Eine Generalstimmung ist eine seltene Periode. Zwar wird die Orgel im Nikolaus-Münster regelmäßig überprüft. Dass allerdings jede Pfeife einzeln überprüft und angepasst wird, kommt nur etwa alle zehn Jahre vor. Die letzte Generalstimmung liegt sogar zwölf Jahre zurück. 2013 waren die Orgelbaufirma Mönch und Orgelbaumeister Hermann Weber mit der Aufbereitung des Instruments so umfänglich beschäftigt, dass während der Stimmarbeiten das Gotteshaus sogar geschlossen bleiben muss.

Präzise Arbeit erforderlich

Während der Stimmung muss absolute Ruhe und gleichbleibende Raumtemperatur herrschen, sagt Kirchenmusikdirektorin und Münster-Organistin Melanie Jäger-Waldau. „Sogar kleinste Nebengeräusche, Schritte, Stimmen, Türbewegungen, stören die Arbeit oder führen zu ungenauen Ergebnissen.“

„Sogar kleinste Nebengeräusche, Schritte, Stimmen, Türbewegungen, stören die Arbeit oder führen zu ungenauen Ergebnissen“, sagt ...
„Sogar kleinste Nebengeräusche, Schritte, Stimmen, Türbewegungen, stören die Arbeit oder führen zu ungenauen Ergebnissen“, sagt Münsterkantorin Melanie Jäger-Waldau. | Bild: Ulrich Fricker

Jede einzelne Pfeife wird dabei in minutiöser Kleinstarbeit vom Orgelbauer angespielt und angepasst. Auf der Orgelempore ragen die Pfeifen nach oben. Die größte misst über sieben Meter und wiegt über 50 Kilogramm, die kleinste misst kaum mehr als einen Zentimeter. Dicht an dicht stehen die Röhren. Es sind tausende. Die Dimensionen der Orgel lassen kaum erahnen, wie filigran Gehör und Finger sein müssen, um sie zu stimmen. Kurioserweise hat das majestätische Klangwerk dabei sogar etwas mit einer Sardinenbüchse gemeinsam.

Das Hauptwerk der Überlinger Münsterorgel von innen. Der Lautsprecher in der Mitte ist der Referenztongeber von Orgelbaumeister Hermann ...
Das Hauptwerk der Überlinger Münsterorgel von innen. Der Lautsprecher in der Mitte ist der Referenztongeber von Orgelbaumeister Hermann Weber, mit dem er die Stimmung abgleicht. | Bild: Rasmus Peters

Arbeit mit Stimmeisen und -hörnern

Orgelbaumeister Hermann Weber arbeitet seit 41 Jahren im Beruf, sagt er. 69 Jahre ist er alt. Die Münster-Orgel kennt er lange. Schon während seiner Lehre hat er darauf gespielt. Er überprüft und stimmt sie, eine nach der anderen, bis er über 3700 durch hat. Seine Werkzeuge sind Zangen, Feilen, Sägen – vor allem aber das Stimmeisen und die Stimmhörner.

Das Werkzeug eines Orgelbaumeisters. Die unscheinbare Metallstange in der Mitte ist das Stimmeisen. Rechts unten sind einige Stimmhörner.
Das Werkzeug eines Orgelbaumeisters. Die unscheinbare Metallstange in der Mitte ist das Stimmeisen. Rechts unten sind einige Stimmhörner. | Bild: Rasmus Peters

Mit ihnen bearbeitet er die Stimmrollen an den Klangkörpern aus Zinnblei oder Kupfer. Im Münster sind die meisten Pfeifen mit Stimmrollen versehen. Wird die Rolle nach oben gedreht, wird der Pfeifenkörper verlängert, wodurch der Ton tiefer wird. Wird sie nach unten gedreht, wird der Körper kleiner und der Ton höher.

Stimmschlitz mit Stimmrolle auf einer der Orgelpfeifen.
Stimmschlitz mit Stimmrolle auf einer der Orgelpfeifen. | Bild: Rasmus Peters

Stimmhörner kommen überwiegend bei Mündungen kleinerer Pfeifen zum Einsatz. Werden die Mündung aufgeweitet, wird der Ton höher, wird diese Mündung also etwas geschlossen, wird der Ton tiefer. Zukulpen, heißt das.

Stimmhörner gehören zu den Hauptwerkzeugen des Orgelbaumeisters. Eingesetzt werden sie für Pfeifen an denen keine Stimmrolle oder ein ...
Stimmhörner gehören zu den Hauptwerkzeugen des Orgelbaumeisters. Eingesetzt werden sie für Pfeifen an denen keine Stimmrolle oder ein Stimmring ist. | Bild: Rasmus Peters

Eine temperaturabhängige Stimmung

Neben dem Werkzeug hat Weber ein weiteres Hilfsmittel – „der Rolls-Royce unter den Stimmgeräten“ nennt er es. Wo viele Musiker an ein Gerät etwa in Handygröße denken könnten, ist Webers Stimmgerät deutlich größer. Es ist sozusagen dem Zielinstrument angepasst.

Mit diesem Stimmgerät überprüft Hermann Weber die Stimmung der Orgelpfeifen im Nikolaus-Münster. Das Gerät vermag die richtige Frequenz ...
Mit diesem Stimmgerät überprüft Hermann Weber die Stimmung der Orgelpfeifen im Nikolaus-Münster. Das Gerät vermag die richtige Frequenz temperaturabhängig anzugeben. | Bild: Rasmus Peters

Auch wenn er nach Gehör zu stimmen vermag, erleichtert ihm sein Hilfsmittel die Arbeit. Denn: „Pro Grad Celsius klingt die Orgel um 0,8 Herz höher“, sagt der Orgelbaumeister. Im Sommer spiele sie automatisch höher, sagt Weber. Schon die Körpertemperatur des Organisten kann die Stimmung beeinflussen. Der Clou seines Stimmgeräts ist nun: In Abhängigkeit zur Raumtemperatur berechnet das Stimmgerät die entsprechende Frequenz.

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Die Zielfrequenz für den Kammerton A liegt bei einer Raumtemperatur von 15 Grad der Münsterorgel bei 440 Hertz, also 440 Schwingungen in der Sekunde. Doch je nach Raumtemperatur muss die Orgel mit ein paar Schwingungen mehr oder weniger klingen, um diesen Wert zu erreichen. Von dem aus werden alle Töne entsprechend eingestimmt. Bei 18 Grad Innentemperatur klingen etwa 442,4 Hertz, bei 15 Grad etwa 440 Hertz.

Mensch und Maschine

Um die einzelnen Töne entsprechend einzustimmen, hat Weber seinen wichtigsten Mitarbeiter dabei. So nennt er seinen mechanischen Tastenhalter. Per Funk drückt der die Taste, die den Ton erzeugt, den Weber gerade stimmt.

Dieser mechanische Tastenhalter ist für Orgelbaumeister Hermann Weber eine Arbeitserleichterung. Per Funk spielt er einzelne Tasten an. ...
Dieser mechanische Tastenhalter ist für Orgelbaumeister Hermann Weber eine Arbeitserleichterung. Per Funk spielt er einzelne Tasten an. In der Regel macht das sonst ein Mitarbeiter. | Bild: Rasmus Peters

Üblicherweise mache das ein Mensch, doch Lehrlinge schlafen bei dieser Aufgabe mit Vorliebe ein, schildert Weber. Ihm selbst sei das auch schon passiert. Auf diesem Weg kann er ungestört in den Orgelkammern, dem Hauptwerk, dem Schwellwerk oder dem Positiv arbeiten und trotzdem das Manual auf der Empore bedienen, bis der Ton stimmt.

Viele Gründe für eine Generalstimmung

Während bei den regelmäßigen Wartungen vor allem Funktion und Mechanik der Orgel überprüft werden, widmet sich die Stimmung vollumfänglich den Tönen. Eine zwischenzeitliche Teilstimmung hat es seit der Generalstimmung 2013 laut Jäger-Waldau nicht gegeben, da sich der Klang über die Jahre recht stabil gehalten habe. Die Kosten der Stimmung richten sich nach Größe und Aufwand der Orgel. „Bei einem großen Instrument wie der Nikolausorgel mit über 3700 Pfeifen belaufen sie sich auf einen hohen vierstelligen Betrag“, sagt Kirchenmusikdirektorin Melanie Jäger-Waldau.

Bei einem so sensiblen Instrument kommen viele Gründe für eine Generalstimmung zusammen: Nicht nur die Raumtemperatur beeinflusst die Klänge, ebenso Luftfeuchtigkeit, Staub, Alterung und das natürliche Arbeiten der Materialien. All das verstimme die Pfeifen im Laufe der Jahre leicht, sagt Jäger-Waldau. Um die Klangqualität des Instruments von 1968 dauerhaft zu erhalten, war die Generalstimmung laut der Organistin nun notwendig.