Nur zehn Zentimeter breit ist der schmale Streifen aus echtem Pergament, dafür 45 Zentimeter lang und hat so für eine Urkunde ein ganz ungewöhnliches Format. „Überlinger Hochformat“ taufte es der St. Galler Stiftsarchivar Peter Erhart daher auch in seinem zweiten Vortrag zu den Ursprüngen des Stadtjubiläums. Beschrieben ist das wichtige Schriftstück mit einer Tinte aus Galläpfelextrakt, Eisensulfat, Gummi arabicum und Wasser, die bis heute nicht nur erhalten, sondern sogar noch gut lesbar ist. Zumindest für Kundige der damaligen Schriften.

Das ungewöhnliche Überlinger Hochformat: Die Urkunde ist 45 Zentimeter hoch und nur zehn Zentimeter breit.
Das ungewöhnliche Überlinger Hochformat: Die Urkunde ist 45 Zentimeter hoch und nur zehn Zentimeter breit. | Bild: Stiftsarchiv St. Gallen

„Es gibt wenige Städte in Europa, die sich auf ein solches Originaldokument berufen können“, betonte Erhart. Meistens seien derlei Dokumente in Bücher abgeschrieben und so weiter kolportiert worden, erklärt der Hüter historisch bedeutsamer Schätze, mit denen auch der schmale Pergamentstreifen seit 2017 zum Weltdokumentenerbe der Unesco gehört. Die Schenkungsurkunde markiert durch die erste Erwähnung Überlingens, damals Iburinga, dass die Stadt ihr 1250-jähriges Bestehen feiern konnte.

Original noch bis 7. September ausgestellt

Aus konservatorischen Gründen dürfen besagte Schätze nur in seltenen Fällen das Tageslicht erblicken. Dazu zählte im Dezember 2015 ein Besuch der damaligen Oberbürgermeisterin Sabine Becker und Vertretern von Verwaltung und Gemeinderat, um sich von Berechtigung des Jubiläums persönlich zu überzeugen.

Eine Delegation der Stadt schaute sich 2015 die Originalurkunde mit der Ersterwähnung Überlingens im Stiftsarchiv St. Gallen an (von ...
Eine Delegation der Stadt schaute sich 2015 die Originalurkunde mit der Ersterwähnung Überlingens im Stiftsarchiv St. Gallen an (von links): Die Stadträte Martin Längle, Oswald Burger und Monika Behl, Oberbürgermeisterin Sabine Becker und Stiftsarchivar Peter Erhart, der das Dokument erläuterte. Dessen wahrscheinlichstes Ausstellungsdatum ist der 9. August 773. | Bild: Sylvia Floetemeyer

Die Urkunde selbst in Augenschein nehmen können Interessierte auch derzeit noch im Ausstellungssaal des Stiftsarchivs, wo das Dokument seit Mai zu sehen ist. Allerdings nur noch bis zum 7. September, dann verschwindet es wieder in der geschützten Schatzkammer. „So lange können Sie dort das Wunder von Überlingen im Original besuchen“, sagte Peter Erhart. Diese Urkunde habe Überlingen aus „der geschichtslosen Morgendämmerung in den Lichtkegel der Geschichtlichkeit“ gebracht, zitierte Erhart einen Beitrag zum vergangenen Stadtjubiläum.

Kreis schließt sich am 26. November mit der neuen Stadtchronik

Dass der echte Jahrestag des Stadtjubiläums, der 9. August, trotz der Ferien gebührend gewürdigt werde, darauf hatte insbesondere Stadtarchivar Walter Liehner Wert gelegt, der die interessierten Bürger im nicht ganz vollen Überlinger Museumssaal willkommen hieß. Dass es ein kritischer Termin sei, darauf hatte mit Blick auf die Urlaubszeit des Oberbürgermeisters bereits im März hingewiesen. Jan Zeitler ließ sich von Baubürgermeister Thomas Kölschbach vertreten. „Wir gedenken lediglich des Tages, auf den das Jubiläum zurückgeht“, sagte Walter Liehner. „Das war uns wichtig.“ Echter Höhepunkt und wuchtiges Finale solle allerdings der 26. November, sein, an dem die neue Stadtchronik präsentiert wird: „Dann soll sich der Kreis schließen.“

Stiftsarchivar Peter Erhart aus St. Gallen.
Stiftsarchivar Peter Erhart aus St. Gallen. | Bild: Hanspeter Walter

Peter Erhart ging noch einmal kurz auf die Gründung des Klosters St. Gallen im Jahr 719 ein und insbesondere das Wirken dessen späteren Abtes Waldo (782 bis 784). Der war noch einfacher Diakon, als er im Jahr 773 quasi nach Übersee entsandt wurde, um nach einer längeren Bootsfahrt von Arbon aus im heutigen Überlingen die vorbereitete Schenkungsurkunde mit Graf Rotbert von Aulfingen zu unterzeichnen. „Waldo war sicher froh, wenn er wegen so einer Urkunde das Kloster verlassen konnte“, mutmaßte der Stiftsarchivar. Seine große Karriere sollte Waldo zu diesem Zeitpunkt noch vor sich haben. Er wurde nicht nur Abt seines eigenen Klosters, sondern nach seiner dortigen Abberufung wegen Konflikten mit dem Konstanzer Bischof später auch Oberhaupt des Klosters Reichenau (786) und Bischof von Basel.

Graf sicherte sich sein Seelenheil

Der Graf aus dem Dorf Aulfingen bei Geisingen wollte sich durch die Schenkung sein Seelenheil sichern, hatte sich aber durch vereinbarte Zinszahlungen im gleichen Atemzug die weitere Nutzung des Grund und Bodens gesichert. Erstaunlicherweise ausdrücklich nur für sich selbst und nicht für seine Nachkommen. Details dieser Verhandlungen hatte ein kleines Ensemble des Fördervereins auf heitere Weise am Mantelhafen in Szene gesetzt.

Was sich vor 1250 Jahren abspielte, als Überlingen erstmals urkundlich erwähnt wurde, ließen Mitglieder des Fördervereins Sommertheater ...
Was sich vor 1250 Jahren abspielte, als Überlingen erstmals urkundlich erwähnt wurde, ließen Mitglieder des Fördervereins Sommertheater szenisch lebendig werden. Am Mantelhafen spielten (von links): Markus Heberle (Zeuge Adalgundus), Oswald Burger (Diakon Waldo), Harald Lenski (Graf Rotbert) und Karin Abrolat (Rossknecht). | Bild: Hanspeter Walter

Eine wichtige, ja entscheidende Rolle für die Gültigkeit der Abmachungen waren die öffentlichen Zeugen, deren Namen auf der Urkunde vermerkt sein müssen. Eine „kleine Sensation“ und eine Seltenheit im St. Galler Bestand nannte es Erhart, dass einer der Zeugen selbst schreiben konnte – wie in diesem Fall der Überlinger Adalungus. Noch außergewöhnlicher sei, dass der Zeuge nicht nur seine Unterschrift unter das Schriftstück setzte, sondern auch noch vorgibt, es als Ganzes selbst geschrieben zu haben: „Scripsi et subscscripsi“ – „Ich habe es geschrieben und unterschrieben“, behauptete er zumindest. Nachprüfen lässt es sich nicht.