Herr Frank, wie definieren Sie Exhibitionismus?
Die Forensische Klinik Weissenau hält sich an die Definition der Weltgesundheitsorganisation, die von einer wiederkehrenden oder anhaltenden Neigung spricht, die eigenen Genitalien vor meist gegengeschlechtlichen Fremden in der Öffentlichkeit zu entblößen. Meist wird das Verhalten von sexueller Erregung begleitet und es kann zur Masturbation kommen.
Handelt es sich um eine psychische Erkrankung?
Das Krankhafte ist gegeben, wenn sich jemand nicht anders verhalten kann, wenn er völlig darauf eingeengt ist, auf eine bestimmte Art und Weise zu sexueller Befriedigung zu gelangen. Früher wurde von Perversion gesprochen, heute von Störungen der Sexualpräferenz. Es muss aber nicht immer ein psychisches Störungsbild vorliegen. Es können auch Menschen sein, die mit Alkohol oder Drogen intoxikiert sind und dadurch enthemmt sind. Oder es liegt eine Intelligenzminderung vor und derjenige verfügt nicht über ein sozial angemessenes Repertoire, um sexuelle Kontakte aufzubauen. Es kann sich ebenso um Menschen handeln, die kontaktgehemmt oder sozial nicht gut integriert sind und sich im Selbstwert stabilisieren wollen. Erstere treten allerdings häufiger in Erscheinung, weil sie sich nach sexueller Befriedigung sehnen.
In der Regel sind es Männer, die sich so in der Öffentlichkeit verhalten. Warum?
Straffällige Menschen sind zu 90 Prozent Männer. Sie sind also diejenigen, die eher soziale Regeln überschreiten. Außerdem liegt der Reiz oft darin, das erregte männliche Genital in der Öffentlichkeit zu zeigen. Bei diesen beiden Annahmen handelt es sich aber nur um eine mögliche Deutung.
Welche Männer treten am ehesten exhibitionistisch in Erscheinung?
Bei einem guten Teil handelt sich um verheiratete Männer, die ein ordnungsgemäßes Ehe- und Intimleben haben. Sie haben meist ein jüngeres bis mittleres Lebensalter. Im höheren Alter lässt der Sexualtrieb nach.
Wie oft haben Sie in der Forensischen Psychiatrie mit Exhibitionisten zu tun?
Eher selten, da die Betroffenen selbst keinen großen Leidensdruck haben. Sie treten oft erst durch die Folgen ihres Handelns in Erscheinung, wenn es zum Beispiel zu einem Gerichtsprozess kommt und wir mit der Begutachtung beauftragt sind. Wenn die Betreffenden als Bewährungsauflage eine Therapie machen müssen, suchen sie sich aber meist einen niedergelassenen Psychotherapeuten. Wir sind für eine dauerhafte Unterbringung von Straffälligen zuständig.
Wie werden die Betroffenen behandelt?
Wenn es eine bekannte Ursache gibt, wie eine Alkoholsucht oder eine Intelligenzminderung, fangen die Therapeuten dort an. Die Alkoholsucht wird behandelt oder im Falle einer Intelligenzminderung werden Angebote zur Betreuung gemacht. Findet man Krisensituationen, die das Verhalten auslösen, wird nach Alternativen gesucht, die nicht mit dem Gesetz und dem Schambefinden unbeteiligter Dritter in Konflikt geraten. Es werden auch Alternativen gesucht, seine Zeigelust legal auszuleben, was aber in vielen Fällen nicht ausreicht.
Wie sind die Therapieaussichten?
Eine 100-prozentige Aussicht zu geben, ist schwierig. Eine Abmilderung lässt sich bestimmt erzielen.
Was raten Sie Menschen, die auf Exhibitionisten treffen?
Exhibitionisten haben das Bedürfnis zu überraschen und zu erschrecken. Die Menschen sollten sich möglichst nicht überraschen lassen, stattdessen, wenn es sich jemand zutraut, eher amüsiert reagieren. Eine beherzte Formulierung à la 'Pack mal ein' hilft. Dann erreicht der Exhibitionist sein angestrebtes Ziel nicht.
Forensische Psychiatrie
Die Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie Weissenau ist mit juristischen Fragen im Zusammenhang mit psychischen Störungen betraut. Ihre Hauptaufgabe ist die Unterbringung und Betreuung von Tätern, die wegen einer psychischen Erkrankung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig sind, wie die Klinik auf ihrer Internetseite zum Maßregelvollzug erklärt. Die Unterbringung wird durch ein Gericht angeordnet.
Ein Blick in das deutsche Strafgesetzbuch
- Exhibitionismus steht in Deutschland unter Strafe und fällt unter die Taten ohne Körperkontakt mit einer unbeteiligten Person. Im Strafgesetzbuch gibt es mehrere Paragrafen, die im Falle von Exhibitionismus greifen. Paragraf 183 besagt im Wesentlichen, dass ein Mann, der eine andere Person durch exhibitionistisches Verhalten belästigt, mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe bestraft wird. Die Tat wird allerdings nur auf Antrag verfolgt. Es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. In dem Paragrafen wird explizit von Männern als Tätern gesprochen. Eine Beschwerde gegen diese Formulierung lehnte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1999 ab. Die Richter sahen keinen Verstoß gegen das Grundgesetz, das die Gleichstellung von Männern und Frauen fordert. Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages beschloss 2017, eine geschlechtsneutrale Formulierung zu unterstützen.
- Die Erregung öffentlichen Ärgernisses behandelt Paragraf 183a im Strafgesetzbuch.
- Sexueller Missbrauch: Sind Kinder oder Jugendliche von Exhibitionismus betroffen, so wird dieser als sexueller Missbrauch gewertet. Mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt. Bei Betroffenen, die zwischen 14 und 16 Jahre alt sind, ist per Gesetz eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahre oder eine Geldstrafe für den Täter vorgesehen. In die Beurteilung der Delikte vor Gericht fließt immer die Schuldfähigkeit des Täters mit ein, und, um welche Art von sexueller Handlung es sich handelte. Hat der Täter nur die Hose herunter gelassen oder sich auch sexuell befriedigt? Fragen wie diese werden vor Gericht geklärt. Das Strafmaß kann variieren.