Jürgen Glocker

Auf den ersten Blick könnte man meinen, das Bild zeige eine aktuelle Situation aus dem Winter 2020: Nicht eine große Familie mit Eltern und Kindern, Großeltern, Tanten, Onkeln, Neffen und Nichten, sondern ein winziges Dreiergespann aus Mutter, Vater und Säugling feiert Weihnachten – in ähnlicher Weise, wie die Corona-Pandemie es in diesem Jahr erzwingt. Schaut man freilich etwas genauer hin, wird das Kolorit einer Vergangenheit sichtbar, die mehr als 100 Jahre zurückliegt.

Seien wir ehrlich: In wie vielen Haushalten stehen heute noch Weihnachtsbäume mit echten Kerzen? Haben wir uns doch längst, nicht zuletzt durch die elektronischen Medien, an die unbegrenzte Wiederholbarkeit von allem und jedem gewöhnt. Und in wie vielen Familien wird heute noch ernsthaft die Hausmusik gepflegt, gerade an Weihnachten und zwischen den Jahren?

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Das impressionistisch anmutende Bild stammt von dem Maler Albert Haueisen und es entstand im Jahr 1904, das ähnlich unfriedlich war wie das Jahr 2020. Das Werk zeigt den Künstler selbst, zusammen mit Frau und Kind, beim Weihnachtsfest in Bernau, genauer gesagt: in der Gerbe.

Der Baum ist festlich geschmückt, die kleine Skulptur auf dem Klavier und das Bild im Bild verweisen auf eine künstlerische, schöpferische Familie, und die grün-hellen Farbwerte vermitteln, inmitten des dunklen Winters, die Hoffnung auf lichterfüllte Zeiten. Aufs Ganze gesehen deutet das Ensemble aus Mutter, Säugling und Vater zugleich auf die Heilige Familie und die Geburt Christi hin. Das scheinbar durch und durch weltliche Werk gibt plötzlich den Blick frei auf die Heilsgeschichte.

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Margret Köpfer, die Leiterin des Bernauer Hans-Thoma-Kunstmuseums, hat Albert Haueisens Bild sehr bewusst als Kunstwerk des Monats Dezember gewählt und will mit ihm alle Freundinnen und Freunde des Museums grüßen: „Die Covid-19-Pandemie macht es derzeit unmöglich, das Museum offen zu halten, aber meinem Team und mir ist es wichtig, auch unter diesen Bedingungen kulturelle Impulse zu geben und unser Museum im Bewusstsein der Öffentlichkeit lebendig zu erhalten. Wir arbeiten hinter den Kulissen weiter für die Kunst und für unser Publikum und sind so schnell wie möglich wieder für Sie da. Allen unseren Besucherinnen und Besuchern wünschen wir frohe, besinnliche Festtage und ein glückliches und gesundes neues Jahr! Wir freuen uns auf viele Begegnungen in 2021.“

Albert Haueisen wurde 1872 in Stuttgart geboren und starb 1954 in Kandel (Pfalz). Bereits mit 15 Jahren nahm er sein Kunststudium an der Kunstakademie Karlsruhe auf. Zuletzt war er dort Meisterschüler von Leopold von Kalckreuth und Hans Thoma, bevor er seine Ausbildung in München fortsetzte. 1905 kehrte Haueisen als Lehrer an die Akademie Karlsruhe zurück, deren Direktor er später wurde. Er gilt als ein wichtiger Spätimpressionist und war der erste Träger des Hans-Thoma-Preises. Zeitweise lebte Haueisen in Bernau.

Das Hans-Thoma-Kunstmuseum besitzt einige Werke von seiner Hand. Zusammen mit Kurt Bildstein, Otto Dix und Christa Näher ist Albert Haueisen unter den ersten Künstlerinnen und Künstlern, deren Werke und Biografien auf dem neuen Media-Guide des Museums erschlossen werden. Sobald das Haus wieder öffnen darf, steht der Guide, der vom baden-württembergischen Kunstministerium im Rahmen des Programms „Digitaler Wandel an nichtstaatlichen Museen im ländlichen Raum“ gefördert wird, dem Publikum zur Verfügung.