Immer wieder kommt es zu diesem Muster: Eine Frau wird geschlagen, misshandelt, will sich wehren. Doch davor hat sie Angst. Denn wenn sie ihren Peiniger anzeigt, kann es zur Gerichtsverhandlung kommen. Dort muss sie dem Mann erneut begegnen, alles noch einmal erzählen – und weiß doch nicht, ob man ihr glaubt.
All das erleben Claudia Nicolay und Waltraud Weber vom Verein Frauen helfen Frauen in Not regelmäßig. Sie kümmern sich in Konstanz um Frauen, die Gewalt erlebt haben.
Wenn ein Vorfall gemeldet wird
Die Herausforderungen beginnen für die beiden bereits dann, wenn die Polizei mit zeitlicher Verzögerung am Einsatzort auftaucht. Dabei treffen die Beamten nicht selten auf Frauen, die sich wegen fehlender Sprachkenntnisse oder einem Schockzustand nur schwer mitteilen können.
Waltraud Weber meint, dass diese Begegnung noch beeinträchtigt werden kann, wenn zwei männliche Beamte vor Ort sind. Sie sagt: „Nicht, weil Männer schlechter reagieren, sondern weil es eine zusätzliche Hemmschwelle darstellen kann.“
Am Einsatzort fotografieren die Beamten die Verletzungen der Betroffenen. Waltraud Weber lobt: „In Konstanz merkt man, dass die Polizei sich engagiert und das Thema wichtig nimmt – vor allem durch die Unterstützung der Sachbearbeiterinnen, die für den Bereich Opferschutz bei der Polizei tätig sind.“
Wenn es dann zu einer Verhandlung kommt, sei eines für die Betroffenen besonders herausfordernd: „Für die meisten Frauen ist es am schwierigsten, mit dem Täter in einem Raum zu sitzen“, so Claudia Nicolay. Oftmals wolle das Gericht die Dynamik zwischen Opfer und Täter sehen und vor allem wissen, wie der Täter auf die Aussagen des Opfers reagiert.
So schwer kann es sein, vor Gericht auszusagen
Die Rechtslage verlangt zudem, dass Betroffene vor Gericht vollumfänglich ihre gewaltvollen Erfahrungen schildern und sogar nachstellen müssen. Claudia Nicolay meint, das könne zu einer erneuten Traumatisierung führen. Erschwerend komme hinzu, dass sich die Verfahren oft über Monate oder Jahre hinziehen, wodurch die Betroffenen ihre Leidensgeschichte immer wieder schildern müssen.
Im Gerichtssaal ist es dazu möglich, dass der Anwalt des Täters Fragen zu den Aussagen der Betroffenen stellt – oft mit dem Ziel, die Glaubwürdigkeit der Betroffenen in Zweifel zu ziehen: „Anwälte setzen alles daran, das Beste für ihre Mandanten zu erreichen. Das ist deren Job“, so Waltraud Weber.
Vor Gericht sind die Betroffenen außerdem in einer anderen Position als die Täter: Während die Angeklagten schweigen oder sogar falsche Angaben machen können, müssen Opfer als Zeuginnen die Wahrheit sagen, dazu sind sie verpflichtet. Nicolay kritisiert diese Ungleichheit: „Ich finde, ein Täter darf vor Gericht nicht lügen.“
Bei der Reaktion auf die Gewalt seien die Opfer manchmal in einer Zwickmühle. Claudia Nicolay schildert: „Wenn die Frau ruhig bleibt, wird ihr vielleicht vorgeworfen, dass sie nicht weggegangen ist. Wenn sie Notwehr anwendet, kann gesagt werden, dass sich beide im Streit verletzt haben und Aussage gegen Aussage steht.“

Strafmaß aus Sicht der Frauen zu mild
Auch wenn die Betroffenen im Saal vollumfänglich aussagen, bleibt daher die Frage, ob ihnen überhaupt geglaubt wird. Nach Ansicht von Claudia Nicolay erhöht sich die Chance, wenn in einem Prozess mehrere Betroffene aussagen. Wenn aber eine Zeugin alleine ist und die Tat nicht ausreichend belegen kann, wird es schwieriger. Nicolay meint: „Oft fehlen wichtige Beweise, wie etwa Morddrohungen auf WhatsApp, weil Betroffene diese nicht aufbewahrt haben oder sie der Täter nur mündlich geäußert hat.“
Und wenn sich die Opfer vor Gericht nicht mehr an alles genau erinnern können, heißt das häufig: im Zweifel für den Angeklagten. Waltraud Weber meint: „Für die Frauen fühlt sich das dann so an, als würde man ihnen nicht glauben.“ Ähnlich sieht es aus, wenn die Täter später nur eine Geld- oder Bewährungsstrafe bekommen.
„Das ist für manche Frauen so, als wäre die Gewalt an ihr doch gar nicht so schlimm gewesen“, berichtet Claudia Nicolay. Beispielsweise bekam ein 28-Jähriger, der seine Freundin schwer misshandelt haben soll, im vergangenen Jahr eine Bewährungsstrafe.
Ob Gewalttaten überhaupt zur Anzeige gebracht werden, ist angesichts dieser Herausforderungen für die Opfer eine Sache für sich. Im Interview mit dem SÜDKURIER fordern die Mitarbeiterinnen des Frauenhilfevereins bessere Unterstützung für Betroffene, etwa durch die Kostenübernahme der Verfahren, erleichterte Videovernehmungen und verpflichtende Täterprogramme.
Eine Anzeige ist nicht für alle Opfer der richtige Weg
Waltraud Weber meint, dass Betroffene bei der Entscheidung, den Täter anzuzeigen, unter Druck stehen. Sie erzählt: „Wir schauen uns jeden Fall einzeln an. Dabei entscheidet einzig und allein die Frau.“ Claudia Nicolay sagt: „Manchmal hilft es den Frauen, dass sie sich sagen können: Ich hab‘s einfach gemacht, ich habe ihn angezeigt!“
Es ist ein Drahtseilakt: Zwar wollen die Mitarbeiterinnen Frauen unterstützen, wenn es darum geht, Gewalt zur Anzeige zu bringen. Die Betroffenen sollten sich aber auch nicht schlecht oder schuldig fühlen, wenn sie nicht zu diesem Weg bereit sind. Claudia Nicolay betont: „Es ist ihr Recht, den Täter nicht anzuzeigen. Dafür gibt es auch gute Gründe.“