Martin Keßler spricht lieber über seinen Ort als über sich. Der 62-jährige Zimmermann ist in seiner dritten Amtszeit als Ortsvorsteher des Teilorts Hödingen. Nur über sich zu sprechen, wäre nicht fair, sagt er. Ein Vorsteher brauche sein Gremium. „Es gibt nicht nur einen, der bestimmt“, fasst er zusammen. Er selbst ist mit seinem Ort verwachsen wie kaum ein anderer. Er scherzt gerne, bezeichnet sich als Zugezogener in vierter Generation. Keßler ist in Hödingen aufgewachsen, bis auf den Grundwehrdienst verbringt er die meiste Zeit seines Lebens dort. Arbeit und Familie sind in Hödingen.
Arbeit für die Bürger
Keßler selbst ist seit 25 Jahren Ortschaftsrat, ein Vierteljahrhundert. Einmal monatlich kommen sie zusammen, erzählt Kessler. Er stellt die Tagesordnung auf und spricht die Einladungen aus. Wie viel Zeit er dafür aufwendet, kann Keßler nicht sagen, es verschmelze alles mit den Tätigkeiten drumherum. Bei ihm schon deshalb, weil er Mitglied sämtlicher Vereine des Ortes ist.
Ob er nochmal für den Ortschaftsrat kandidiert, ist noch ungewiss. „Bisher hat es Spaß gemacht“, und nun habe er noch vier Jahre vor sich. Um ihre Arbeit den Hödingern zu vermitteln, wurde beispielsweise 2017 ein Bürgerempfang eingerichtet. Als ein „geselliges, lockeres Beisammensein, um Projekte vorzustellen und Anregungen der Bürger zu hören“, beschreibt es Ortschaftsrat Thomas Gegg. Er ist zugleich erster Stellvertreter von Martin Keßler.

Clemens Vogler ist zweiter Stellvertreter des Ortsvorstehers. Er erzählt von einer kleinen Kuriosität: Je nachdem, ob das Internat des Schloss Spetzgart gerade bewohnt ist oder nicht, schwanke die Einwohnerzahl Hödingens um etwa 100 Personen. „Wir sind ein Winterort“, sagt Keßler und lacht. Im Sommer haben wir 700 Einwohner, im Winter 800.
Grundnahrungsmittel Most
Egal wie viele, sie sind Teil einer historisch gewachsenen Kulturlandschaft. Ortsvorsteher Keßler ist zugleich Vorsitzender des Vereins zur Erhaltung der Kulturlandschaft Hödingen. Das Gespräch mit Keßler und seinen Stellvertretern macht deutlich, Hödingen hat eine besondere Verbindung zu Obst. Bis vor 50, 60 Jahren war Most Grundnahrungsmittel, erzählt Clemens Vogler. „Anders als das Wasser durch die Gärung keimfrei“, ergänzt Keßler. Es gebe nur wenige gut erhaltene Streuobstwiesen, sagt er. Teilweise seien die Bäume über 200 Jahre alt. „Die standen schon, als Napoleon nach Russland zog“, sagt er.
Ganz Hödingen ist Kulturlandschaft. Etwa acht Hektar davon ist von Hochstammbäumen bedeckt, teilweise alte Sorten. Rund 400 Bäume stehen auf dem Areal. Keßler und die anderen Mitglieder setzen damit eine Tradition fort. Eine Streuobstwiese unterliege einem Generationenvertrag. „Wer einen Baum setzt, hat selber nichts mehr davon, wenn erste Früchte nach 30 Jahren wachsen“, erläutert Keßler als Vereinsvorsitzender. „Der Duft ist unbeschreiblich“, schwärmt er und betont: „Wenn es viel Arbeit ist, muss man nur einmal auf den See blicken und alles wird leichter.“
Das Malibu von Überlingen
Offenkundig geht das nicht nur ihm so. Er hatte von zwei Radfahrern im Vorbeifahren gehört, sie seien im „Malibu von Überlingen“. Er grinst über die Bezeichnung und würde ihnen zustimmen. Ihm gefällt es, wenn sein Ort Anklang findet. Auch als Andreas Kruse als Hödinger für Hödinger sprach und herausstellte: „Die Steigerungsform von Überlingen sei Hödingen“ – daran erinnert sich der Ortsvorsteher gern. Zuletzt wurde auch Widmers Bänkle als Aussichtspunkt vom Südhang auf den See hinab neugestaltet.
Breitbandausbau nutzen
Den Breitbandausbau wollen die Hödinger nun nutzen, um derweil allerhand anderes zu bewältigen. „Der wird uns noch für drei Jahre beschäftigen“, sagt Martin Keßler. Da bleibt viel Zeit für anderes. Da im Zuge dessen zahlreiche Leerrohre verlegt werden, könne eines auch genutzt werden, um etwa das Friedhofshäuschen mit Strom zu versorgen.

Ein Platz soll umgestaltet werden, ebenso der Delphinbrunnen, Gehwege sollen neu gepflastert werden. Auch ein neues Parkkonzept soll umgesetzt werden. „Dass sich jemand darum kümmert“, sagt Keßler – „eben darin besteht die Aufgabe des Ortschaftsrat“. Sie sind ein beratendes Gremium, kein beschließendes. Seit zwei Jahren wirken sie auf die Stadtverwaltung ein, nun trage es Früchte.
Die Arbeit mit der Stadtverwaltung laufe gut. Oberbürgermeister Jan Zeitler sei nun schon in den Themen drin. Dass er wiedergewählt wurde, gebe Kontinuität, sagt Vogler. Er selbst bringt Kontinuität in den Hödinger Ortschaftsrat. Das Vertrauen in die Politik sei derzeit nicht so hoch, „und wenn es in Berlin und Stuttgart nicht klappt, soll es im Dorf gut sein“, erläutert Keßler. Dafür sehe der Verwaltungsapparat eine Adresse vor und die sei, weil er gewählt wurde, eben er.