Am Theater Konstanz laufen derzeit die Proben für das Stück „Am Wasser“, das sich mit der Rüstungsindustrie am Bodensee auseinandersetzt. Die Autorin des Stücks, Annalena Küspert, lebte früher in Überlingen. Sie dachte beim Schreiben auch an den Rüstungskonzern Diehl – und an die Überlinger Hänsele.

Ein Tabuthema?

Ihr Stück geht von der Annahme aus, dass es schwierig sei, über die heimischen Rüstungsbetriebe zu diskutieren. Zusammenhänge, die es zwischen dem Bau von Waffen und dem Sterben in fernen Kriegen möglicherweise gebe, dürften nicht angesprochen werden. Sie findet: Ein Tabuthema.

Hänselezunft lehnt ab

In Küsperts Stück berichtet ein Hänsele von seiner Kriegserfahrung, von seiner Geschichte als Hänsele, weshalb nun die Frage auftauchte, ob die Hänselezunft ein Häs für die Bühne zur Verfügung stelle. Das macht die Zunft nicht. Hänselevater Harry Kirchmaier lehnt ab, nicht mit Verweis auf die Fastnachtstradition, die einen Auftritt außerhalb von Überlingen verbietet, sowieso in Konstanz. Sondern weil er das Hänsele davor bewahren wolle, dass mit ihm die Rüstungsindustrie schlecht geredet werde.

Harry Kirchmaier, Ingenieur: „Man kann der Rüstungsindustrie selbstverständlich kritisch gegenüberstehen. Ich aber sage: Es war ...
Harry Kirchmaier, Ingenieur: „Man kann der Rüstungsindustrie selbstverständlich kritisch gegenüberstehen. Ich aber sage: Es war noch nie so lange Frieden wie jetzt, und das liegt daran, dass der eine vor dem anderen Angst hat – Frieden durch Abschreckung. Wir entwickeln nur solche Waffen, mit denen man sich verteidigen kann, mit denen kannst Du nicht angreifen.“ | Bild: SK-Archiv

Wie kam Küspert zu der Idee für das Schauspiel? Sie begründet: „Als Schülersprecher haben wir Demonstrationen gegen den Irakkrieg auf der Hofstatt organisiert. Wir waren total politisch. Wir haben aber nie darüber gesprochen, ob das, was in den Kriegen auf der Welt passiert, etwas mit unserer Region zu tun haben könnte.“ Auch jetzt, als sie das Stück schrieb, habe sie versucht, darüber zu reden. „Die Gespräche waren schnell vorbei, wenn man sich nicht gerade streiten wollte.“ Sie wisse nicht, warum das so ist. Mit ihrem Stück wolle sie vor allem Fragen stellen. „Was macht das mit dem kollektiven Unterbewusstsein der Menschen in der Bodenseeregion?“ Natürlich sei es verführerisch, bei Firmen wie Diehl zu arbeiten. Küspert: „Als Familienvater, arbeitslos, vier Kinder, hat man eine Verantwortlichkeit, die man wahrnehmen muss. Es liegt mir fern, irgend einem der Beschäftigten erhoben entgegen zu treten.“

Ob er nachvollziehen könne, dass manche Mitarbeiter ein schlechtes Gefühl bei der Produktion von Waffen haben? Dazu der Standpunkt von Harry Kirchmaier, der bei Diehl arbeitet: „Wer sich bei uns bewirbt, der weiß, worauf er sich einlässt.“ In den Stellenanzeigen von Diehl stehe, dass es sich um ein Rüstungsunternehmen handelt. Die Arbeitssituation für Ingenieure sei so gut, dass jeder, der ein Problem damit hat, jederzeit auch woanders einen Job finde.

Annalena Küspert, Autorin: „Ich würde mich nie als moralische Instanz über den Dingen sehen. Ich war ja selbst mit Leuten ...
Annalena Küspert, Autorin: „Ich würde mich nie als moralische Instanz über den Dingen sehen. Ich war ja selbst mit Leuten befreundet, deren Eltern in der Rüstungsindustrie arbeiten. Ich saß bei ihnen am Mittagstisch. Das sind keine bösen Menschen. Ich glaube nur, dass es schmerzhaft ist in der Region anzuerkennen, dass sie ihren Wohlstand der Rüstung verdankt.“ | Bild: Julian Peters

Beim Schreiben von „Am Wasser“ sei sie über sich selbst erschrocken, dass sie das Thema als Jugendliche nicht interessierte. „Auch für mich ist es schmerzhaft zu wissen, dass in Überlingen alles so schön ist, die Kreisverkehre mit Blumen bepflanzt werden, dass Segeln so viel Spaß macht und im Jemen Kinder sterben. Ist das zusammenhanglos?“, fragt Küspert. Sie habe weitere Fragen: „Gibt es einen Zusammenhang zwischen unserem Wohlstand und dem Sterben in fernen Kriegen? Und: Wie geht man damit um?“

Hänsele als Widergänger

Auch die Schwedenmadonna, die an die Belagerung der Stadt im Dreißigjährigen Krieg erinnert, kommt im Stück vor. Küspert sagte, dass sie die Region, in der Rüstung produziert wird, in einen historischen Kontext stelle: „Der Überlinger Hänsele erzählt im Stück etwas über den Krieg. Es geht um die Historie, auf die die Hänselezunft ihre Figur begründet. Der Hänsele als Widergänger, der keine Ruhe findet, der im Krieg als einziger gefallen ist, weil er nicht gebetet hat.“

Küspert: Hätte mich überrascht

Geplant war, die Hänselefigur in einer eingespielten Filmsequenz zu zeigen. Die Idee dazu hatte die Bühnenbildnerin am Konstanzer Theater. Sie selbst sei nicht einbezogen worden, sagte Küspert: „Ich habe zu keinem Zeitpunkt gedacht, dass die Hänselezunft ein echtes Häs verleihen würde. Ich weiß um die Tradition, ich kenne die Hänsele, ihren Stolz, die Kinder, die wochenlang mit der Karbatsche üben. Es hätte mich wirklich überrascht, wenn sie gesagt hätten: Nehmt unser Häs und macht auf der Bühne damit, was ihr wollt.“

Kirchmaier: „Verkaufen nicht an Schurkenstaaten“

Nun werden Hänsele und Schwedenmadonna in Kostümen auftreten, die nicht ans Original erinnern. Doch als Mario Böhler, Kommunikationschef am Theater Konstanz, bei Hänselevater Harry Kirchmaier angerufen hatte, kam prompt die Absage. „Ich habe abgelehnt, weil eine dreistellige Zahl an Zunftmitgliedern bei Diehl arbeitet“, so Kirchmaier. „Die werden am Theater ja kein gutes Haar an der Verteidigungsindustrie lassen. Und da habe ich gesagt: Hören Sie mal her, Herr Böhler, Diehl ist in Überlingen hoch angesehen, schon deshalb, weil es der größte Gewerbesteuerzahler ist. Dass jetzt die Überlinger Traditionsfigur dafür herhalten soll, das schlecht zu machen – nein, das passt für mich nicht zusammen. Diehl ist ein Traditionsunternehmen, der Hänsele hat Tradition. Aber beides sind verschiedene Paar Stiefel.“ Mit Verweis auf das Kriegwaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz sagte Kirchmaier: „Ich bin zwar nur Versuchsingenieur und bin im Betriebsrat tätig. Aber ich weiß: Wir könnten viel mehr verkaufen, wenn wir unsere Produkte an Schurkenstaaten verkaufen würden. Das machen wir aber nicht.“

Dieser Vorhang bleibt zu: Harry Kirchmaier, Chef der Hänselezunft, lehnt es strikt ab, dass das Hänsele-Häs auf die Bühne eines ...
Dieser Vorhang bleibt zu: Harry Kirchmaier, Chef der Hänselezunft, lehnt es strikt ab, dass das Hänsele-Häs auf die Bühne eines Konstanzer Theaterstücks und damit in eine Debatte um Rüstung gestellt wird. | Bild: Stefan Hilser, Sandra Ardizzone/Collage: Sara Düll