vor dem Termin im Landgericht Eckpunkte abgesteckt, in welche Richtung die Verhandlung laufen könnte. Der Richter betont: „Das war keine Verständigung im Vorfeld, denn es ist nicht im Interesse des Gerichts, den Fall im Hinterzimmer zu entscheiden. Wir wollten eine öffentliche Verhandlung.“
Der lange Weg zur Entschuldigung
Als Tasso Bonath diese Eckpunkte vorträgt, wirft Staatsanwältin Julia Hellmann energisch ein: „Es wäre schon gut zu wissen, wie das Geständnis aussieht. Für die Nebenklägerinnen ist es wichtig, dass der Angeklagte sich selbst hier im Saal entschuldigt und nicht nur schriftlich. Nur dann wäre für mich die deutliche Reduzierung der Strafe vertretbar.“
Verteidiger Harald Stehr lehnt ab. Im Vorfeld sei besprochen worden, dass er als Anwalt eine Erklärung abgibt. Richter Bonath widerspricht: „Wir hatten uns ausdrücklich noch nicht geeinigt! Das war nur skizziert, nicht fixiert. Wenn die Staatsanwältin der Vereinbarung nicht zustimmen will, klären wir das.“
Die Verhandlung wird unterbrochen, die Parteien besprechen sich. Das Ergebnis: „Der Verteidiger sagte, er habe eine Entschuldigung nicht vorbereitet und sein Mandant wolle das auch nicht selbst machen“, gibt der Richter wieder. Daraufhin habe er Rücksprache mit Claudia Fritschi als Oberstaatsanwältin gehalten, die auf eine mündliche Entschuldigung vor Ort bestehe, wenn die Verständigung zustande kommen soll. Schließlich habe der Angeklagte zugestimmt.
Dann folgen die Worte, auf die viele Frauen teilweise seit Jahren warten, vorgetragen von Anwalt Stehr: „Das größtmögliche Geständnis ist die Akzeptanz des Schuldspruchs des Amtsgerichts. Sämtliche in erster Instanz festgestellte Taten haben sich so zugetragen.“ Als der Angeklagte an der Reihe ist, blickt er nicht zu den Frauen, sondern zum Richter, und sagt: „Ich möchte mich aus tiefem Herzen bei allen Geschädigten entschuldigen.“

Diese schauen sich an, schütteln den Kopf. Aus den Reihen der Zuhörer sind die Ausdrücke „Schande“ und „Frechheit“ zu hören. Was sie von dieser Art der Entschuldigung halten, dazu möchten sich die meisten Geschädigten auf Nachfrage nicht äußern. Nur eine Nebenklägerin sagt dem SÜDKURIER: „Für mich ist die Entschuldigung so in Ordnung, ich kann jetzt loslassen. Aber verzeihen kann ich ihm nicht.“
An dieser Stelle ist die Verständigung nicht mehr nur skizziert, sondern fixiert. In seinem Plädoyer beantragt Verteidiger Harald Stehr eine 23-monatige Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung. Staatsanwältin Julia Hellmann fordert einen Monat mehr. „Aufgrund der hohen Belastung für die Geschädigten setze ich das Höchstmaß an“, begründet sie. „Dass das Berufsverbot aufrechterhalten wird, war mir ebenfalls wichtig.“

Richter: „Die Taten stehen für uns fest“
Das letzte Wort hat der Angeklagte. „Ich möchte mich nochmal ausdrücklich entschuldigen“, sagt er. Richter Tasso Bonath verurteilt den 55-Jährigen zu 23 Monaten Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung. Die Bewährungszeit dauert drei Jahre. Auch die anderen Punkte der Vereinbarung wiederholt er. Somit ist der Therapeut vorbestraft, wenn das Urteil rechtskräftig wird.
Zur Begründung sagt Bonath: „Die Taten stehen für uns fest. Die Kammer hat es gewürdigt, dass er sie einräumte, und hat ihm auch positiv angerechnet, dass er sich ein zweites Mal entschuldigte, das ging über die Pflicht hinaus.“ Negativ hervorstechen würden aber die zahlreichen Taten und Geschädigten, auch der lange Zeitraum gehe zu seinen Lasten.

Obwohl das Urteil auf einer Verständigung beruht, kann der 55-Jährige über seinen Anwalt innerhalb einer Woche Revision einlegen. Dies gilt allerdings als unwahrscheinlich. Die Erleichterung über das mutmaßliche Ende eines langen Leidenswegs ist den Geschädigten anzumerken.
Eine von ihnen – diejenige, die in dem damaligen Verfahren vor dem Amtsgericht als Hauptbelastungszeugin auftrat – findet, dass sich der Weg gelohnt hat, auch wenn sie sich dadurch öffentlich Fragen gefallen lassen musste wie die, ob die sexuellen Handlungen im Therapiezimmer einvernehmlich gewesen seien.
Opfer ist enttäuscht von den Allensbachern
„Mein Ziel war es, weitere Frauen vor dieser Erfahrung zu bewahren“, sagt sie dem SÜDKURIER. „Ich hatte den Therapeuten für einen Freund gehalten und wurde tief enttäuscht.“ Noch enttäuschter sei sie aber von den Allensbachern.
„Seit Jahrzehnten wissen so viele, dass er in der Praxis übergriffig wird. Aber nicht einer hat mich als Außenstehende gewarnt!“, ist ihr Vorwurf. „Alle halten zusammen, niemand im Dorf macht den Mund auf, seine Taten werden bagatellisiert. Aber jetzt wünschten sich viele, dass er ins Gefängnis kommt. Das ist verlogen, das ist Doppelmoral.“