Als 1988 junge Überlinger sich anschickten, die Politik aufzumischen, war die Zeitung voll davon. Die Diskussion um den geplanten Bau eines Kurhauses erboste viele Überlinger, vom Gemeinderat fühlten sie sich überfahren, ein Bürgerentscheid wurde angestrengt, das Bauwerk am Bodenseeufer verhindert. Von der enormen Bürgerbeteiligung beflügelt, unternahmen die Aktiven den nächsten Schritt und bewarben sich für den Gemeinderat, die LBU (Liste für Bürgerbeteiligung und Umweltschutz) war geboren. Wie jung die Truppe war, die eine eigene Liste aufstellte, zeigt das Bewerbungsfoto in schwarz-weiß.

Die Gemeinderatskandidaten 1989 der frisch gegründeten LBU (Liste für Bürgerbeteiligung und Umweltschutz). Namen der Erwachsenen, ...
Die Gemeinderatskandidaten 1989 der frisch gegründeten LBU (Liste für Bürgerbeteiligung und Umweltschutz). Namen der Erwachsenen, jeweils von links. Vorne: Peter Vogel, Sophie Sterkel, Ulrike Schweizer, Wilhelm Höfer, Gabriele Schmitt, Jürgen Schmitt. Mitte: Margreth Schäfer, Johannes Hermann, Bruno Lick, Martin Zeh, Helmut Hornstein, Berthold Grundler, Mechthild von Schreckenstein, Klaus Niedermann. Hinten: Rosemarie Sessler, Peter Fesser, Sonja Gröner, Birgit Jockheck und Johannes Beller. Bild: Archiv Hannes Beller, LBU | Bild: Hannes Beller

Warum die BÜB entstand

Das Jahr 2016: Den Überlingern wurde so langsam bewusst, dass für den Bau des Uferparks für die Landesgartenschau eine ganze Platanenallee gefällt werden sollte. An die Spitze einer von Landschaftsarchitekt Johann Senner los getretenen Protestbewegung setzte sich im Frühsommer 2016 der Fotografenmeister und Kaufmann Dirk Diestel. Er bündelte in der von ihm gegründeten BÜB (Bürgergemeinschaft für Überlinger Bäume) den Protest gegen die Fällung und initiierte ein Bürgerbegehren. Einen Bürgerentscheid lehnte der Gemeinderat zwar ab. Doch machten Diestel und seine Mitstreiter, wie 28 Jahre zuvor die LBU-ler, so viele positive Erfahrungen in Sachen Bürgerbeteiligung, dass sie sich nach einem Jahr Verschnaufpause ermuntern ließen, sich weiter in die Lokalpolitik einzumischen. Ihr Thema sollten aber nicht nur Bäume sein, sondern auch die Transparenz in der Lokalpolitik und andere Themen, die den Bürgern am Herzen liegen, von denen sie aber meinen, bei den gewählten Gemeinderäten nicht vertreten zu werden. Das war die Initiatialzündung für die BÜB+.

Die Gründung von BÜB+

Ihre Gründung fand konspirativ statt. Neun Frauen und Männer bilden eine Art Keimzelle, die sich in dieser Woche erstmals öffentlich vorstellte. Neben Dirk Diestel bilden den aktuellen Sprecherrat bei BÜB+ Roland Biniossek, Diplom-Volkswirt und Stadtrat; Kristin Müller-Hausser, Innenarchitektin; Rolf Briddigkeit, Ingenieur und Pädagoge; Holger Schappeler, Diplom-Wirtschaftsjurist; Robert Stärk, Bankfachwirt und Finanzierungsmakler, Annemarie Marocco-König, Übersetzerin; Professor Peter Schmid, Diplom-Ingenieur, sowie Peter Burkhardt, Architekt.

Das Plus-Zeichen hinter ihrem BÜB, das die BÜB selbst für einen Markennamen hält, das signalisiere, dass es ihnen um mehr als um den Schutz der Bäume geht. Doch wen wollen sie erreichen, fragte Sebastian Dierig, Behindertenbeauftragter der Stadt, der, wie er betonte, in privater Mission in den Ochsen kam. Antwort Biniossek: "Alle, die unser Programm gut finden." Seiner Einschätzung nach müssten das 80 bis 90 Prozent der Überlinger sein. "Die vielen Stuttgarter, die hier in Überlingen eine Ferienwohnung haben", zähle er nicht zu seinen Anhängern, denn seine Gruppierung trete für eine höhere Zweitwohnungssteuer ein. Applaus und Bravo-Rufe im Ochsen.

Beteiligung von Beginn an

Die Ziele sind auf deren Internetseite www.büb.plus abrufbar. Stichworte sind Transparenz, Menschenschutz, Umweltschutz, Soziales Überlingen, Stadtentwicklung, Teilorte. Es handle sich um ein vorläufiges Programm, das mit den Bürgern diskutiert und gefunden werden solle, so Dirk Diestel. Im Ochsen war unter den Besuchern deshalb eine Art lokalpolitische Goldgräberstimmung zu spüren – bei gleichzeitiger Bitte um Spenden, die hülfen, die Ziele zu verwirklichen. Jeder Besucher durfte platzieren, was ihm sonst den Kragen platzen ließe. Prompt war wieder von Bäumen die Rede. Aber auch von der Wasserkraft. Von rüpelhaften Radfahrern. Von Straßenerschließungsgebühren, die mit 50-jähriger Verzögerung fällig werden. Von explodierenden Mieten. Oder von zu wenig Begegnungsorten für Jugendliche.

Nicht alle aus dem neunköpfigen Sprecherrat möchten sich 2019 in den Gemeinderat wählen lassen. Peter Schmid winkte ab, als er darauf angesprochen wurde. Mit Blick in die Runde und erkennend, wie alt die Macher in der BÜB+ und die Besucher im Raum sind, sagte er: "Wir brauchen junges Blut." Man könnte auch sagen, dass die, die vor fast 30 Jahren die LBU gründeten, jetzt im Alter derer sind, die mit der BÜB liebäugeln.

Auch die Freien Wähler, die LBU und die ÜfA sind Kinder des Protests

  • 1970: Als die Freie Wählervereinigung Überlingen gegründet wurde, geschah dies aus dem Gefühl heraus, dass der Gemeinderat über den Bürger hinweg regiere. Die CDU hatte zuvor über 20 Jahre mit absoluter Mehrheit Stadt und Kreis Überlingen regiert. Man wollte ein Gegengewicht schaffen, erinnert sich Robert Dreher, Fraktionssprecher der Freien Wähler im aktuellen Überlinger Gemeinderat. Sie seien die ersten gewesen, die ihre Fraktionssitzungen öffentlich abhielten. Diese Sitzungen sind für Dreher wichtiger Kontaktpunkt zu den Bürgern. Aber auch das Neujahrstreffen sei eine Gelegenheit, um am Puls der Überlinger zu bleiben, und sowieso das Signal, jederzeit auf der Straße ansprechbar zu sein, so Dreher. Er ist überzeugt, dass es "das schlimme Jahr 2016" mit aus seiner Sicht "aggressiven Anfeindungen" im Streit um die Platanen nicht gegeben hätte, wenn Dirk Diestel bei den Wahlen 2014 für die Freien Wähler in den Gemeinderat gewählt worden wäre. "Dann hätte er gesamtstädtisch entschieden."
  • 1988: Die Grundlage für die Bildung der LBU (Liste für Bürgerbeteiligung und Umweltschutz) wurde gelegt. 1988 hatte sich Protest gegen den Bau eines neuen Kurhauses am Bodenseeufer formiert, der in einen erfolgreichen Bürgerentscheid mündete. LBU-Sprecherin Marga Lenski, erinnert sich: "Diese positive Erfahrung in Sachen Bürgerbeteiligung war Grundlage für die Gründung der LBU und für die Beteiligung an der Kommunalwahl im darauf folgenden Jahr, 1989." Auf Anhieb erhielt diese freie Liste 1989 sechs Mandate von damals noch 36. Direkten Kontakt zu den Bürgern pflegt die LBU, die mit der Partei Die Grünen eine Fraktion bildet, in Fraktionssitzungen, Ortsteilgesprächen oder der "Hörstunde", die immer wieder samstags um die Mittagszeit in einem Café stattfindet.
  • 1999: Die ÜfA (Überlingen für Alle) ist aus Protest gegen die Abschaffung der unechten Teilortswahl entstanden. Diese hatte den Überlinger Ortsteilen eine gewisse Anzahl an Ratssitzen garantiert, wurde aber mit Stimmen der CDU abgeschafft, woraufhin sich aus der CDU die ÜfA abspaltete. Sie erhielt auf Anhieb sechs Sitze. ÜfA-Sprecher Lothar Thum: "Die ÜfA ist in der Zwischenzeit natürlich für alle Belange der Stadt Ansprechpartner. Wir beschränken uns nicht nur auf die Themen der Ortsteile." Wie die Freien Wähler, setzt auch die ÜfA auf öffentliche Fraktionssitzungen und auf "den kleinen Dienstweg", wie Thum den direkten Kontakt zum Bürger beschreibt. 2014 schlossen sich ÜfA und Freie Wähler zusammen.

 

"Dass da die Stadt nichts macht!?"

Peter Burkhardt, BÜB+, zu den vielen Ferienwohnungen

"Bürgerbeteiligung beugt der Politikverdrossenheit vor."

Peter Schmid, BÜB+

"Ich bin unglaublich erbost."

Elfi Straub, Besucherin, zum stillgelegten Wasserkraftwerk

"Es läuft in die richtige Richtung."

Klaus Bühler, Besucher, über Bürgerbeteiligung allgemein