Es ist ein trüber November-Abend in Überlingen. Priscilla DiLaura macht es sich in ihrer Wohnung gemütlich und freut sich auf einen Fernsehabend. Sie schaut auf Netflix, was gerade läuft – da wird ihr plötzlich „Das Damengambit“ vorgeschlagen. Sie startet die Serie und weiß noch nicht, dass dieser Moment eine ganze Menge in ihrem Leben verändern wird.
In der Serie geht es um Beth Harmon, die in den 1950er-Jahren in einem Waisenhaus ein erstaunliches Talent für Schach zeigt. Sie schafft den Sprung in die Männerdomäne und erobert die Schachwelt. Der Titel der Serie ist der Name einer vielseitigen und flexiblen Eröffnungskombination im Schach: das sogenannte Damengambit.
Das Schachmärchen beginnt
Priscilla DiLaura ist sofort fasziniert von der Geschichte. Eines der ersten großen Turniere von Beth Harmon ist in Las Vegas. Und die Überlingerin sagt: „Beth Harmon hat mich echt fasziniert. Als ich die Serie angeschaut habe, wusste ich, das möchte ich auch machen – und ich möchte nach Las Vegas.“ Was dann passiert, ist der Auftakt eines kleinen Schachmärchens.
Die 26-Jährige besorgt sich in Überlingen ein Schachbrett und vor allem jede Menge Bücher von Großmeistern. Ihre Besuche in der Greth und im Café Walker, wo sie sehr gerne Kaffeetrinken geht, werden etwas seltener. „Ich habe jeden Tag gespielt und die Erklärungen der Großmeister in ihren Büchern studiert“, erzählt sie. „Ich habe vom ersten Tag an gegen die besten Schachprogramme gespielt, obwohl ich wusste, dass ich keine Chance habe.“ Priscilla DiLaura ist ehrgeizig und zielstrebig – und das in allem, was sie macht.
Viele Lebensbrüche, aber immer eine Idee
Die junge Frau kommt 2003 als Vierjährige mit ihrer Mutter nach Überlingen. Nach dem Abschluss der Realschule geht sie mit 16 Jahren alleine nach Köln und besucht dort gleich zwei Schauspielschulen. Sie arbeitet parallel als Model und zieht mit nur 20 Jahren schließlich nach London. Als Corona ausbricht, kommt sie wieder nach Überlingen und übernimmt wenig später die Boutique ihrer Mutter in der Schulstraße. Nach eineinhalb Jahren orientiert sie sich erneut um und startet schließlich im Januar 2025 einen weiteren ganz neuen Meilenstein in ihrem Leben: Sie zieht nach Mallorca und gründet in Palma ihre eigene Firma als Immobilienmaklerin.

Zu diesem Zeitpunkt ist das Schachbrett bereits ihr täglicher Begleiter. Sie spielt immer noch gegen die ganz schwierigen Schachprogramme. Und dann kommt der Tag, an dem sie ihr erstes Spiel gegen den Computer gewinnt. „Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern“, sagt Priscilla DiLaura. „Das war echt krass. Ich habe mich unglaublich gut gefühlt.“ Sie habe gemerkt, dass sich das Studium unzähliger Partien von Großmeistern gelohnt hat. Vor allem das Spiel des fünfmaligen Weltmeisters Magnus Carlsen und ehemaligen Junioren-Weltmeisters Aryan Tari seien faszinierend, sagt sie. Mit Tari hat sie sogar persönlich Kontakt.
Ein König alleine hat keine Chance
Auch wenn sich privat in den vergangenen Monaten vieles verändert hat, hat sie ihr Ziel nicht vergessen: Las Vegas. Mittlerweile ist es Frühjahr und die National Open Chess Championships beginnen Anfang Juni. Das renommierte Turnier gibt es seit 1965. Dort nehmen jährlich zahlreiche Spieler aus aller Welt und unterschiedlichen Niveaus teil und können sich für eine Anmeldegebühr anmelden. Zu gewinnen gibt es dort Preisgelder von bis zu 10.000 Dollar. Bei Profi-Schachturnieren liegt dieses deutlich höher und kann sogar in die Millionenhöhe gehen.

DiLaura verbessert Tag für Tag ihr Spiel. „Schach ist für mich irgendwie, wie das wahre Leben“, sagt die Überlingerin. „Manchmal musst Du eine Figur opfern, um am Ende zu gewinnen.“ Und: Der König alleine hat auf dem Schachbrett keine Chance. Nur, wenn das Zusammenspiel der Figuren passt, habe man eine Chance.
Die 26-Jährige schafft es tatsächlich
Ähnlich konsequent, wie sie auf dem Brett unterwegs ist, verfolgt sie ihren Traum: Sie möchte sich im Rahmen des Las Vegas International Chess Festivals mit den Großmeistern messen. Nach der Anmeldung muss sie noch im persönlichen Gespräch die Veranstalter überzeugen, dass sie trotz ihrer geringen Erfahrungen für die höchste Spielklasse überhaupt zugelassen wird. Und die 26-Jährige schafft es tatsächlich. „Ich habe zwar noch kein Turnier gespielt, aber meine bisherigen Partien am Computer waren überzeugend genug“, erklärt sie.
Sie ist am Ziel: In nur acht Monaten hat sie es geschafft, sich im Schach mit den Großmeistern messen zu dürfen. Große Namen der Szene wie beispielsweise Magnus Carlsen oder der deutsche Vincent Keymer sind in Las Vegas allerdings nicht dabei.

Nur wenige Frauen spielen in der obersten Kategorie
Nach der Lieblingsfigur gefragt, sagt sie sofort: „Ganz klar die Königin!“ Und fügt als Erklärung schmunzelnd hinzu: „Nicht nur, weil sie alles kann, sondern, weil ich auch eine bin.“ Damit spielt sie lachend auf die wenigen Frauen an, die im Schachzirkus unterwegs sind. „In Las Vegas nehmen etwa 1500 Akteure teil, davon sind aber nur etwa 60 Frauen“, erzählt Priscilla DiLaura. „In der obersten Kategorie sind es sogar nur drei – mit mir!“
Priscilla DiLaura geht realistisch ins Turnier: „Es ist für mich ein Traum, überhaupt dabei zu sein“, sagt sie. „Ich möchte aber schon den einen oder anderen ärgern.“ Und das gelingt ihr hin und wieder, wobei sie das Livespiel auch überrascht: „Es war schon irre, wie mehr als 1000 Menschen in einem einzigen Raum gespielt haben“, erzählt sie. „Viele sind nach ihren Zügen sogar aufgestanden und herumgelaufen.“ Einmal stand sie sogar kurz vor einem Unentschieden. „Ich bin mit meinem Spiel dennoch sehr zufrieden“, resümiert sie. „Wobei es vor allem mental schon eine echte Herausforderung war, in fünf Tagen neun Partien live zu spielen.“
Priscilla DiLaura wäre nicht Priscilla DiLaura, wenn sie nicht schon neue Pläne hätte: „Das war nur der Auftakt in Sachen Schach“, betont sie. „Ich möchte so schnell es geht, Großmeisterin werden.“ Auch wenn es am Ende in Las Vegas nicht mit einem Sieg am Schachbrett geklappt hat, hat sie schon die nächsten Turniere im Visier.