Bonndorf Im September 2007 erwarteten Irene und Rolf Grieshaber aus Wittlikofen ihren Sohn Marcel. Bereits vor der Geburt war klar: eine Sache unterscheidet ihn von gewöhnlichen Kindern. „Marcel hat das Down-Syndrom“, sagt Irene Grieshaber. Heute ist Marcel 17 Jahre alt, seit vier Jahren begeistertes Mitglied des Kegelvereins, er besucht die neunte Klasse der Realschule im Bildungszentrum Bonndorf. Wie es danach weitergeht, ist ungewiss – denn nach der Sekundarstufe Eins endet der inklusive Bildungsweg. Inklusion war den Eltern bei der Geburt ihres Sohnes noch kein Begriff – es gab keine gesetzlichen Regelungen. Erst 2009 wurde das Bundesteilhabegesetz eingeführt, das die Teilhabe und individuelle Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung stärken soll.
Mit anderthalb Jahren beobachteten die Eltern das interessierte Verhalten ihres Kindes. „Er war aufmerksam, forderte Sachen ein und probierte Neues aus, wie man es einem behinderten Kind eigentlich nicht zutraut“, erzählt die Mutter. Ab diesem Zeitpunkt behandelten die Eltern Marcel wie jedes andere Kind, machten keine Unterschiede. Die Eltern nahmen Marcel überall mit – egal ob zum Einkaufen oder zu Veranstaltungen, er war bei Kindergeburtstagen, besuchte das Schwimmbad und den Spielplatz. Marcel war einige Jahre Mitglied bei den Pfadfindern, besuchte das Kinderferienprogramm und war Kommunionkind. „Wir wollten ihn sozial integrieren. Er sollte für seine Mitmenschen präsent sein und kein Exot.“
Im Alter von drei Jahren besuchte Marcel Grieshaber den Kindergarten in Wellendingen. Mit Unterstützung einer Integrationskraft und der Möglichkeit, sich an anderen Kindern zu orientieren, wurde Marcels neugierige Art bestärkt. Rolf und Irene Grieshaber war dabei wichtig, ihren Sohn in einer Umgebung zu wissen, in der er nicht in Watte gepackt wird. „Er war mittendrin und hatte keine Extrawurst.“ Marcel knüpfte neue Kontakte und wurde von vielen Kindern an die Hand genommen, Berührungsängste gab es kaum. „Die Kinder haben ihn akzeptiert – manche auch mal nicht, aber man hat ihn so sein lassen, wie er war“, erinnert sich die Mutter. Kommunikation fiel Marcel schwer, oft wurde er nicht verstanden, wenn er etwas sagte. Bis heute begleitet Irene Grieshaber ihn zu logopädischen Sprachtherapien und freut sich über die Fortschritte.
Seit 2015 gilt in Baden-Württemberg ein inklusives Schulgesetz. Die Sonderschulpflicht ist abgeschafft – allgemeinbildende Schulen stehen grundsätzlich also auch Kindern mit Behinderung offen. Das findet Sonderpädagogin Jutta Isele-Kuhlmann wichtig. „Man muss behinderte Menschen im Alltag sehen und Berührungsängste abbauen. Auch für die Regelschulkinder hat das einen Mehrwert.“ Nach dem Kindergarten war für Familie Grieshaber klar, dass für Marcel nur ein inkludierter Schulweg infrage kommt. Die nächste Sonderschule wäre in Tiengen gewesen – die Eltern befürchteten, dass er durch den Schulwechsel den Kontakt zu Gleichaltrigen in Bonndorf und Wellendingen verloren hätte. Im selben Jahr, in dem das neue Schulgesetz eingeführt wurde, wurde Marcel in der Grundschule eingeschult. „Er war eines der ersten Kinder, die Inklusion erleben durften“, sagt Isele-Kuhlmann. Sie ist Sonderpädagogin an der Realschule Bonndorf und begleitet Marcel seit der ersten Klasse.
Was mit dieser Inklusionsklasse anfing, wurde an die Realschule angegliedert. Heute betreut die Sonderpädagogin drei Inklusionsklassen. Der Bildungsplan mit den Förderschwerpunkten Geistige Entwicklung und Lernen sei maßgebend. Bereiche wie Handlungsorientierung und Lebenspraxis werden neben dem normalen Unterrichtsstoff behandelt. Die Kinder der Inklusionsklassen sind in vielen regulären Unterrichtsstunden dabei, lernen individuell auf ihrem Stand mithilfe der Sonderpädagogin und der eigenen Assistenzkraft.
Bereits im Kindergarten kam bei Marcel der Wunsch auf, mit dem Bus zu fahren. Also übte die Mutter mit ihrem Sohn – wo und wann er aus- und einsteigen muss, wie man den Stoppknopf drückt und wie man um Hilfe bittet. Seit der siebten Klasse stehen für die Inklusionskinder Praktika an. Marcel besuchte 16 Praktikastellen. Die zehnte Klasse besuchen die Inklusionsschüler in Bonndorf nicht, da das Hauptaugenmerk auf der Prüfungsvorbereitung steht. Da aber eine Schulpflicht bis zum 18. Lebensjahr gilt, wiederholen die Inklusionsschüler meist eine Klasse. Da Marcel nach diesem Schuljahr noch keine 18 Jahre alt ist, muss er in ein Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ) wechseln. Ein inklusiver Übergang von Schule ins Berufsleben ist für Menschen mit Behinderung nicht geebnet, sagt Grieshaber. „Nach der Sekundarstufe Eins endet Inklusion.“ Zwar gibt es im SBBZ Berufsschulstufen und die individuelle Förderung der Schüler mit Behinderung – doch gibt es keine inklusive Unterrichtsform mehr. Eltern fänden es wichtig, dass es das SBBZ gebe, doch sollte es auch andere Möglichkeiten geben.