Bereits zum zweiten Mal ist Ex-Neonazi Philip Schlaffer von seiner Heimat Lübeck an den Bodensee gereist, um Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums und der beruflichen Schulen seine Geschichte zu erzählen.

Schlaffer war 20 Jahre lang tief drin in der Neonazi-Szene und gehört zu deren prominenten Aussteigern. Heute ist er mit seinem Verein Extremislos rund 20 Wochen im Jahr quer durch Deutschland unterwegs, um vor der Gefahr von Rechts zu warnen – die aktuell groß sei wie lange nicht.

Szene zeigt Symbole öffentlich

Die rechtsextreme Szene sei in jüngster Zeit deutlich selbstbewusster geworden und trage ihre Symbole offen zur Schau, sagt Schlaffer. Vor allem in Ostdeutschland, aber auch anderorts. Dazu gehören etwa T-Shirts mit dem Schriftzug HKN KRZ, der für Hakenkreuz steht, oder die Zahl 88, die eine zentrale Rolle spielt.

Der Saal des Gymnasium Überlingen war voll und die Zuschauer haben aufmerksam zugehört.
Der Saal des Gymnasium Überlingen war voll und die Zuschauer haben aufmerksam zugehört. | Bild: Jürgen Baltes

Auch die schwarzweißrote ehemalige Reichsflagge sehe man immer öfter, sagt Schlaffer. Und nach dem rechten Gegröle im Pony Club auf Sylt seien flugs die passenden Shirts gedruckt worden.

Philip Schlaffer steckte tief im rechten Milieu

Schlaffer muss es wissen. Er hatte selbst jahrelang rechte Merchandising-Läden betrieben, dazu Neonazi-Musik produziert, war Anführer einer gewalttätigen Kameradschaft. Die Unterschrift Adolf Hitlers auf seinem linken Arm ist heute nicht mehr zu erkennen, sie wurde umtätowiert.

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Drei Stunden lang lauschten im voll besetzten Kursaal rund 400 Schülerinnen und Schüler von Marie-Curie- und Konstantin-Vanotti-Schule der Geschichte des Aussteigers. Die handelte von ersten Enttäuschungen in einer eigentlich gutbürgerlichen Kindheit, von Einsamkeit und schleichender Radikalisierung. „Mit 16 sah ich mich klar als Neonazi“, sagt Schlaffer. Bis hin zu den späteren Gewaltexzessen.

Wenn Hass auf fruchtbarem Boden trifft

„Was ist die wichtigste Botschaft von Neonazis?“, fragt Schlaffer in die Runde. Die Antwort: „Ausländer raus.“ Neonazis seien „grundsätzlich Rassisten“. Und Menschen diesen Hass einzupflanzen sei relativ leicht. „Wenn sonst alles kacke läuft und jemand sagt, ihr gehört zu den
besten Menschen der Welt, im besten Land der Welt, was macht das mit euch?“ „Ein gutes Gefühl“, „Stolz“ kommen als Antworten.

Was Schlaffer etwas überrascht: Wenn er die Schüler in seinen Vorträgen nach rechtsextremen Parteien frage, werde mittlerweile fast immer Der Dritte Weg genannt, eine eigentlich unbekannte Kleinstpartei – „eher wie eine Sekte“. Doch die mache „extrem gute Arbeit auf Tiktok“.

Philip Schlaffer (rechts) mit Lehrerin Tanja Hurka, die den Vortrag organisiert hat, und Oliver Schael von der Friedrich-Ebert-Stiftung, ...
Philip Schlaffer (rechts) mit Lehrerin Tanja Hurka, die den Vortrag organisiert hat, und Oliver Schael von der Friedrich-Ebert-Stiftung, die das Ganze finanziert. | Bild: Jürgen Baltes

Und hier sieht er die vielleicht größte Gefahr für die Jugendlichen: „Man hört, dass die AfD allein 100 Leute im Social-Media-Marketing beschäftigen soll.“ Vor allem auf Tiktok dominierten Rechte den politischen Diskurs. „Ich bin wirklich kein Freund von Verboten“, sagt Schlaffer dazu, „doch diese chinesische Zersetzungs-App sollte verboten werden.“ Denn ihr Ziel sei es, Europas Demokratie zu zerstören.

Zur AfD sagt Schlaffer: „Die kann man nicht in einen Topf werfen, da gibt es ein breites Spektrum, von rechts bis rechtsextrem.“ Die Reise von Björn Höcke jedenfalls sei noch lange nicht zu Ende, glaubt er. Und: „Es gibt viele, die im Moment an der Demokratie zerren.“

Schlaffer selbst hatte sich nach einem Mord seiner Kameraden von der rechten Szene losgesagt, wurde dann aber erst einmal Rockerboss, bevor er endgültig ausstieg. „Aus einer Gruppe auszusteigen erfordert eine Superkraft“, sagt er heute. „Nach außen habe ich den Harten gemacht, doch innerlich war ich ein kleines Würstchen. Meine größte Angst war, wieder allein zu sein.“ Sein Tipp an die Schülerinnen und Schüler: „Macht euch nicht abhängig von nur einer Gruppe.“ Und „sucht euch Leute, wo ihr auch mal schwach sein könnt“.

Den Mut haben, sich Hilfe zu suchen

Und noch ein Tipp: „Ihr müsst nicht alles alleine durchstehen. Wenn ihr nicht mehr klarkommt, holt euch Hilfe.“ Auch das erfordere eine Superkraft. Er selbst hatte an seinem persönlichen Tiefpunkt „meine Mama angerufen“, Halt in der Familie gefunden – und sich in Therapie begeben.

Schlaffers Fazit: „Man darf unzufrieden sein. Und wenn einem was nicht passt, sollte man sich dagegen engagieren.“ Allerdings weder in rechtsextremen noch sonstigen extremistischen Gruppen. „Aus diesem Hass kann nichts Positives entstehen.“ Zwanzig Jahre lang habe er das Leben von vielen Menschen schlechter gemacht, aber von niemandem besser.

Ex-Neonazi wendet sich Buddhismus zu

Ob er denn heute auch manchmal noch Hassgedanken habe, fragt eine Schülerin. „Ja“, gesteht Schlaffer, aber er versuche sie nicht mehr gegen Gruppen zu richten. Inzwischen habe er sich der gewaltfreien Religion des Buddhismus zugewendet. Und die ehemaligen Kameraden? „Ich glaube, die meisten sind nach wie vor dabei.“

Am Ende des nicht gerade kurzen, aber dennoch kurzweiligen Vortrags wollten einige noch ein Selfie mit Schlaffer machen, der sich dafür gerne die Zeit nahm. Einige waren auch sichtlich bewegt. „Ich dachte, das sei so ein üblicher Vortrag gegen Rechts“, sagt eine Schülerin, „nicht eine solch persönliche Geschichte.“