Querdenker bei den Montagsdemos, kuriose Flyer des sogenannten Ewigen Bundes oder Vorträge des selbsternannten Friedensforschers Daniele Ganser: Verschwörungstheorien und Schwurbler sind in Überlingen besonders seit der Corona-Pandemie stärker in die Öffentlichkeit getreten.
Doch sind sie eine Gefahr für die Demokratie? Professor Michael Butter gab am Dienstagabend im Dorfgemeinschaftshaus Nußdorf zumindest teilweise Entwarnung. Er ist Experte im Bereich Verschwörungstheorien und hat auch ein Buch veröffentlicht: „Nichts ist, wie es scheint“.

Bei einer Veranstaltung des SPD-Ortsvereins referiert er nun zu dem Thema. Und erklärt den etwa 230 Besuchern, dass Verschwörungstheorien in Deutschland zwar eine sicherheitspolitische Herausforderung sind, sie aber nicht populärer werden. „Bei uns geht es um Einzeltäter“, sagt Butter. Im Vergleich zu den USA sei das Problem mit Schwurblern in Deutschland eher gering.
Nicht alle Verschwörungstheorien sind gefährlich
Nichtsdestotrotz gibt es sie auch hier. Und ihre Sichtbarkeit und Verfügbarkeit hat vor allem im Internet zugenommen. „Heute kann jeder seinen eigenen Blog starten, Videos auf Youtube posten und Beiträge in den Sozialen Medien veröffentlichen“, sagt der Experte. Doch längst nicht alle Verschwörungstheorien und Menschen, die daran glauben, sind auch gefährlich.
Butter betont: „Man muss auf den Kontext schauen, um das Gefahrenpotenzial zu erkennen.“ So könne die Sicherheit etwa dann in Gefahr sein, wenn es zur Gewaltausübung der Anhänger kommt und Menschen verletzt werden. Auch medizinische Verschwörungstheorien können gefährlich sein, weil sie andere Menschen in Gefahr bringen. „Zum Beispiel in der Corona-Pandemie, wenn Regeln nicht eingehalten werden.“
In manchen Fällen können Verschwörungstheorien auch eine Gefahr für die Demokratie darstellen. Es kann zur Politikverdrossenheit führen, dann gehen Menschen nicht mehr zur Wahl oder geben den Alternativen eine Stimme. Am gefährlichsten wird es laut Butter, wenn politische Führungskräfte an Verschwörungstheorien glauben oder diese verbreiten – so geschehen in Amerika beim Sturm auf das Kapitol.
Zehn Prozent der Deutschen glauben an Verschwörungstheorien
Gefühlt hat die Anzahl der Anhänger von Verschwörungstheorien in der Corona-Zeit zugenommen. Doch ist das wirklich so? Experte Michael Butter widerlegt diese These. Anhand von Studien könne belegt werden, dass die Zahlen in Deutschland etwa gleichgeblieben sind. „Laut einer Adenauer-Studie liegt die Zahl der Menschen, die 2022 an Verschwörungstheorien glauben, bei zehn bis 12 Prozent“, erklärt Butter.
Doch er bestätigt auch, dass viele Anhänger von Verschwörungstheorien lange Zeit unerkannt blieben – und erst in der Pandemie ans Licht kamen. „Die Menschen, die nicht an Corona glaubten, sondern an eine Verschwörungstheorie, die glaubten auch schon vor Corona an diese Verschwörungstheorie. Es war nur nicht sichtbar.“
Querdenker im Publikum bleiben still
Nicht sichtbar sind die Schwurbler auch am Vortragsabend im Dorfgemeinschaftshaus. Viele der Gäste sind hier, weil sie sich informieren und aufklären möchten. So etwa Hans Kley aus Überlingen und Heinz Scholten aus Meersburg. „Ich möchte erfahren, warum Verschwörungstheorien so mächtig sind und wie wichtig politische Aufklärung in diesem Zusammenhang ist“, sagt Kley. Auch die „Omas gegen Rechts“ sind gekommen, um Haltung zu zeigen.
Doch wo sind die Querdenker, die seit Corona regelmäßig montags auf der Hofstatt zusammenkommen? Ein paar wenige Gesichter sind im Publikum zu erkennen. Aber sie bleiben während des Vortrags von Michael Butter ruhig. Sie haben nichts zu sagen, hören nur zu.

Butter erklärt, was Verschwörungstheorien überhaupt ausmacht. Ihm zufolge gehen die Theorien immer von drei Annahmen aus. Dazu gehört der Gedanke, dass nichts „ohne Zufall geschieht“ und alles „von menschlichen Akteuren geplant ist“ – über Jahre, Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte hinweg. Annahme zwei: „Nichts ist so, wie es scheint“ – die Verschwörer operieren im Geheimen. Und als letztes stehe alles irgendwie miteinander in Verbindung, so der Glaube: Personen, Ereignisse und Institutionen. „Dinge kommen zusammen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Zum Beispiel 9/11 und Corona“, erklärt Michael Butter.
Menschen in unsicherem Umfeld sind anfällig
Wer an solche Zusammenhänge glaubt und in Verschwörungstheorien versinkt, befindet sich dem Experten zufolge oft in einem unsicheren Lebensumfeld. Sie streben nach Eindeutigkeit und Stabilität. Eine Verschwörungstheorie bietet ihnen in haltlosen Zeiten eine Stütze. „Es gibt einen Sündenbock, sie können die Schuld an ihrer Situation auf jemanden schieben und sich selbst entlasten“, erklärt Butter.
Der Experte weiß, dass Männer eher an Verschwörungstheorien glauben als Frauen, die Anfälligkeit mit dem Alter zunimmt und mit dem Bildungsgrad abnimmt. Zudem zählen zu den Verschwörungs-Anhängern oft Menschen, die extreme linke oder rechte politische Positionen vertreten. „Die meisten dieser Menschen sind Überzeugungstäter. Sie verbreiten die Theorien, weil sie selbst daran glauben.“
Zusätzlich gebe es auch solche, die Verschwörungstheorien zum Geschäftsmodell machen und damit Geld verdienen. Zum Beispiel, indem sie Pillen anpreisen, mit denen Menschen angeblich einen klaren Kopf bewahren und nicht vernebelt werden. Und es gebe auch Menschen, die aus politischem Kalkül heraus Feindbilder der Menschen erfinden – so laut Butter etwa Viktor Orbán, der Ministerpräsident von Ungarn. Er betont: „Blickt man international auf das Thema, stehen wir in Deutschland wirklich gut da.“