Seit bald 700 Jahren hängt die Geschichte dieses Hauses mit dem Weinbau zusammen. Doch Ende Juli endet dieses Kapitel. Denn Weinhändler Philipp Weber, der letzte Pächter, gibt sein Geschäft im Steinhaus in der Altstadt von Überlingen auf.
In einem Gespräch, das auf Anregung Webers zustande kam, drückt er seine Enttäuschung darüber aus, dass dem Handel, beziehungsweise der Kundschaft aus Überlingen und Umgebung, zu wenig Rechnung getragen werde. Die Entwicklung der Handelsstadt Überlingen sei zu stark auf den Tourismus ausgerichtet, so lautet seine Kritik. Überlingen entwickle sich zunehmend zu einer saisonal zweigeteilten Stadt – wie Meersburg: „Im Sommer überlaufen, im Winter tote Hose.“

Die jahrzehntelange Diskussion um eine Reduktion des Verkehrs wirke sich negativ aus: Die Autofahrer fühlen sich in der Stadt nicht mehr willkommen, glaubt der Weinhändler. Ein Übriges hätten die steigenden Parkgebühren und der Wegfall der ersten halben kostenlosen Stunde in den Parkhäusern bewirkt. Das alles, zudem die coronabedingten Belastungen, eine steigende Miete und steigende Energiekosten, führten dazu, dass er sich aus Überlingen zurückziehe und sich auf sein Stammhaus in Frickingen konzentriere. Das historische Spitalgebäude in Überlingen wird also nun nicht mehr für das Thema Wein genutzt.
Gesamtbetrachtung des Handelsplatzes Überlingen
Was sagt Stefan Schneider, Wirtschaftsförderer der Stadt Überlingen, zu Webers Betrachtung? „Der Einzelhandel bewegt sich derzeit in einem herausfordernden Umfeld. Das ist auch uns als Stadtverwaltung bewusst.“ Doch nach wie vor sei der Handelsplatz Überlingen „von einem vielfältigen Angebot geprägt“. Es seien sowohl großflächige Handelseinheiten (La Piazza) vorhanden, als auch ein kleinteiliger, überwiegend in der Innenstadt verorteter Fach-, beziehungsweise Einzelhandel.

„Im Einzelhandel macht sich derzeit die konjunkturelle Schwäche bemerkbar“, so die Rückmeldung der Pressestelle im Rathaus auf SÜDKURIER-Anfrage. „Die Konsumneigung der Verbraucher ist auf einem tiefen Niveau, die Sparneigung hingegen hoch.“ Erschwerend komme Personalmangel „in beinahe allen Bereichen des Handels hinzu“. Das führe zu kürzeren Öffnungszeiten, was die Lage für den Handel „erheblich verschärfe“.
Kompliment für die Flexibilität der Einzelhändler
Wirtschaftsförderer Stefan Schneider betrachtet das Warenangebot in der Innenstadt nach wie vor positiv und lobt die Beweglichkeit der Einzelhändler. Strukturverschiebungen, etwa bei Haushalts-, Spiel- und Schreibwaren, seien erkennbar, hin zu größeren Drogeriemärkten oder Lebensmittelhändlern. Dennoch seien in Überlingens Altstadt Spielwaren und hochwertige Schreibutensilien erhältlich. Die Stadtverwaltung lobt die Unternehmen, die auf die veränderte Marktsituation reagieren und zeigen, „dass die Stadt über erfahrene und anpassungsfähige Händlerpersönlichkeiten verfügt“.
Wie ist es um den Leerstand in den Geschäften bestellt?
„Die Zahl der leer stehenden Geschäfte steigt, wenn auch mäßig, an.“ Ausschnittsweise formuliert die Stadtverwaltung mögliche Gründe: Gescheiterter Generationswechsel, weil ein Nachfolger fehlt. Zu hohe Renditeerwartungen, die die Eigentümer an die Pächter der Ladenzeilen stellten. Personalmangel. Unpassender Zuschnitt oder Lage der Ladenzeile. Zudem entstünden Leerstände wegen rechtlich notwendiger Sanierungen. Fällige Sanierungen führten dann zu einer zeitweisen Schließung. Doch „es gibt auch Positives zu berichten“, betont die Stadtverwaltung. So gingen bei der Wirtschaftsförderung weiterhin Anfragen ein nach Flächen für Pop-up-Stores oder für hybride Retailflächen (Handel mit Gastronomie kombiniert). Ein schönes Beispiel hierfür sei ein neues Café in der Hafenstraße.
Ein Hoch auf die Touristen als Konsumenten
Webers Kritik an einem in seinen Augen zu starken Fokus auf Touristen weist die Stadtverwaltung mit folgendem Kommentar zurück: „Das erfolgreiche Wirtschaften der Überlinger Einzelhändler basiert sowohl auf den wiederkehrenden Kunden aus Überlingen und der näheren Umgebung, als auch auf den Übernachtungs- und Tagesgästen, die unsere Stadt besuchen.“ Daher sei es erfreulich, dass es in den vergangenen Jahren gelungen sei, die touristische Saison auszuweiten. Sie dauere mittlerweile von etwa Mitte März bis Mitte November.
Stadt betont Investitionen in die Stärkung des Handels
Zur aktuellen Verkehrssituation schreibt die städtische Pressestelle nach SÜDKURIER-Anfrage, dass den Entscheidern die zusätzlichen Belastungen wegen aktueller Baumaßnahmen bewusst seien. Eine Antwort sei die Schaffung eines zusätzlichen Park-and-Ride-Platzes. Letztlich bewertet die Stadt alles als eine Investition in die Zukunft: „Die hohen Investitionen in das Parkhaus Stadtmitte sowie in die Straßensanierungen werden zu einer Steigerung der Aufenthaltsqualität in der Innenstadt führen und damit auch zu einer Stärkung des Handels.“