Auf dem Weg ins Rathaus wissen, was heute wichtig ist. Oberbürgermeister a.D. Reinhard Ebersbach und Oberbürgermeister Jan Zeitler kennen diese Herausforderung. Beim dritten "Gemischten Doppel", der SÜDKURIER-Gesprächsreihe im Wohnstift Augustinum, berichteten die SPD-Politiker von ihrer Zeit im Rathaus. Für Reinhard Ebersbach waren es 24 Jahre, von 1969 bis 1993. Zunächst als Bürgermeister und ab 1993 dann als Oberbürgermeister. Unter Ebersbach entstand ab Anfang der 70er-Jahre der Ufersammler. Auch oberirdisch veränderte sich damals einiges: Die Uferpromenade erhielt ihr Gesicht. Alles in einer Zeit, als Jan Zeitler, der aktuelle Oberbürgermeister, gerade die Welt entdeckte. Ebersbach ist Jahrgang 1938, Zeitler Jahrgang 1970. Seit knapp eineinhalb Jahren ist Zeitler nun im Amt.

Unzählige Fäden laufen bei ihm zusammen – wie einst auch bei Ebersbach. Ein Oberbürgermeister sei der Diener sehr vieler Herren, sagt Stefan Hilser, Leiter der SÜDKURIER-Lokalredaktion und Moderator. Bürger, Wähler, Landratsamt, Regierungspräsidium und Familie, zählt Hilser auf. "Wie schaffen Sie es da noch, Prioritäten zu setzen?", fragt er. OB Zeitler hat eine klare Antwort: "Es ist ein permanenter Abwägungsprozess, was gut für die Stadt ist." Jede Entscheidung trifft er nach eigenen Angaben vor dem Hintergrund, sie für mehr als 22 000 Bürger zu treffen. Stets in den Grenzen der Hauptsatzung für die laufende Verwaltung oder im demokratischen Prozess mit dem gewählten Gemeinderat. Die Verantwortung, die der Oberbürgermeister trägt, ist groß. Trotzdem handelt es sich für Zeitler um den "schönsten Beruf der Welt". Und Reinhard Ebersbach fügt hinzu: "In den 24 Jahren, in denen ich Bürgermeister und Oberbürgermeister war, bin ich keinen Tag unlustig ins Büro gegangen." Die Zeiten für Stadtoberhäupter sind indes immer andere.
1969 war die Abwasserentworgung das zentrale Thema in Überlingen. In den folgenden Jahren wurden der Ufersammler und die Kläranlage Uhldingen realisiert. Mit einer Skizze vom Ufersammler und einer Kostenschätzung in Höhe von 1,7 Millionen D-Mark war Ebersbach 1970 vor den Gemeinderat getreten. "Da gab es keine weiteren Unterlagen", sagt der Alt-Oberbürgermeister. Die Gemeinderatsmitglieder hatten ungeachtet dessen für das Bauprojekt gestimmt. Von 1971 bis 1975 wurde an der vordersten Seelinie gebaut. Ebersbach zufolge lagen die Kosten alleine für den Ufersammler am Ende bei über 20 Milionen D-Mark. Heute würde das so nicht mehr funktionieren. Natürlich zählt, was eine Stadt, was ihre Bürger benötigen. Doch Städte und Gemeinden müssen sich dabei an immer mehr EU-, bundes- und landesrechtliche Regeln halten. "Unser Handlungsspielraum wird flankierend eingeschränkt", sagt Zeitler. Er kann nicht loslaufen, wie es Ebersbach 1970 tat. Ein Vorhaben hat viel mehr Schritte, die eingehalten werden müssen. Hinzu kommt, dass die Bürger mehr Möglichkeiten zur Beteiligung haben. Zeitler appelliert, ebenfalls den gewählten Gemeinderat sprechen zu lassen, wobei er sagt: "Es ist ein nachvollziehbarer Wunsch der Bürger, sich auch zwischen den Wahlen einzubringen." Reinhard Ebersbach wurde zweimal wiedergewählt. Jan Zeitler würde 2024 gerne wiedergewählt werden. Bis dahin möchte er noch viel erreichen. Beim "Gemischten Doppel" nennt er unter anderem das BGÜ-Bauprojekt im Bereich nordöstlich Hildegardring. Geplant sind 170 neue Wohnungen. "Das wird Entlastung schaffen", verspricht Zeitler. Im Herbst werde es eine Bürgerversammlung zum Thema Wohnen geben.
"Alles werden wir nicht in ein, zwei Jahren schaffen. Aber wir haben viele Pläne in der Schublade", sagt der Oberbürgermeister. Bei der Bürgersprechstunde, Bürgerlounge, persönlichen Treffen und über das Internet steht er für die Bürger zur Verfügung. Auf dem Wochenmarkt führt er oft lange Gespräche, während seine Frau Annette Stoll-Zeitler "für den Einkaufszettel verantwortlich ist". Die Frau an der Seite von Reinhard Ebersbach heißt Jutta. Gemeinsam hatten sie vor Jahrzehnten entschieden, dass er zur Wahl antritt. Beim Gespräch im Augustinum sitzt sie im Publikum. Ein politisches Amt kann ohne Zusammenhalt, ohne Diskussionen nicht funktionieren – in der Familie und im Bürger-Kontakt. Darüber sind sich Ebersbach und Zeitler einig.
Gesprächsreihe
Das Gesprächsformat „Gemischtes Doppel“ wird regelmäßig von der SÜDKURIER-Redaktion und dem Wohnstift Augustinum Überlingen organisiert. Der Eintritt zu den Veranstaltungen ist jedes Mal frei, um Spenden wird gebeten. Beim Podium mit Oberbürgermeister a.D. Reinhard Ebersbach und Oberbürgermeister Jan Zeitler kamen 650 Euro an Spenden zugunsten der Hospizgruppe Überlingen zusammen. Der Termin für das nächste "Gemischte Doppel" steht noch nicht fest, wird aber rechtzeitig bekannt gegeben. Gesprächspartner waren schon Roland Hilgartner vom Affenberg Salem und Johannes Fritz vom Wiederansiedlungsprojekt für Waldrappe sowie Münsterkantorin Melanie Jäger-Waldau und Drehorgelbauer Josef Raffin.