Die Stadt macht ernst mit der Verkehrsberuhigung. Schon die Baustelle, die später für eine Reduktion des Verkehrs in der historischen Altstadt sorgen soll, bringt den Verkehr zum Erliegen. Seit Montag ist der Bereich Fischerbrunnen gesperrt. Das heißt, aus der Altstadt Richtung Westen und in umgekehrte Richtung gibt es für den ersten Bauabschnitt in den nächsten sechs Wochen kein Durchkommen. Weitere Bauabschnitte, die bis November dauern, folgen. Das sorgt allgemein für Verwirrung. Wir betrachten es aus drei Perspektiven.

Die Gastronomen: Sorgen um die Kundschaft

Die beiden Gastronomen aus der Klosterstraße: Mehmet Soytoprak (links) und Bedram Demirdüken (Ali‘s Kebap und Bonate).
Die beiden Gastronomen aus der Klosterstraße: Mehmet Soytoprak (links) und Bedram Demirdüken (Ali‘s Kebap und Bonate). | Bild: Hilser, Stefan

Bedram Demirdüken und Mehmet Soytoprak betreiben in der Klosterstraße zwei türkische Gastrobetriebe. Sie seien froh, dass der Bereich rund um ihre Geschäfte optisch aufgewertet wird. „Irgendwann muss es gemacht werden, aber warum ausgerechnet jetzt in der Hochsaison?“, fragt Mehmet Soytoprak von Ali‘s Kebap. „Erst Corona, dann der Krieg, jetzt die Baustelle. Unglaublich!“ Ihre beiden Geschäfte können mit dem Auto nicht mehr angefahren werden, was auch ihren Lieferservice zum Erliegen bringt.

Ein wichtiger Hinweis am Friedhofskreisel. Wohl dem, der kapiert, dass er nun rechts dem Umleitungsschild folgen sollte.
Ein wichtiger Hinweis am Friedhofskreisel. Wohl dem, der kapiert, dass er nun rechts dem Umleitungsschild folgen sollte. | Bild: Hilser, Stefan

Bedram Demirdüken: „Wir müssten den doppelten oder dreifachen Weg zu unseren Kunden einplanen, bis dahin ist das Essen kalt.“ Der 22-jährige Bedram betreibt mit seinem Vater Ishak Demirdüken am Fischerbrunnen das türkische Restaurant Bonate: „Das wird für uns wirtschaftlich sehr hart, wenn wir es überhaupt schaffen.“

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An Tag zwei der Baustelle gibt er seinen vier Angestellten frei. Keine Kundschaft in Sicht. Vor allem die Außengastronomie, die nun neben einer lärmenden Baustelle liegt, könne er vergessen. Die Gebühr in vierstelliger Höhe an die Stadt für die Außenbestuhlung sei aber dennoch fällig. Er fragt nach Unterstützung in schwieriger Zeit: „Finanziell, oder wie auch immer. Vielleicht indem die Stadt uns wenigstens die Gebühr für die Außenbewirtung erlässt?“

Das Pärchen im Porsche: Irrfahrt durch die Innenstadt

Glücklich mit ihrem Porsche im Parkhaus Post angekommen: Horst Wiedmann und Birgit Raichle aus Schweinfurt.
Glücklich mit ihrem Porsche im Parkhaus Post angekommen: Horst Wiedmann und Birgit Raichle aus Schweinfurt. | Bild: Hilser, Stefan

Birgit Raichle und ihr Partner, Horst Wiedmann, zieht es zurück nach Überlingen. Sie wohnen in Schweinfurt, kennen Überlingen aber von früheren Besuchen, er war bis zur Pensionierung bei ZF Schweinfurt beschäftigt. An der Promenade spazieren gehen, das ist ihr Ziel. Sie erinnert sich, dass es im Bereich der Therme ein Parkhaus gibt, also folgen sie tapfer dem Schild in Richtung Therme und werden davon ins Zentrum gelockt. Ihr Navi tut ein Übriges und lotst sie am Anlieger-Frei-Schild, das am Aufkircher Tor steht, gnadenlos vorbei, weiter Richtung Baustelle. Dort stehen sie vor einem Schild, das laut ADAC falsch aufgestellt wurde.

Verkehrszeichen 209-20: Wer in der Fahrschule aufgepasst hat, der weiß, dass man nach dem Schild links abbiegen muss – nicht vor ...
Verkehrszeichen 209-20: Wer in der Fahrschule aufgepasst hat, der weiß, dass man nach dem Schild links abbiegen muss – nicht vor dem Schild, wie es hier eigentlich gemeint ist. | Bild: Hilser, Stefan

Dieses Verkehrszeichen verlange laut Straßenverkehrsordnung, dass erst nach dem Schild links abgebogen werden muss, nicht vorher. Die Stadt ist da anderer Meinung, wie sie dem SÜDKURIER auf Nachfrage schreibt: „Mitarbeiter der Abteilung Sicherheit und Ordnung waren vor Ort und haben die Beschilderung begutachtet.“ Sie sei korrekt, „an der Absperrung direkt nach links in die Grabenstraße“.

Der Überlinger Verkehrsrechtsanwalt Volker Mayer-Lay bestätigt jedoch ebenfalls, „dass Fahrzeugführer bei Verkehrszeichen 209 an der folgenden Kreuzung oder Einmündung abbiegen müssen. Alle anderen Fahrtrichtungen sind tabu.“

Also folgt das Paar im Porsche, wie viele andere auch, der Aufforderung laut Gesetz, fährt geradeaus – und strandet am Bauzaun. Danach irrlichtern sie irgendwie über die Gartenstraße zurück – bevor die beiden im Porsche kurz darauf wieder an einem Schild stehen, das sie erneut Richtung Baustelle lenkt. Es steht unterhalb der Auferstehungskirche in der Grabenstraße und zeigt: nach rechts statt geradeaus. (Anmerkung der Redaktion: Dieses Schild wurde mittlerweile von der Stadt ausgetauscht.)

Wer die Ehrenrunde über die Gartenstraße fuhr, steht vor diesem Schild. Jetzt wirklich rechts?
Wer die Ehrenrunde über die Gartenstraße fuhr, steht vor diesem Schild. Jetzt wirklich rechts? | Bild: Hilser, Stefan

Erneut in der Gartenstraße gestrandet, erkennbar verzweifelt, begegnet ihnen der SÜDKURIER-Reporter, der sich zu ihnen ins Auto setzt und sie zum Parkhaus Post lotst. Wiedmann: „Eine katastrophale Parksituation für Nicht-Kenner. Es gibt Planer, die so etwas besser können.“ Raichle, an den Reporter gewandt: „Wenn Sie uns nicht geholfen hätten, dann wären wir wieder rausgefahren und Überlingen hätte uns längere Zeit nicht mehr gesehen.“

Der Lkw-Fahrer: Lost in Überlingen-City

Glücklich am Zielpunkt in der Hafenstraße angekommen: Lastwagenfahrer Zoran Mustachki.
Glücklich am Zielpunkt in der Hafenstraße angekommen: Lastwagenfahrer Zoran Mustachki. | Bild: Hilser, Stefan

Zoran Mustachki fährt einen 7,5-Tonner. Mittwochmorgen, 9 Uhr: Mit seinem Lastwagen sollte er ein Indisches Restaurant in der Hafenstraße beliefern. Jetzt steckt er erst einmal vor der Baustelle fest. Denn auch er und sein Navi gingen davon aus, dass das Schild an der Auferstehungskirche dazu auffordert, erst nach dem Schild links abzubiegen. An Tag eins der Baustelle war ein Mitarbeiter des Ordnungsamts zugange und half den Falsch- und Lkw-Fahrern auf die richtige Spur.

Ein Mitarbeiter des Ordnungsamts hilft am Montag im Bereich Christophstraße/Grabenstraße.
Ein Mitarbeiter des Ordnungsamts hilft am Montag im Bereich Christophstraße/Grabenstraße. | Bild: Hanspeter Walter

Jetzt spricht der Mann vom SÜDKURIER beruhigend auf den Lieferanten ein. Der Fahrer zeigt ihm den Lieferschein: Hafenstraße lautet das Ziel. Nach ein paar Hinweisen fährt Mustachki zwar in die richtige Richtung, getraut sich am Landungsplatz dann aber nicht, geradeaus zu fahren. Richtig, der Pfeil zeigt hier ja eindeutig nach links – zurück also in Richtung Baustelle! Nun also eine neue Ehrenrunde, erneutes Aufeinandertreffen mit Mustachki, den wir nun bis zur Hafenstraße begleiten. Vor dem Indischen Restaurant steigt er aus dem Führerhaus und strahlt in die Kamera. Auf Englisch sagt er: „Ich bin ganz neu in Deutschland.“

Enge Angelegenheit, aber irgendwie müssen die Lieferfahrzeuge ja in die Stadt kommen.
Enge Angelegenheit, aber irgendwie müssen die Lieferfahrzeuge ja in die Stadt kommen. | Bild: Hanspeter Walter

Welche Erfahrungen sammelte die Stadtverwaltung?

Wir erkundigten uns bei der Stadtverwaltung, welche Erkenntnisse sie aus Tag 1 der Baustelle gewonnen habe und ob vielleicht Änderungen nötig sind. Dazu gab es bislang keine Antwort, sie ist aber angekündigt.

Was das Verkehrszeichen betrifft, erkundigten wir uns beim ADAC Südbaden. Pressereferentin Claudia Pohl schreibt: „Der Beschilderung aus dem Baustellen-Bild zufolge muss hier nach dem Schild links abgebogen werden. Bei einem geraden Richtungspfeil muss vor dem Pfeil die Fahrtrichtung eingehalten/gewechselt werden.“ Verkehrsrechtsanwalt Volker Mayer-Lay, heute CDU-Bundestagsabgeordneter, präzisiert: „Das Vorschriftenzeichen 209-30 muss vor der Kreuzung oder Einmündung aufgestellt werden, für die es die Fahrtrichtung vorschreibt.“

Zur Therme wirklich hier gerade aus? Besser wäre es, wenn die Therme-Besucher gleich am Stadteingang abgefangen würden und einen großen ...
Zur Therme wirklich hier gerade aus? Besser wäre es, wenn die Therme-Besucher gleich am Stadteingang abgefangen würden und einen großen Bogen um die Stadt machten. | Bild: Hilser, Stefan

Ein sinnvoller Hinweis. Aber wo bitte ist die Nußdorfer Straße?
Ein sinnvoller Hinweis. Aber wo bitte ist die Nußdorfer Straße? | Bild: Hilser, Stefan
Geht‘s vielleicht noch ein bisschen kleiner? Wichtiger Hinweis an der Lippertsreuter Straße.
Geht‘s vielleicht noch ein bisschen kleiner? Wichtiger Hinweis an der Lippertsreuter Straße. | Bild: Hilser, Stefan
Erst, wenn man schon kurz vor dem Parkhaus Mitte steht, erfahren die Autofahrer, dass das Parkhaus voll, beziehungsweise geschlossen ...
Erst, wenn man schon kurz vor dem Parkhaus Mitte steht, erfahren die Autofahrer, dass das Parkhaus voll, beziehungsweise geschlossen ist. Morgens um 9 Uhr, und in der Innenstadt gibt es nur noch 19 freie Plätze. | Bild: Hilser, Stefan
Die Grabenstraße ist meist zu eng für zwei Lieferfahrzeuge. Im 7,5-Tonner sitzt Zoran Mustachki. Er wartet geduldig, indes stauen sich ...
Die Grabenstraße ist meist zu eng für zwei Lieferfahrzeuge. Im 7,5-Tonner sitzt Zoran Mustachki. Er wartet geduldig, indes stauen sich hinter ihm die Pkw. | Bild: Hilser, Stefan