Die Vorzeichen , dass an diesem Abend wieder etwas passiert, stehen gut: Freitagabend, Ferien, Sonnenschein. Für die Beamten des Polizeireviers Überlingen ist klar, dass heute wieder viele Jugendliche in Überlingen unterwegs sein werden. Die Polizisten stellen sich vorsorglich auf einen langen Abend ein – wieder einmal. Seit es im Februar zu einer Massenschlägerei am Zentralen Omnibus Bahnhof (ZOB) mit mehr als 30 Jugendlichen gekommen war und anschließend ein 20-Jähriger bei einem Messerangriff in der Spitalgasse schwer verletzt worden war, hat der kommisarische Revierleiter Günter Hornstein verstärkt Kontrollen angeordnet. Seit dem Vorfall im Februar waren die Beamten an sieben Freitagabenden im Stadtgebiet unterwegs, um nach dem Rechten zu schauen.

"Das hat uns zu dieser Jahreszeit schon überrascht", erinnert sich Günter Hornstein an die Ereignisse im Februar. Dass soviele Jugendlichen bei so niedrigen Temperaturen unterwegs waren, habe er so noch nie erlebt. Im Nachhinein stellte sich heraus: Über den Nachrichtendienst WhatsApp hatten sich mehr als 110 Jungen und Mädchen zum Gelage am See verabredet. Der Name der Chatgruppe: "Saufen im Thermepark". "Tatsächlich waren sogar acht bis neun Jugendliche aus Stuttgart angereist", berichtet Revierleiter Hornstein. Für seine Kollegen bedeutete die anschließende Auseinandersetzung am ZOB Schwerstarbeit. Zehn Steifen, die zum Teil aus den Nachbargemeinden zur Unterstützung gerufen worden waren, mussten die Schläger trennen. Bis heute dauern die Ermittlungen an, der vermeintliche Messerstecher sitzt in Untersuchungshaft.

Andreas Rieß und Günter Hornstein besprechen sich an der Realschule.
Andreas Rieß und Günter Hornstein besprechen sich an der Realschule. | Bild: Martin Deck

Alkohol und Drogen sind ein großes Problem

Um ähnliche Vorfälle in Zukunft zu verhindern, ist die Polizei nun seit Wochen verstärkt unterwegs – an diesem Freitagabend gar mit sechs Beamten. Zwei beobachten in Zivil das Geschehen im Stadtgebiet, vier fahren die einschlägig bekannten Orte ab. Den Auftakt macht das Schulzentrum. Hier treffen sich die Jugendlichen meist bei schlechtem Wetter, weil es dort Unterstellmöglichkeiten gibt. Doch an diesem Abend ist alles ruhig. Auch am ZOB und an einem Einkaufsmarkt in der Lippertsreuter Straße, wo sich die Jugendlichen häufig mit Alkohol eindecken, ist nicht viel los. Selbst im Park neben der Bodenseetherme, einem der beliebtesten Treffpunkte, ist es verhältnismäßig ruhig. Nur einige Jugendliche sitzen in Grüppchen zusammen. "Das wird heute noch voller", ist sich Polizist Martin Bartsch gegen 19.30 Uhr sicher. "Das sagt mir die Erfahrung." Doch dieses Mal täuscht ihn sein Gefühl. Bis zum Einsatzende gegen 23 Uhr bleibt alles ruhig.

Das heißt nicht, dass es für die Beamten nichts zu tun gibt. Denn die Zahl der Jugendlichen nimmt im Verlauf des Abends zu – und mit ihnen auch der Alkoholkonsum. Das Problem: In den Gruppen sind auch viele Minderjährige unterwegs. Die Polizisten kontrollieren, wer schon Alkohol trinken darf und wer nicht. Und tatsächlich: Kurz vor 22 Uhr fallen den Beamten zwei 15-jährige Jungen auf, ein Alkoholtest ergibt 1,5 und 0,7 Promille. "Das kommt leider immer wieder vor", sagt Günter Hornstein. Die beiden Jugendlichen werden mit aufs Revier genommen, wo sie von den Eltern abgeholt werden müssen. Drogen, ebenfalls ein häufiges Problem, finden die Polizisten an diesem Abend keine.

Martin Bartsch gleicht die Ausweise der Jugendlichen mit der Datenbank ab.
Martin Bartsch gleicht die Ausweise der Jugendlichen mit der Datenbank ab. | Bild: Martin Deck

Respektvoller Umgang mit den Jugendlichen

Die Gespräche mit der Jugend finden stets auf einer freundlichen Ebene statt. Andreas Rieß weiß wie er mit seinen Pappenheimern umzugehen hat. Vom Sehen her kenne er rund 80 Prozent der Jugendlichen, mit Namen etwa die Hälfte. Immer wieder erkundigt er sich auch nach der Schule, der Ausbildung oder was Zuhause los ist. Freundlich zu bleiben, fällt den Polizisten dabei nicht immer leicht. Schließlich kennen sie die Vorgeschichten vieler Jugendlichen – darunter Drogenkonsumenten, Diebe und Schläger. Die Schlimmsten von ihnen wurden vom Ordnungsamt mit einem Aufenthaltsverbot in der Innenstadt belegt. Momentan gilt dieses Verbot für vier Jugendliche – und scheint zu fruchten. So treffen die Beamten bei ihrem Kontrollgang auf ein Mädchen und einen Jungen, die die Grenze nicht überschreiten dürfen. Sie sind in Begleitung von einer Freundin, bzw. drei Freunden – aber isoliert von den großen Gruppen. Für bis zu drei Monate kann ein Stadtverbot ausgesprochen werden. "Wir haben durchaus das Gefühl, dass das ein probates Mittel ist", sagt Hornstein. Auch die Kontrollmaßnahmen scheinen zu fruchten. Wie schon in den Wochen zuvor gab es kaum Aggressivität vonseiten der Jugendlichen. Hornstein: "Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich wäre enttäuscht."

Auch auf dem Verbindungsweg zwischen Schulen und ZOB treffen sich immer wieder Jugendliche.
Auch auf dem Verbindungsweg zwischen Schulen und ZOB treffen sich immer wieder Jugendliche. | Bild: Martin Deck

Anlaufstellen für die Jugend fehlen

Dass sich die Jugendlichen im Freien treffen, ist auch der Not geschuldet. Seit Jahren schon gibt es Klagen, dass es für die Jugend in Überlingen kaum Anlaufstellen gibt. Die Ausnahme ist das Jugendcafé am Gondelehafen. Aber auch das schließt am Freitagabend um 21 Uhr. Als ein junger Mann, der sich mit drei Freunden an der Realschule getroffen hat, von den Polizisten vom Schulgelände verwiesen wird, entgegnet er schnippisch: "Wird denn bei der Landesgartenschau auch noch etwas errichtet für uns Jugendliche?"

Günter Hornstein kennt das Problem: "Wir bekommen immer wieder zu hören: 'Wo sollen wir denn hin?'" Für ihn und seine Kollegen sei es daher selbstverständlich, dass sich die Jugendlichen an öffentlichen Plätzen treffen und feiern dürfen. Er stellt klar: "Wir wollen das ja gar nicht unterbinden. Es muss nur in geregelten Bahnen ablaufen."