Der Angeklagte hat noch nicht ein Wort zu den Vorwürfen gesagt, da wird die Verhandlung schon unterbrochen. Gerade erst wurde die Anklage gegen den 53-Jährigen verlesen. Er muss sich wegen einer Vielzahl an Vergehen vor dem Amtsgericht Konstanz verantworten. Die Staatsanwältin zählt zehn Tatziffern auf, darunter mehrmals Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigungen und räuberischer Diebstahl.
Ein Dutzend Zeugen sind zu der Verhandlung geladen, doch die meisten werden gar nicht benötigt. Denn die Unterbrechung zu Beginn gibt es wegen eines Rechtsgesprächs zwischen dem Gericht, Verteidiger und Staatsanwältin. Aus den angekündigten 15 Minuten werden 30, dann kann es weitergehen.
Richter Franz Klaiber verkündet: Es ist eine Verständigung erzielt worden. Im Falle eines umfassenden Geständnisses kann eine Gesamtfreiheitsstrafe verhängt werden. Diese wird zwischen einem Jahr und acht Monaten und zwei Jahren und zwei Monaten liegen. Mit in das Urteil einfließen wird außerdem ein Gutachten, das von einem Psychologen des Zentrums für Psychiatrie (ZfP) Reichenau erstellt wurde.
Das Geständnis wird vom Anwalt des Angeklagten verlesen. Bis auf einen Punkt werden alle Vorwürfe der Staatsanwaltschaft eingeräumt. Dem folgen noch mehrere Entschuldigungen, etwa an einen Nachbarn und mehrere Polizisten, die der Angeklagte verletzt, beleidigt und in einem Fall bedroht hat.
Die meisten Punkte in der Anklageschrift betreffen Vorfälle zwischen dem Angeklagten und seiner Partnerin. Mehrfach kommt es zu Gewalt, die Frau erleidet unter anderem eine Schnittverletzung an der Nase.
Angeklagter will sich nicht an Schubser erinnern
Der einzige Anklagepunkt, der nicht zu Beginn der Verhandlung eingeräumt wird, betrifft den Vorwurf des räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung. Im vergangenen Oktober soll der Angeklagte versucht haben, Lebensmittel ohne zu bezahlen in einem Rucksack aus einem Konstanzer Discounter mitzunehmen. Im Anschluss soll es zu einer körperlichen Auseinandersetzung mit einem Mitarbeiter gekommen sein, den der Angeklagte gestoßen haben soll. Daran will sich der Mann nicht erinnern.
Der betroffene Zeuge schildert den Vorfall anders, der Angeklagte habe sich aggressiv verhalten. Es sei zu einem Handgemenge um den Rucksack gekommen, wobei der 53-Jährige den Zeugen gestoßen habe. Ein Polizist, der an diesem Abend zum Einsatzort fuhr, berichtet, dass der Angeklagte alkoholisiert gewesen sei. Ein Atemalkoholtest habe das bestätigt.
Bis zu diesem Punkt hat der Angeklagte lediglich wenige Worte gesprochen. Er sitzt ruhig da, die Unterarme übereinander vor sich auf den Tisch gelegt. Richter Klaiber will mehr über den Werdegang des Mannes erfahren. Der antwortet auf jede Frage, wenn auch nie mit mehr Worten als nötig.
Vor wenigen Jahren kam er nach Konstanz. Nach der Scheidung von seiner Frau habe er viel Alkohol getrunken, zum Schlafen habe er Tabletten gebraucht. Auf der Suche nach professioneller Hilfe wurde er im ZfP aufgenommen. Doch die Probleme nahmen zu, er habe hier noch mehr Alkohol getrunken, flaschenweise Wodka, sagt er. Eine Therapie schmiss er nach drei Monaten hin.
Kurz danach habe er die Frau getroffen, mit der er noch heute in Kontakt stehe. Die Frau, mit der es immer wieder zum Streit kam. Schon in der Verlesung des Geständnisses kommt auf, dass beide ein Alkoholproblem haben. Regelmäßig eskalierten Situationen, häufig endete es mit Verletzungen der Frau.
Lange Vorgeschichte mit Suchtproblemen
Alkohol spielt auch im Gutachten des Experten vom ZfP, das er dem Gericht vorstellt, eine Rolle. Es führt eine Vielzahl von erfolglosen Entzugsversuchen auf. Selten gingen die Vorhaben länger als wenige Tage. Dass eine Therapie einen Erfolg bringt, erwartet der Experte nicht. Während der Ausführungen blickt der Angeklagte aufmerksam zum Psychologen, bestätigt auf Nachfrage einzelne Zeiträume oder Jahreszahlen.
In ihrem Plädoyer spricht die Staatsanwältin von „einem tragischen Fall“, allerdings haben sich in kurzer Zeit viele Taten angehäuft, dazu kommen zahlreiche Vorstrafen. Sie fordert eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten. Der Verteidiger fordert ein Jahr und acht Monate. Das letzte Wort hat der Angeklagte. Er fasst sich wie schon zuvor kurz. Es tue ihm leid, dazu macht er mit den Händen eine fast schon resignierende Geste.
Das Urteil lautet schließlich: ein Jahr und neun Monate. Im Wesentlichen sei das Gericht den Ausführungen der Staatsanwältin gefolgt, so Richter Klaiber. Der Angeklagte saß bereits seit Mitte Februar in Untersuchungshaft, zwischenzeitlich musste er eine dreiwöchige Ersatzfreiheitsstrafe antreten.
Er wird noch einige Zeit im Gefängnis verbringen: Er hätte ohnehin in Kürze eine Haftstrafe antreten müssen. Das Gericht hält ihm zugute, dass er ein umfangreiches Geständnis abgelegt habe – und damit auch seiner Partnerin erspart habe, aussagen zu müssen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, innerhalb einer Woche können Rechtsmittel eingelegt werden.