Liebe Frau Brosius-Gersdorf,

Sie haben meinen Respekt dafür, wie Sie die öffentliche Diskussion um Ihre Person wegstecken. Dass der SPD-Plan, Sie zur Verfassungsrichterin zu machen, auf so viel Widerstand stoßen würde, dürfte auch Sie überrascht haben. Dem Shitstorm trotzend, blieben Sie zunächst standhaft, versuchten, der Öffentlichkeit Ihre Position zu erklären – und als das nichts nutzte, gaben Sie als Klügere nach, um Verfassungsgericht und Bundestag nicht zu beschädigen.

Das ist im Ergebnis bedauerlich, Ihre Entscheidung ist aber durchaus verständlich. Dafür, dass diese Verfassungsrichterwahl so eskaliert ist, können Sie am wenigsten. Den Schuh müssen sich andere anziehen. Vor allem Unionsfraktionschef Jens Spahn, der entweder nicht realisierte, welcher Konflikt in seiner Fraktion lauert, oder nicht willens war, diesen aufzulösen. Beides wirft kein gutes Licht auf ihn.

Desinformationskampagne setzt sich durch

So aber ist es rechten Aktivisten gelungen, mit ihrer Desinformationskampagne die Politik vor sich herzutreiben. Sie wurden als Linksradikale diffamiert, Ihre wissenschaftliche Arbeit wurde infrage gestellt – und damit Ihre Eignung für das Amt.

Ersteres ganz sicher, Letzteres vermutlich zu Unrecht, wie die erste Prüfung der Uni Hamburg nahelegt. Was in der Öffentlichkeit besonders verfangen hat, ist Ihre Haltung zum Thema Abtreibung. Die ist beileibe nicht skandalös, aber taugte Erzkonservativen und Rechten dazu, einen Sturm der Entrüstung zu entfachen.

Die Behauptungen über Sie treffen nicht zu

Dass der Schwangerschaftsabbruch ein höchst sensibles Thema ist und dazu angetan, bei vielen Bürgern Besorgnis auszulösen, ist unbestritten. Das Problematische daran ist, dass es Falschinformationen über Sie waren, die voll verfingen. Die Behauptung, das ungeborene Leben hätte keinen Schutz mehr mit Ihnen als Verfassungsrichterin, ist nämlich nicht zutreffend. Sie bemühten sich lediglich, die Widersprüche in der derzeitigen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs aufzulösen.

Ihre Versuche aber, Ihre juristische Position der Allgemeinheit darzulegen, scheiterten. Vermutlich schon daran, dass kaum jemand weiß, was Nidation bedeutet – die Einnistung der befruchteten Eizelle in der Gebärmutter, der Sie durchaus das Grundrecht auf Leben zubilligen.

Dass da nicht jeder Laie mitkommt, ist keine Schande. Wundern muss man sich allerdings, wenn gestandenen Abgeordneten, die sich mit dem Thema eingehend befassen, diese feinen Unterscheidungen nicht nähergebracht werden. Übrigens, der Stimmung in der Bevölkerung entspricht die Haltung der Unionsfraktion nicht. Bei einer Forsa-Umfrage im Mai 2024 kam heraus, dass 72 Prozent der Deutschen dafür sind, Abtreibung in der frühen Phase der Schwangerschaft zu entkriminalisieren. Übrigens auch 62 Prozent der Unionsanhänger.

In diesen unruhigen Zeiten hätten wir Ihren klugen Kopf in der Riege der Verfassungsrichter gut gebrauchen können.