Sie bohren in der Vergangenheit des Bodensees. Mit Tauchern und zehn Metern Bohrgestänge ziehen Mitarbeiter des Pfahlbaumuseums Unteruhldingen Erdproben aus dem See. Ziel ist eine Pollenanalyse, die Aufschluss über das Wetter in den letzten bis zu 10.000 Jahren bietet. Pfahlbau-Direktor Gunter Schöbel, der die Bohrung begleitet, hofft auf Erkenntnisse, die bislang im Verborgenen liegen.

Wenn alles nach Plan verläuft, lassen sich mit den Pollen für die Region die Waldentwicklung, die Brandrodungsphasen, der menschliche Einfluss über Jahrtausende, die Entwicklung von Wiesen, Weiden, Ackerflächen und vielleicht auch des Weinbaus ermitteln. Wie entwickelte sich die Landschaft nach der letzten Eiszeit? Was passierte nach dem Klimasturz und dem Anstieg des Bodenseepegels im neunten Jahrhundert vor Christus? Was machten die Kelten bis etwa um Christi Geburt am Bodensee?

Umweltrekonstruktion für 10.000 Jahre
Solchen und weiteren Fragen geht Schöbel auf den Grund. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die an die Wasseroberfläche beförderte Seekreide werde einer durchgängigen Pollenanalyse unterzogen. Schöbel: „Sie ermöglicht es uns, wenn es glückt, eine Umweltrekonstruktion für das Nordufer des Sees der letzten 10.000 Jahre, seit dem Ende der letzten Eiszeit.“ Dieser Bereich im Flachwasser in unmittelbarer Ufernähe sei in den letzten Jahrtausenden vermutlich durchgängig unter Wasser gelegen. „Nur so konnten sich dort die kleinen Pflanzenbestandteile erhalten, die uns viel über unsere Kulturlandschaft verraten.“
In Zusammenarbeit mit den Universitäten von Konstanz und Heidelberg plant das Forschungsinstitut der Pfahlbauten jetzt die Auswertung der Bohrproben. Wenn man Glück hat, so Schöbel, dann liegen in einem Erdprofil mehrere Jahrhunderte, Jahrtausende oder sogar die ganze Sequenz an Ablagerungen seit der letzten Eiszeit von über 10.000 Jahren vor.
Archäologie mit Erdbohrungen
Warum wird die Methode nicht öfter angewandt?
Oft haben Erosionen oder der Einfluss des Menschen solche Sequenzen zerstört. Schöbel: „Moore wurden ausgetrocknet oder Toteislöcher als Zeugen der Frühzeit ausgeräumt oder trocken gelegt.“ Aber es gibt Stellen, wo solche Entwicklungen der Ablagerung Schicht um Schicht noch erhalten sind. Darunter das Nordufer des Bodensees. Schöbel: „In zwei bis drei Metern Wassertiefe liegen meterdicke Schichten, die sich immer im Wasser befunden haben. Dort kann eine optimale Pollenerhaltung erwartet werden.“ Hier habe es bislang kaum eine analysierte Bohrung gegeben. Die fünf und acht Meter langen Bohrkerne sollen jetzt durch Limnologen und Paläobotaniker der Universitäten Konstanz und Heidelberg genauer untersucht werden.
Viele weitere Fragen von Schöbel und Co.
Die Archäologen um Schöbel haben noch ganz viele Fragen, auf die sie sich Antworten erhoffen: „Stimmt das mit der ‚Helvetischen Einöde‘, die Cäsar als besiedlungsfreie Zone am See für das erste Jahrhundert berichtete?“ Oder: „Wie stark war die Entwaldung am Bodensee im Mittelalter um 1000 nach Christus?“ Oder vielleicht auch: „Wie war das mit den Anfängen des Weinbaus am See? Lässt sich der nachweisen?“ Historisch belegt sei bislang, so Schöbel, dass in Unteruhldingen schon im elften Jahrhundert drei „Tabernas“ am Hafen standen. „Und die mussten ja irgendwie auch mit Trinkbarem gefüllt werden.“
Viele Fragen zur Stein- und Bronzezeit können im Pfahlbaumuseum auch heute schon beantwortet werden. Es hat für Besucher derzeit täglich von 10 bis 17.30 Uhr geöffnet.