Andernorts bleiben die Läden montags und dienstags geschlossen. Beispielsweise in Günzburg. Dort legen einige Einzelhändler regelmäßig ein ziemlich langes Wochenende ein – und die Kundschaft reibt sich verwundert die Augen. Von solchen Tendenzen ist Überlingen weit entfernt. Trotz der Novemberflaute und trotz der schwierigen Verkehrslage gibt es hier am See noch verlässliche Öffnungszeiten. Doch wagen wir zunächst einen Blick über Überlingens Tellerrand hinaus.
Günzburg teils mit Überlingen vergleichbar
Die Stadt Günzburg zählt rund 21.000 Einwohner, liegt in einem ländlichen Umfeld, hat eine historisch gewachsene Altstadt – kann also mit Überlingen verglichen werden. Die Stadt plant für 2029 eine Landesgartenschau. Von einer „Vitalisierung brachliegender Flächen“ an der Donau ist im Zusammenhang mit der LGS auf der Günzburger Homepage die Rede. Eine Re-Vitalisierung hat die Altstadt des Städtchens nötig, die eigenwilligen Öffnungszeiten einiger Boutiquen sprechen für sich. Und wer bei Wochenbeginn statt zum Shoppen in ein hübsches Café sitzen möchte, der muss lange suchen. In Überlingen dagegen gibt es Gastronomieangebote an allen Ecken und Enden. Gastro und Gewerbe befinden sich in einem ausgewogenen Verhältnis, jede Seite profitiert von der anderen. Kurz: Es gibt ein Einkaufserlebnis.
Baustellen sind Überlingens größte Baustellen
Drücken wir es mal so aus: Wer morgens in Überlingen jammert, der würde abends in Günzburg einen Heulkrampf erleiden. Das soll nicht heißen, dass in Überlingen Jammern verboten wäre. Denn: Über ein Jahr lang war das Parkhaus Mitte geschlossen. Die Stadt war von Baustellen umzingelt. Zentrale Straßen in der Altstadt sind seit Sommer aufgerissen. Zwei wichtige Zufahrtsstraßen werden erneuert und sind gesperrt. Die Umleitungsstrecken führen Ortsunkundige ins Chaos. Die Parkgebühren sind trotzdem hoch.
Das schreckt Kundschaft aus dem Umland ab, ein Teil von ihnen meidet derzeit Überlingen und sucht andere Orte zum Einkaufen, wie einzelne Einzelhändler berichten. Im schlimmsten Fall machen sie ihr Geschäft dicht. Und so stehen momentan mehr als im Schnitt der letzten Jahre leer.

Bei Leerstand städtischer Einfluss teils begrenzt
Überlingens Wirtschaftsförderer Stefan Schneider hält im Gemeinderat am Mittwoch (22. November) seinen Bericht. Darin drückt er seine Hoffnung aus, dass es sich beim Problemfeld Leerstand um ein vorübergehendes Phänomen handelt, und seine Hoffnung ist berechtigt, wenn Überlingen im nächsten Jahr neu durchstartet. Eine gewisse Fluktuation ist normal. In Überlingen gibt es Immobilien, bei denen die Eigentümer keinen gesteigerten Wert darauf legen, leer stehende Zeilen zu vermieten. Der Einfluss der Stadt ist hier begrenzt. Ein Ärgernis ist beispielsweise das Haus Feyel in der Münsterstraße. Ließe sich in so einem Fall nicht die Zweckentfremdungssatzung anwenden?
Die Baustellen an den wichtigen Straßen und am Parkhaus Mitte sind vorübergehender Natur. Man könnte kritisieren, dass so viele Baustellen gleichzeitig aufgerissen wurden. Andererseits kann sich Überlingen nach einer harten Durststrecke frisch herausgeputzt präsentieren – ungestört für eine umso längere Zeit.
Einst schmuddelige Hafenstraße heute ein Schmuckstück
Ein Neustart in Überlingen käme zur richtigen Zeit. Denn die Pandemie stärkte das Bewusstsein bei den Verbrauchern für Regionalität. Die Internetgiganten schwächeln, während Geschäfte mit einer individuellen Ausrichtung, einer guten Beratung und einem exklusiven Sortiment derzeit als Gewinner am Markt gelten. Neben der Wechselwirkung aus Gastro und Gewerbe wird das Einkaufserlebnis in Überlingen getoppt durch die Lage und die Möglichkeit zum Promenieren am See. Wochenmarkt am Mittwoch und Samstag, und zwar ganzjährig – das ist nicht selbstverständlich. Es gibt grüne Inseln und Plätze, wo man sich ohne Kaufzwang aufhalten kann. Wie belebend bereits die Sanierung der Hafenstraße war, zeigt sich an der neuen Aufenthaltsqualität, die zu neuen (gastronomischen) Angeboten führte. Und so kann sich auch die über viele Jahre schmuddelig wirkende Kessenringstraße entwickeln, wenn sie dereinst saniert sein wird.

Der Einzelhandel hat es bundesweit nicht leicht. In Überlingen wirken aber die Touristen wie eine unerschöpfliche Konjunkturspritze. Hinzu kommen Aktionen wie Eisbahn und Sport-Events, Weihnachtsmarkt und Frühlingszauber. Auch die wechselnde Blütenpracht lockt Besucher an. Wer während der Saison gut kalkuliert, kommt unbeschadet durch die Winterdelle. Zudem können die inhabergeführten Geschäfte in Überlingen im Gegensatz zu den großen Filialisten mit einem etwas mutigeren Sortiment punkten und mit Parkrabatten Bonbons verteilen. Viele tun das, und wer genau hinsieht, der bemerkt, dass Überlingen außerhalb der Tourismussaison etwas zur Ruhe kommt, aber mitnichten in einen Winterschlaf verfällt.