Am Ende einer Verhandlung am Amtsgericht Überlingen ist die Staatsanwältin davon überzeugt, dass die 54-Jährige, der vorgeworfen wird, unter Alkoholeinfluss Auto gefahren zu sein, die Straftat begangen hat. Die Geschichte vom hilfreichen Bekannten, der als Fahrer einsprang, hält die Vertreterin der Anklage für wenig glaubwürdig. Richter Alexander von Kennel wird trotzdem einen Freispruch verkünden. Er räumt allerdings ein, dass auch bei ihm nach der langwierigen Verhandlung und Anhörung von fünf Zeugen Zweifel am Wahrheitsgehalt der vorgetragenen Geschichte blieben.
Im März erhielt die 54-jährige Frau einen Brief ihres Ex-Partners. Darin kündigt er an, den Kontakt zu ihr und dem einst gemeinsam erworbenen Hund endgültig abzubrechen. Diese „zweite Trennung“ versuchte sie mit zwei Flaschen Sekt und einem langen Telefonat mit einer Freundin zu verarbeiten. Dann entschloss sie sich, den mittlerweile wieder verheirateten Mann zur Rede zu stellen und ihm den Hund zu bringen. So stellt es die Verteidigerin vor Gericht dar. Die Angeklagte äußert sich nur wenig, an den Hergang habe sie nur noch „bruchstückhafte“ Erinnerungen, sagt sie.
Ex-Partner ruft vorsorglich die Polizei
Als erster Zeuge schildert der ehemalige Lebensgefährte, dass er durch ein Telefonat vom baldigen Eintreffen der Frau bei ihm erfahren habe. Aus Sorge, dass die Situation eskaliert, rief er die Polizei zur Hilfe. Auf die Frage des Richters, warum er zu diesem Mittel griff, rechtfertigt er sich, es sei in der Vergangenheit bereits zu körperlichen Auseinandersetzungen gekommen. Er habe einen öffentlichen Streit im neuen Wohnumfeld vermeiden wollen. „Das Allerletzte, was ich wollte, war, sie vor Gericht zu zerren!“, räumt er sichtlich betroffen ein.
Im Treppenhaus habe es mit der alkoholisierten, aber nicht volltrunkenen Frau einen Streit gegeben, so der Zeuge weiter. Als die Polizei eintraf, sei die Frau bereits samt Hund wieder weg gewesen. Die Beamten suchten die Angeklagte auf. Diese gab ihre Freundin als Fahrerin an.
Bei der 60-jährigen Freundin, die als Zweite in den Zeugenstand tritt, erkundigt sich Richter von Kennel direkt, ob sie die Angeklagte an dem betreffenden Tag gefahren habe. „Nein“, lautet die klare Antwort. Das habe sie auch den Beamten gesagt. Diese ließen daraufhin eine Blutprobe im Krankenhaus anordnen.
Bekannter will Angeklagte gefahren haben
Von alledem hat der angeblich tatsächliche Fahrer, ein 69-jähriger Bekannter der Angeklagten, nichts mitbekommen. Er ist der dritte Zeuge und berichtet, an dem Nachmittag wegen einer Terminabsprache bei der Angeklagten geklingelt zu haben. Er habe sie „völlig aufgelöst“ angetroffen und erfuhr von dem Beziehungsdrama. Um zu verhindern, dass die Frau alkoholisiert fährt, habe er angeboten, sie mit ihrem Auto in eine andere Gemeinde zu ihrem Ex-Partner zu fahren. Dort habe er im Auto gewartet und sie dann wieder nach Hause gebracht. Von der Konfusion will er erst später erfahren haben und sorgte dann dafür, dass seine Aussage von der Polizei aufgenommen wurde.
Die Staatsanwältin möchte von dem Zeugen wissen, warum er die „völlig aufgelöste“ Frau gefahren habe. „Ich wollte ihr helfen“, lautet die Antwort. „Auch heute noch?“, legt die Vertreterin der Anklage nach. Alexander von Kennel ergänzt: „Auch auf Kosten einer Falschaussage?“ Das weist der 69-Jährige von sich. Er sei gefahren.
Am Ende fehlen die Beweise
Zum Schluss werden die beiden Polizisten befragt, die an dem Tag Dienst hatten. Sie schildern die zeitlichen Abläufe und wie sie mehrere Adressen der Beteiligten abfahren mussten, um etwas Licht in die Geschichte zu bekommen. Doch mit Beweisen, dass die Angeklagte den Wagen selbst gefahren hat, können sie nicht dienen.
Die Staatsanwältin hält in ihrem Schlussplädoyer die Erinnerungslücken der Angeklagten für „eine Schutzbehauptung“. Die Schilderung des Bekannten sei geprägt von „deutlich zu vielen Details und Erinnerungen“.
Richter von Kennel verkündet schließlich den Freispruch. „Niemand hat sie fahren sehen“, erläutert er den Mangel an Beweisen. Er sei heute nicht in der Lage, „die Aussage des Zeugen als Lüge zu entlarven“, trotz letzter Zweifel und Ungereimtheiten. Daher müsse ein Freispruch erfolgen. Der Angeklagten rät er, sich medizinisch helfen zu lassen.