Nach dem Nein der Hänselezunft, ihr Häs für ein Konstanzer Theaterstück zur Verfügung zu stellen, sieht sich die Theaterleitung bestätigt: Sich einer Diskussion um die Rüstungsindustrie am Bodensee zu verweigern, sei „eben genau der Kern des Stücks und wirft weitere Fragen auf“. Mario Böhler, Leiter der Kommunikationsabteilung am Konstanzer Theater: „Inwieweit gibt es in Überlingen einen vorauseilenden Gehorsam gegenüber der angesehenen Firma Diehl Defence?“
Narrenchef zur Theater-Anfrage
Um was geht‘s? Auf die Anfrage des Theaters, ob man ein Hänselehäs für das Bühnenstück „Am Wasser“ verwenden dürfe, lehnte Hänselevater Harry Kirchmaier ab. In dem von Annalena Küspert geschriebenen Stück findet eine kritische Auseinandersetzung mit den Rüstungsfirmen am Bodensee statt. Kirchmaier, bei Diehl Defence in Überlingen beschäftigt, äußerte Bedenken: „Die werden am Theater ja kein gutes Haar an der Verteidigungsindustrie lassen.“ Er wolle vermeiden, „dass jetzt die Überlinger Traditionsfigur dafür herhalten soll, das schlecht zu machen“.
Theater-Sprecher Böhler meinte daraufhin: „Was sagt Diehl Defence zu der Thematik. Bestärken sie Vereine in einer solchen Haltung?“ Die SÜDKURIER-Redaktion fragte bei Diehl Defence in Überlingen nach: Wie nehmen Sie die von Friedensinitiativen in der Region angestoßenen Diskussionen wahr? Tragen Sie als Unternehmen dazu bei, dass ein offener Diskurs stattfinden kann? Und wie unterstützen Sie die Beschäftigten, die innerhalb ihrer Familien oder Freundeskreise Anfeindungen ausgesetzt sind?
Diehl-Sprecher sieht Zuspruch der Deutschen
Auf die schriftlich gestellten Fragen antwortete Paul Sonnenschein, Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit bei Diehl Defence, nach Erscheinen des Berichts „Kein Hänsele auf der Theaterbühne“. Er schrieb am Montag: „Alle Bürger in Deutschland, auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Diehl Defence, genießen das Recht auf freie Meinungsäußerung. Als Unternehmen beziehen wir Stellung zu Fragen der Sicherheitsvorsorge und zur Rolle der Rüstungsindustrie. Darüber hinaus empfangen wir an unseren Standorten regelmäßig Besucher aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen. Wir sind davon überzeugt, dass der weit überwiegende Teil der deutschen Bevölkerung und der Familien unserer Beschäftigten hinter den Aufträgen von Bundeswehr und NATO stehen – Aufträge, die ohne qualifizierte Ausrüstung nicht zu erfüllen sind.“

OB Zeitler argumentiert verteidigungspolitisch
Von Oberbürgermeister Jan Zeitler wollten wir wissen: „Wie bewerten Sie die Existenz eines Rüstungsbetriebs in Überlingen, mit den daran hängenden Fragen von Wohlstand und Steuereinnahmen? Halten Sie einen kritischen Diskurs für richtig, oder denken Sie, dass es diesen bereits in ausreichender Intensität gibt?“ Zeitler antwortete, dass die Industrie, neben Tourismus, Handwerk und Gewerbe, ein wichtiges Standbein für Überlingen sei. Die Firma Diehl (Defence und Aerospace) sei für zahlreiche Überlinger ein Arbeitgeber, der eine langfristige Perspektive biete. „Diehl Defence produziert hochtechnisierte Verteidigungsmittel für Heer, Luftwaffe und Marine und damit Produkte, die eine wehrhafte Demokratie als Abschreckung in einem internationalen Umfeld benötigt.“
Oberbürgermeister begrüßt politische Diskussion
Diehl Defence und Diehl Aerospace seien historisch aus den Bodenseewerken gewachsen, „die bereits seit Jahrzehnten in Überlingen angesiedelt sind“. Die Steuereinnahmen der beiden Unternehmen, so Zeitler, „tragen selbstverständlich auch zum Wohlstand der Stadt sowie einer guten infrastrukturellen Entwicklung bei“. Insbesondere müssten die Überlinger auf zahlreiche freiwillige Leistungen der Stadtverwaltung verzichten, könnte man nicht auf Steuereinnahmen der erfolgreichen Unternehmen zurückgreifen. Zeitler zum Diskurs über die Rüstungsbetriebe: „Grundsätzlich begrüßt die Stadtverwaltung einen bürgerlichen und künstlerischen Diskurs sowie Beteiligung an der politischen Diskussion. Sie sieht aber davon ab, einen solchen Diskurs, der aus unserer Sicht in angemessener Intensität und Sachlichkeit geführt wird, im Einzelnen zu bewerten.“
„Mehrzweckwaffe“ geht an Saudi Arabien
Diehl Defence liefert auch an Staaten wie Saudi-Arabien, einem absolutistischen Staat mit dem Wahhabismus als Staatsreligion. Das geht aus einem Pressetext von Diehl Defence von Juni 2018 hervor, in dem ihre Kurzstreckenrakete Iris-T als „Mehrzweckwaffe“ beschrieben wird. Zu den „Nutzerstaaten“ zählt laut Diehl auch Saudi-Arabien. Die besagte Pressemitteilung versandte Diehl Defence im Juni 2018 nach Unterzeichnung eines weiteren Vertrag über die Lieferung von Luft-Luft-Lenkflugkörpern des Typs IRIS-T an Thailand.