Es ist 18.04 Uhr am Sonntagabend. Vor der Tür zum Wahllokal in der Burgbergschule steht Anna Schneider (77) und muss erst mal Luft holen. „Kann ich noch wählen?“, fragt sie durch die halb geöffnete Tür. „Leider nicht“, sagt Ewald Heichele, einer der Vorstände der drei Wahlbezirke 07, 08 und 09, die hier eingerichtet sind.

Vier Minuten zuvor hatte Heichele höchst offiziell das Ende der Wahlhandlung verkündet. Wer zu diesem Zeitpunkt schon im Wahllokal war und noch in der Schlange stand, durfte seine Kreuzchen noch machen. Nicht jedoch Anna Schneider.

„Das ist ärgerlich“, sagt die Frau, die seit mehr als 30 Jahren in Überlingen wohnt und wie in den vergangenen Jahrzehnten zur Realschule fuhr, um dort ihre Stimmen abzugeben. Denn Wahlen waren ihr immer sehr wichtig. Es war 17.45 Uhr. Das sollte noch reichen. Nachdem sie dort vergeblich nach ihrem Stimmbezirk gesucht hatte, erfuhr sie, dass sie erstmals ins Wahllokal Burgbergschule sollte. Auf der Wahlbenachrichtigung hatte dies zwar gestanden, doch darauf hatte sie nicht geachtet. Sie kannte ihr Wahllokal ja seit einigen Jahrzehnten.

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Vor verschlossenen Türen

„Schaffe ich das noch?“, fragte Anna Schneider einen Wahlhelfer. „Das wird knapp“, sagte man ihr. Doch sie wollte nichts unversucht lassen, setzte sich in ihr Auto und fuhr zur Burgbergschule. Die Ausschilderung zum Wahllokal durch den Nebeneingang der Schule zeigten ihr Passanten noch. Doch als sie schwer atmend an der Tür ankam, war es zu spät – 18.04 Uhr. Siehe oben.

Doch Anna Schneider war nicht die einzige, die an diesem Sonntag durch die Stadt irrte und ihr Wahllokal suchte. Doch andere hatten mehr Glück. Ähnliche Erfahrungen machte ein Überlinger, der wie gewohnt zum Stadtwerk in die Kurt-Wilde-Straße aufbrach, um ratlos vor verschlossenen Türen zu stehen, wo vor fünf Jahren große Teile der östlichen Stadt noch gewählt hatten. Kein Hinweis nichts. Der Mann begab sich auf den Weg zum Bürgeramt. „Dort habe ich erfahren, dass ich zur Burgbergschule muss“, berichtet er. Immerhin: Er schaffte es noch. Andere versuchten, ähnliche Probleme bei vermeintlich kompetenten Menschen telefonisch zu lösen.

Weniger Wahllokale: Das sind die Gründe

Tatsächlich hatte die Stadt die Wahllokale deutlich reduziert. „Das hatte verschiedene Gründe“, sagte Wahlleiter Michael Moser am Montagmorgen auf Nachfrage. Auf manche Gebäude habe die Stadt „keinen Zugriff mehr“ gehabt, sagt er.

Zum anderen sei die Zahl der Wahlhelferinnen und Wahlhelfer knapp gewesen. Zu guter Letzt habe man versucht, die Anzahl der Wähler auf alle 16 Stimmbezirke gleichmäßig zu verteilen. Jeder der sieben Teilorte hatte nach wie vor sein eigenes Wahllokal. Lediglich die Aufkircher mussten erstmals in die Innenstadt düsen. Dort waren wie bisher in der Wiestorschule, in der Realschule und in der Burgbergschule jeweils drei Stimmbezirke untergebracht. Die zwar benannt waren, aber für manchen Neuwähler in den Nebengebäuden nicht problemlos aufzufinden.

In der Burgbergschule wurde nach 18 Uhr begonnen, die Europawahl auszuzählen.
In der Burgbergschule wurde nach 18 Uhr begonnen, die Europawahl auszuzählen. | Bild: Hanspeter Walter

Lange Schlange vor den Wahllokalen

Was hatte sich geändert? Weggefallen sind nach Auskunft von Michael Moser unter anderem die Wahllokale beim Stadtwerk, im Finanzamt, in der Stadtgärtnerei und in der Diakonie. Entsprechend länger waren die Schlangen zeitweise an den verbliebenen drei Standorten. Was bisweilen zu geringen Wartezeiten führte und vielleicht einen falschen Eindruck über die Wahlbeteiligung geführt haben konnte. Nun waren zwar das zuständige Wahllokal und der Stimmbezirk auf der offiziellen Wahlbenachrichtigung korrekt ausgedruckt. Doch die Macht der Gewohnheit war bei einigen einfach zu groß. „Wir hätten auf die Änderungen bei den Wahllokalen vielleicht doch deutlicher hinweisen sollen“, räumte Wahlleiter Moser ein.